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Die Geschichte von Kain und Abel (Genesis 4,1-15) Gen 4

 

4 1Adam erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger und gebar Kain. Da sagte sie: Ich habe einen Mann vom Herrn erworben.

2 Sie gebar ein zweites Mal, nämlich Abel, seinen Bruder. Abel wurde Schafhirt und Kain Ackerbauer.

3 Nach einiger Zeit brachte Kain dem Herrn ein Opfer von den Früchten des Feldes dar;

4 auch Abel brachte eines dar von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Der Herr schaute auf Abel und sein Opfer,

5 aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz heiß, und sein Blick senkte sich.

6 Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß, und warum senkt sich dein Blick?

7 Nicht wahr, wenn du recht tust, darfst du aufblicken; wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr über ihn!

8 Hierauf sagte Kain zu seinem Bruder Abel: Gehen wir aufs Feld! Als sie auf dem Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und erschlug ihn.

9 Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er entgegnete: Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders?

10 Der Herr sprach: Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden.

11 So bist du verflucht, verbannt vom Ackerboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen.

12 Wenn du den Ackerboden bestellst, wird er dir keinen Ertrag mehr bringen. Rastlos und ruhelos wirst du auf der Erde sein.

13 Kain antwortete dem Herrn: Zu groß ist meine Schuld, als dass ich sie tragen könnte.

14 Du hast mich heute vom Ackerland verjagt, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen; rastlos und ruhelos werde ich auf der Erde sein, und wer mich findet, wird mich erschlagen.

15 Der Herr aber sprach zu ihm: Darum soll jeder, der Kain erschlägt, siebenfacher Rache verfallen. Darauf machte der Herr dem Kain ein Zeichen, damit ihn keiner erschlage, der ihn finde.

 

 

Kain und Abel: Deutung

 

1. Die Bibel stellt manchmal die Entwicklung von Kulturepochen und gesellschaftliche Konflikte in Form von Familiengeschichten dar.

 

2. Einzelne Personen verkörpern manchmal Völker, Gruppen, Kulturepochen:

Adam und Eva, Kain und Abel sind also keine übliche Familie.

- Adam = „Der Mensch“, die Menschheit

- Eva = Die Lebensbringerin, die Mutter

- Kain: "Bauer" (Sesshaftwerdung), Dorf und Stadtkultur

- Abel: "Hirte", (Nomadenkultur)

 

3. Die Geschichte von Kain und Abel stellt den jahrtausendelangen Konflikt der Nomadenkultur mit der Bauernkultur dar und will sagen: "Ihr seid doch Brüder"

 

4. Bleibende Gültigkeit mancher Aussagen.

Gott fragt: "Kain, wo ist dein Bruder Abel?" "Das Blut deines Bruders schreit zu mir."

 

Gott leidet mit dem Leidenden und macht sich zu seinem Sprecher.
Gott ist keine anonyme Naturkraft, er steht nicht auf der Seite der Mächtigen und der erfolgreichen Gewalttäter.

 

Kain fragt: "Bin ich denn der Hüter meines Bruders?"

Die zeitlosen Entschuldigungsmechanismen von Menschen, die schuldig geworden sind bzw. die helfen sollten und Verantwortung für den anderen ablehnen.

 

Kain und Abel sind Brüder:

Verfeindete Völker und Kulturstufen haben denselben Ursprung, dieselbe Würde; sind von Gott her betrachtet seine „Menschenkinder“, also Geschwister.

 

5. Aber:

Diese Geschichte stellt Gott dar, als einen, der den einen Menschen weniger liebt als den anderen,

der einen übersieht, sein Opfer nicht annimmt,

der willkürlich sich dem einen zuwendet und dem anderen nicht.

Man muss Angst haben, dass dieser Gott einem schnell das Wohlwollen entzieht.

 

6. Der ungeliebte Kain wird (natürlich?) aggressiv.

Man kann als Mensch nicht friedlich leben auf dieser Erde, wenn einen der eigene Schöpfer (Ursprung, Vater) nicht liebt, sondern ablehnt und übersieht.

Die Aggression richtet sich aber dann nicht direkt gegen Gott, weil dieser unerreichbar ist, sondern gegen den Liebling dieses Gottes, gegen den bevorzugten Bruder Abel.

 

Es ist nicht nur Neid und Eifersucht gegen den Bruder, sondern auch Zorn gegen den ungerechten Gott und Ausdruck der Verzweiflung eines ungeliebten Menschen.

(Psychodynamik der Aggressionsentstehung)

 

7. Auf dieser Entwicklungsstufe des menschlichen Bewusstseins
glauben die Menschen, dass Gott die Darbringung von Opfergaben von ihnen erwartet.

 

8. Diese Geschichte spiegelt die Ausweglosigkeit

des theologischen Denkens auf dem Hintergrund des damaligen Gottesbildes wieder:

- Gott muss gerecht sein; es darf nicht sein, dass man ihm Ungerechtigkeit vorwerfen kann.

- Gleichzeitig glaubte man, Gott ist der allmächtige Weltenlenker: alles was geschieht, ist von Gott verursacht und gewollt. Die Naturkräfte sind direkt von Gott gelenkt und seine Werkzeuge, um die Menschen zu belohnen oder zu bestrafen.

- Weiterhin glaubte man, dass der Mensch durch Opfer und Gehorsam gegenüber den religiösen Vorschriften das Verhalten Gottes ihm gegenüber beeinflussen könne.

- In der konkreten Lebenserfahrung erfuhr der Mensch das Walten der Naturkräfte aber oft ungerecht und willkürlich: also erschien Gott ungerecht und willkürlich!

