Link zum Teilen: https://hanglberger-manfred.de/gottes-gerechtigkeit.htm
|
|
Die Barmherzigkeit und die
Gerechtigkeit Gottes Oder Subsidiarität bei Gott Immer wieder höre ich den Vorwurf: Ein nur liebevoller, barmherziger Vater-Gott ist ungerecht. Denn
dann würde der gewissenhafte und liebevolle Mensch am Ende bei Gott ebenso
behandelt werden wie der rücksichtslose und egoistische Mensch – und das ist
für unser Gerechtigkeitsempfinden unerträglich. Ich erzähle dann immer gerne eine persönliche Erfahrung: Ein 85-jähriger Mann, der wusste, dass es mit ihm auf den Tod
zugeht, sagte zu mir: Herr Pfarrer, ich habe im Leben alles falsch gemacht, ich habe
Angst vor dem Sterben. Ich wusste, dass er ein sehr fleißiger Mann war, dass er im Ort
großes Ansehen hatte. Er war verheiratet, hatte drei Söhne groß gezogen
und hatte es wirtschaftlich zu einigem gebracht. Er galt als sehr freigebig
und hilfsbereit. Aber als junger Mann hatte er in einer oberflächlichen
Beziehung mit einer Dienstmagd im Betrieb der Eltern ein uneheliches Kind
gezeugt, das aber bald nach der Geburt gestorben war. Das wusste ich von
einem seiner Söhne. Ich sagte zu ihm: „Ich glaube, Sie haben in ihrem Leben viel
Gutes getan. Aber vielleicht haben Sie eine wichtige Aufgabe nicht erfüllt.
Und die ist so wichtig, dass sie jetzt vor dem Tod alles andere überdeckt“.
Er schaute mich mit großen Augen an und fragte: „Was meinen Sie, Herr
Pfarrer?“ Ich sagte zu ihm: „Sie haben drei Söhne und eine Tochter. Ihre
Söhne sind ihnen lieb und teuer – aber ihre Tochter haben Sie nicht in ihr
Herz aufgenommen und auch nicht betrauert, als sie gestorben ist. Denn Sie waren froh, dass sie nicht am Leben blieb und Sie
dadurch wieder frei waren für eine – wie es damals hieß – „standesgemäße
Ehe“. Menschlich ist das verständlich. Aber auch Ihre Tochter ist Ihr Kind
und Sie müssen sie in Ihr Herz aufnehmen, müssen sie innerlich annehmen als
Ihr erstgeborenes Kind. Und ihr sagen, dass es Ihnen heute leid tut, dass Sie
sie völlig verleugnet haben. Und wenn es ein Bild von ihr geben sollte, lassen Sie es
vervielfältigen und geben Sie jedem Ihrer Söhne eins davon und sagen Sie
ihnen den Namen des Kindes und dass sie alle dieses Kind als ihre Schwester
achten und innerlich dazugehören lassen sollen. Vertrauen Sie darauf, dass Gott Sie für Ihren Fehltritt nicht
bestrafen wir, aber dass er Sie in der Ewigkeit zu Ihrem Kind hinführen wird
und wenn Sie den Schmerz in der Seele Ihres Kindes wahrnehmen darüber, dass
ihr Vater sie innerlich abgelehnt und nicht geliebt hat und wenn Sie diesen
tiefen Schmerz Ihres Kindes in Ihr eigenes Herz aufnehmen und dort wirken
lassen, dann werden Sie mit Ihrer Tochter Versöhnung erfahren und Gott wird
sich mit Ihnen beiden darüber freuen, dass die Liebe endlich gesiegt hat.“ Denn dies ist meine Überzeugung: Gott „bestraft“ uns nur mit den
Qualen der Liebe, die die Wege der Versöhnung uns zumuten. Weil die echte
Liebe uns fähig macht, die seelischen Schmerzen der Menschen zu spüren und
mitzuempfinden, die wir ihnen durch unser Verhalten zugefügt haben. Bei Gott
gibt es keine verschlossenen Türen. Aber er führt uns zu den Türen, die wir
verschlossen haben und lädt uns ein, den Schmerz anzunehmen und zu
durchleiden, den es kostet, diese Türen zu öffnen und den Weg der Versöhnung
zu suchen und zu gehen. Und Versöhnung gibt es in vielen Fällen erst, wenn
unsere Liebe – durch Gottes Gnade – groß genug ist, den Schmerz des anderen
wahrzunehmen und ihn in unser Herz aufzunehmen und zu durchleiden. Auf diese
Weise sind bei Gott die Barmherzigkeit und die Gerechtigkeit miteinander
verbunden ohne im Widerspruch zueinander zu stehen. Aber wir sollten mit der Bereitschaft, den Schmerz derer
wahrzunehmen, die durch unser Verhalten gelitten haben, nicht erst bis nach
dem Tod warten. Je unvorbereiteter und überraschender wir mit diesen seelischen
Aufgaben konfrontiert werden, desto schockartiger und schmerzhafter wird es
wohl werden. Je mehr wir schon in diesem Leben diese Versöhnungsaufgaben
angehen und uns innerlich dafür öffnen, desto mehr Glück und inneren Frieden
finden wir schon in dieser Welt und vor allem: Die Angst vor dem Sterben wird deutlich weniger werden, wie mir
manche Menschen sagten, die bewusst auf den Tod zugegangen sind und denen es
noch gelang, unangenehme Konflikte zuvor zu bereinigen. Aus: „Ich bin
schuld! – Der sinnvolle Umgang mit Schuldgefühlen“ Manfred
Hanglberger, Pustet-Verlag, Regensburg |
|
Link zum Teilen: https://hanglberger-manfred.de/gottes-gerechtigkeit.htm |
|
Zur „Subsidiarität bei Gott“ siehe
auch: „Ein ökumenisches Anliegen“ Thema „Schuld, Versöhnung und
Beichte: >>> Gebet beim Tod eines Menschen >>> Buch: Trauergebete, Trauertexte, …
>>> |
bb