Das Drama des Muttersohnes
im Patriarchat
und der Weg seiner Erlösung im
Gleichnis vom „Barmherzigen Vater“
(Lk 15 , 11-32)
Das
Gleichnis vom barmherzigen Vater hat einen feministischen Aspekt.
Dieser Aspekt ergibt sich bei einer familientherapeutischen
Betrachtung der Rolle des sogenannten „verlorenen Sohnes“.
Die
Nicht-Erwähnung der Mutter in diesem Gleichnis weist darauf hin,
dass es
sich hier um ein patriarchales Familiensystem handelt. Der zweite
Sohn ist in solchen Familienstrukturen gewöhnlich der Muttersohn,
bewusst oder unbewusst mit ihr solidarisch und Träger der Gefühle
und Energien, die die Mutter nicht ausdrückt, sondern verdrängt.
Im
patriarchalen System ist der Vater dominant, d.h. sein Wille,
seine Sicht der Dinge, seine Entscheidungen stehen im Vordergrund
und sind von Ehefrau und Kindern zu akzeptieren. Es gibt kaum
Kompromisse, d.h. die Frau muss
ihre
eigenen Bedürfnisse und Gefühle, ihre Wahrnehmung und ihre
Wünsche dem Ehemann unterordnen. Ihr Ich ist damit abgewertet und
muss sich
ständig zurücknehmen und verbergen. Dadurch entstehende
Schmerzen und Enttäuschungen werden verdrängt in die unbewussten
Schichten der Seele. Da Kinder Teil der Seele der Eltern sind und
die kindliche Seele ein Zufluchtsort für die verdrängten Gefühle
der Eltern, drücken diese oft etwas aus, was die Eltern sich
scheuen zu artikulieren, oder sie vollziehen die Bewegungen und
Handlungen, die von einem Elternteil innerlich gewünscht, aber
aus Angst nicht vollzogen werden. Kinder können so unter
Umständen ein Stellvertretungs-Handeln praktizieren. Die Frau,
die sich im patriarchalen System nicht ernst genommen erlebt, kann
dieses Familien- und Ehesystem dennoch nicht verlassen, weil sie
im patriarchal geprägten Gesellschaftssystem extrem diffamiert
würde. Ihre Tendenz wegzugehen kann eventuell von dem Kind, das
ihr seelisch am nächsten steht, gespürt und in die Tat umgesetzt
werden. So sind es in solchen Familienstrukturen die Muttersöhne,
die die Flucht ergreifen und in der Ferne einen oft
abenteuerlichen Weg der Ich-Findung in unbewusster Stellvertretung
für die Mutter suchen.
Wer
in der Paarbeziehung untergeordnet ist, fühlt sich entweder
abgewertet und ein Stück verachtet, oder hat diese Gefühle
verdrängt. Es ist ein normaler seelischer Prozess, dass
verachtete
Menschen auch selbst Verachtung entwickeln gegenüber dem, von dem
sie nicht ernst genommen werden. Oder aber sie verdrängen auch
diese Gefühle und lenken ihre Verachtung unbewusst nach außen
auf andere Personen hin. Der Sohn, der die Familie verlassen hat,
übernimmt eine eventuell vorhandene Verachtung seiner Mutter
gegenüber dem Vater. Dies wirkt sich katastrophal aus. Der Sohn,
der im Trotz oder in der Verachtung gegenüber dem Vater Karriere
machen will, folgt einem alten Grundgesetz der Seele, das besagt,
„Kinder lieben ihre Eltern immer, wenn nicht in bewusster Weise,
dann in unbewusster“.
Die
Wahrscheinlichkeit, dass der
Sohn wegen seiner Vaterverachtung ein unbewusstes
Selbstbestrafungsmuster entwickelt, ist sehr hoch. Dies ist wohl
der psychodynamische Grund seiner anfänglich zügellosen
Freiheitsansprüche und seinem anschließenden Scheitern.
Aber
offensichtlich gibt es im Vaterbild dieses Sohnes unabhängig vom
patriarchalen System ein Wissen um Verständnis und Barmherzigkeit
bei diesem Vater, das es ihm ermöglicht, die Rückkehr zu wagen.
Diese Rückkehr bedeutet für ihn, die Rolle der Frau im
patriarchalen System anzunehmen: „Nimm mich wie einen deiner
Knechte.“
Das
ist die unbewusste Liebe zur Mutter in diesem System, solidarisch
mit ihr Befehlsempfänger zu werden und auf einen eigenen Willen,
auf eine eigene Ich-Entwicklung und damit auf die Anerkennung der
eigenen Würde zu verzichten.
Der
zurückgekehrte Sohn erlebt aber nun einen Vater, der sich völlig
unpatriarchal verhält. Er eilt ihm entgegen, setzt ihn zurück in
die Sohn-Rolle und achtet den Muttersohn gleichberechtigt neben
dem älteren Vatersohn.
In
gewöhnlichen Familien hat der Vater sicher zuvor der Mutter
manche Vorwürfe oder gar Häme serviert, dass
es
ja ihr „verzogener Liebling“ gewesen sei, der mit seinem
Anteil am väterlichen Erbe einen nichtsnutzigen Lebensstil
entwickelt habe. In der gleichberechtigten Wiederannahme des
Muttersohnes wird die Ehefrau vom Mann anerkannt und in ihren
Bedürfnissen und Problemen ernst genommen.
Die
Erlösungsbotschaft in diesem Gleichnis ist einerseits das
grundsätzliche Dazugehören-Dürfen zu den Eltern, zu Gott und
zum Leben der Welt, entgegen den alten Vorstellungen von einem
Rauswurf aus dem Paradies, und andererseits ist es auch die
Botschaft des gleichberechtigten Zueinandergehörens von Mann und
Frau, von Vaterkindern und Mutterkindern auf der Ebene
partnerschaftlicher Beziehungen, in denen die Originalität und
Unterschiedlichkeit von Mann und Frau, wie überhaupt von zwei
verschiedenen Menschen sich zeigen darf, sich entfalten kann und
gegenseitig ernst genommen wird.
Erlösung
hat hier zu tun mit der Integration der Gegensätze im Menschen
und zwischen den Menschen auf gleichberechtigter Ebene und löst
damit bei dem im Patriarchat untergeordneten Ehepartner und den
ihm seelisch nahestehenden Kindern die Angst, nichts wert zu sein.
Manfred
Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de)
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