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Aus dem Vorwort:
Die
Angst hat viele Gesichter, aber auch viele ver-
schlüsselte, indirekte Ausdrucksformen. Wenn man jahrelang Menschen begleitet
und Hilfen anbietet, das Leben zu meistern und seelische Leiden zu lindern,
ist es notwendig, sehr aufmerksam und kritisch hinzusehen, was in den Seelen
der Menschen vor sich geht, welche fundamentalen Bedürfnisse und Frustrationen
Ängste hervorbringen und welche Wege innerer Heilung und Befreiung möglich
sind.
Es finden sich
viele gesellschaftlich und kirchlich vorgegebene und auch individuell
entwickelte Wege, mit Angst „fertig“ zu werden. Dabei sind keineswegs alle
diese Wege heilsam und der langfristigen Entwicklung der menschlichen Psyche
bzw. dem Allgemeinwohl dienlich. Deshalb sind Ängste nicht nur zu bekämpfen
und zu überwinden; vielmehr gilt es hin zu horchen, ob sie nicht Signale des
Unbewussten enthalten, die verstanden werden müssen, um mit menschlicher
Angst so umzugehen, dass die wertvolle Energie und Wegweisung, die sie
enthält, nicht verloren geht, sondern der Gesundheit und Lebendigkeit der
Seele dient. Es sind aber auch Praktiken des Missbrauchs der Angst, der „Angstmacherei“ zum Zwecke der Entmündigung und
Beherrschung des Menschen, aufzudecken und zu verabschieden.
Dieses Buch ist
das Ergebnis jahrelanger Beschäftigung mit Grundgesetzen seelischen
Wachstums, seelischer Reifung und seelischer Heilung, sowohl aus
familientherapeutischer, wie auch aus spiritueller Sicht.
Angst dient dem
Leben.
Die Angst als
eines der wichtigsten Gefühle des Menschen verbindet uns mit der Gefühlswelt
der Tiere; denn auch Tiere erleben Angst. Aber bei ihnen stellen wir fest:
Die Angst dient dem Leben.
Die Angst macht
dem Hasen schnelle Beine, damit er der Gefahr entgeht. Die Angst weckt in
einer Katze, die von einem Hund in die Enge getrieben ist, alle Energien der
Aggression, um den Angreifer abzuschrecken. Die Angst dient – wie eigentlich
jedes Gefühl von Mensch und Tier – dem Leben.
Aber wir
Menschen haben manche Ängste, die wir nicht als hilfreich empfinden, Ängste,
die lang anhaltend und bedrückend sind, die uns Lebensenergie und
Lebensfreude rauben, die uns innerlich lähmen und depressiv machen können. Um
solche typisch menschlichen Ängste geht es in diesem Buch.
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Ängste sind Warnsignale
Auch
langanhaltende, bedrückende Ängste haben ihren Sinn und ihre Bedeutung, sie
sind Warnsignale nicht für äußere Bedrohungssituationen, sondern für
seelische Blockaden, für seelische Sackgassen und Fehlentwicklungen. Da sie
also vor problematischen inneren Prozessen warnen, die oft aus den Kräften
des Unbewussten genährt sind, wirken sie langfristig und sind oft nur lösbar,
wenn die unbewussten Energien, durch die sie verursacht sind, aufgedeckt,
verstanden und umgeleitet werden.
Ein
Beispiel:
Eine Tochter war von klein an gewöhnt, die Mutter zu trösten und zu stützen,
weil diese vom Ehemann unterdrückt und später von ihm verlassen wurde. Aber
dann geschah es, dass sie es als erwachsene Tochter nicht schaffte, die
Mutter „allein zu lassen“ und eine eigene Familie zu gründen. Sie wurde nach
einiger Zeit von ständigen Ängsten gequält, die sie nicht verstand. Die
Aufdeckung der unbewussten Ursachen konnte hier deutlich machen, dass durch
die Angst eine seelische Lähmung ausgelöst wurde, die letztlich ein Protest
gegen das eigene bewusste Verhalten war. Dahinter steht die unbewusste
Erkenntnis, dass es nicht angeht, auf die eigene Ich-Entwicklung zu Gunsten
der Mutter zu verzichten. Gleichzeitig könnten die Ängste aber auch ein
Protest des Unbewussten dagegen sein, die Mutter in einer
kindlich-bedürftigen Rolle zu halten und ihr damit den Weg der eigenen
Verantwortung und Ich-Entwicklung zu blockieren.
Was in diesem
Beispiel also in bewusster Liebe geschieht, muss nicht immer das seelisch
Gesunde sein; es kann im Widerspruch stehen zur Ich-Entwicklung und zu einer
angemessenen Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Die Tochter war von klein
auf zu einer Art „seelische Partnerin“ oder gar „Übermutter“ für die Mutter
geworden. Die chronischen Angstzustände der Tochter signalisieren also die
Verkehrung einer angemessenen Beziehungsstruktur zu ihrer Mutter.
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Auch gut gemeintes Handeln kann Angst
erzeugen
Wer also meint,
aus Liebe zu handeln und vielleicht auch von den Mitmenschen als selbstlos
liebend angesehen wird, muss deshalb noch nicht das tatsächlich „Gute“ und
„Richtige“ tun. Viele handeln in der Meinung, was sie aus Liebe tun, müsse in
jedem Fall gut sein und sind entrüstet, wenn jemand dies in Zweifel zieht,
und sie wären erstaunt, wenn ihnen gesagt würde, wie viel man aus Liebe
falsch machen kann.
Aber schon das
alte Sprichwort: „In der Gutheit steckt ein Stück Liederlichkeit“ wusste
offensichtlich um den unbewussten Widerspruch zwischen „gutem Willen“ und
„guter Tat“. Im wirtschaftlichen oder technischen Bereich ist uns das allen
klar: Der gute Wille reicht nicht!
Aber im
menschlichen Beziehungsbereich handeln viele genau nach gegenteiliger
Überzeugung: Was sie gut gemeint haben, das müsse auch gut bei den
Mitmenschen ankommen und gut wirken. Sie sind entrüstet, beleidigt und
verletzt, wenn dies nicht der Fall ist, und sie können es nur schwer
annehmen, dass sie mit ihrer Liebe, mit ihrem guten Willen, das seelisch
Falsche tun oder getan haben. Manche fühlen sich nach solchen Erfahrungen wie
gelähmt, bekommen diffuse Schuldgefühle und innere Hilflosigkeitszustände,
die in der Angst enden, sowieso nichts wert zu sein. Wer solche Angst nicht
einfach leidend ertragen will, kann sie als Signal des Unbewussten begreifen,
das darauf hinweisen will, dass es hier etwas ganz neu zu bedenken und zu
verstehen gibt
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