- Bei Menschen, die Opfer widriger Schicksalsschläge waren, vermutete man versteckte Sündhaftigkeit, denn sonst würde Gott sie doch nicht bestrafen.    (Vgl.: Die Geschichte vom „Turmbau von Babel“)

 

Die Problemsituation:

Der eine Mensch brachte seine Opfer dar - und es ging ihm gut: also hatte Gott offensichtlich sein Opfer angenommen

Der andere Mensch opferte in gleicher Weise von den Früchten seiner Arbeit - und es widerfuhr ihm ein Unglück oder er hatte Misserfolg: Gott hatte also sein Opfer nicht angenommen. 

Das Problem liegt im Deutungsversuch der konkreten Widerfahrnisse durch den Menschen als bewusste Aktionen Gottes.

 

9. Der Fortschritt des theologischen Denkens für die damalige Zeit:

1) Gott warnt und bittet Kain, trotzdem nicht böse zu werden, das "Verhalten Gottes" zu akzeptieren.

2) Der Zorn Kains wird als ein Dämon bezeichnet, als der Teufel, der ihn verführen wolle, das Problem wird also in eine außenstehende Macht verlagert, die den Menschen besetzen kann.

Aber Gefühle werden dadurch dämonisiert, d.h. seelische Kräfte, wie Wut und Zorn des Menschen (gegenüber Ungerechtigkeit) werden verteufelt.

3) Gott bestraft und verflucht Kain wegen seines Verbrechens, aber vernichtet ihn nicht durch die Strafe,

sondern stellt sich auf Seite Kains, der unter seiner Schuld leidet und sie bekennt und schützt ihn gegen die Rächer unter den Menschen: Er gibt ihm eine neue Chance zum Leben.

 

10. Der kirchliche Umgang mit dieser Geschichte:

1) Die Kirche sah diese Geschichte leider nicht als Entwicklungsschritt in der Offenbarungsgeschichte und damit in der Weiterentwicklung des Gottesbildes, sondern betrachtete sie als zeitlos gültige Wahrheit über Gott und über die Bosheit und Sündigkeit des Menschen.

2) Da in der Geschichte selbst kein Grund für die Ablehnung des Opfers Kains durch Gott genannt ist, wurden Vermutungen eingeführt:

 - Kain sei von vornherein ein ungerechter Mensch gewesen,

 - er habe unlautere Motive bei seinem Opfer in sich getragen,

 - er habe in falscher Gesinnung geopfert,

 - er sei von dem genannten "Dämon" schon vor seinem Opfer beherrscht gewesen, habe sich von ihm verführen lassen.

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11. Problematische Auswirkungen der Kain-Abel-Geschichte im Gottesdienst der Kirche heute:

3) Die Kirche lehrt und betet in einer Weise,

- als ob Gott von uns Opfergaben erwarten würde,

- als ob man weiterhin Angst haben müsse, dass Gott unsere Opfergaben nicht annehmen könne:

 

Z.B. im 1.Hochgebet:

- "Nimm gnädig an, o Gott, diese Gaben deiner Diener und deiner ganzen Gemeinde; .."

- "Blicke versöhnt und gütig darauf nieder (auf die Gaben Brot und Wein) und nimm sie an wie einst die Gaben deines gerechten Dieners Abel ..."

 

Im stillen Gebet des Priesters zur Gabenbereitung:

- "Herr, wir kommen zu dir mit reumütigem Herzen und mit demütigem Sinn. Nimm uns an und gib, dass unser Opfer dir gefalle."

 

Im Wechselgebet zur Gabenbereitung:

 "Betet Schwestern und Brüder, dass mein und euer Opfer Gott, dem allmächtigen Vater, gefalle".

 "Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen zum Lob und Ruhm seines Namens, zum Segen für uns und seine ganze heilige Kirche."

 

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Es erscheint also im Glauben und Beten der Kirche sinnvoll und angebracht, Gott im Voraus darum zu bitten, unser Opfer anzunehmen, damit wir nicht das Schicksal Kain´s erleiden, dessen Opfer angeblich von Gott nicht angenommen worden war.

Diese Gebete sind geprägt von der Angst vor einem Gott, dessen Strafe durch Liebesentzug wir ebenso fürchten wie seine Willkür.

Diese Gebete sind geprägt von einem völlig überholten Gottesbild, das einer vorwissenschaftlichen Bibeldeutung entspricht und einem unzeitgemäßen Verständnis vom Wirken Gottes in der Welt.

Viele Gläubige empfinden diese Gebete nur als frommen Blabla, der mit einer zeitgemäßen Spiritualität nichts zu tun hat.

Aber diese Geschichte von Kain und Abel prägte durch viele Jahrhunderte das Gottesbild und das Glaubensverständnis der Christen und ihr Beten.

 

Es ist erstaunlich, dass die moderne Bibelarbeit der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und die Erkenntnisse der modernen Psychologie keine Wirkung haben für eine zeitgemäße Gebetssprache im Gottesdienst der Katholischen Kirche!

==> Gebete und Liturgie der Kirche brauchen endlich eine zeitgemäße biblische Fundierung!
       
(Eine bessere Zusammenarbeit zwischen Bibelwissenschaftlern und Liturgie-Verantwortlichen!)

==> Es braucht eine zeitgemäße Glaubenslehre im Dialog mit Naturwissenschaften und Psychologie,
        um ein zeitgemäßes Verständnis vom Wirken Gottes in der Welt und in der Psyche des Menschen
        anzubieten!

==> Gebete und Liturgie der Kirche brauchen ein zeitgemäßes Verständnis vom Wirken Gottes in der Welt!

 

Manfred Hanglberger

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Siehe auch: „Lieblingskinder und Wegwerf-Kinder“ (Kain und Abel) aus „Gottestherapie“ von Lorenz Zellner