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Predigt

 

Neujahr

Num 6, 22-27

 

Liebe Schwestern und Brüder,

in der Lesung aus dem Buch Numeri, aus dem Alten Testament, hörten wir, dass Gott Mose beauftragt, das Volk zu segnen. Und da heißt es in diesem Segen: „Gott wende dir sein Ange­sicht zu“ und dann „Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir“.

Lasst uns diese Formulierungen ein wenig bedenken.

 

Gott wende sein Angesicht dir zu. Er schaue dich an. Aber das Angeschaut-werden das ist für den Menschen zwar von klein auf so grundlegend wichtig, aber das Kind kann das ganz unterschiedlich erleben. Ist das ein Angeschaut-werden, weil man kontrolliert wird? Weil man beobachtet wird? Weil man nicht mehr aus dem Auge gelassen wird vom anderen? Ist es ein Angeschaut-werden, in dem Misstrauen mitschwingt?

 

Aber dies ist hier nicht gemeint, sonst würde es nicht anschließend heißen: „Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir“. Eine eigenartige Formulierung. Aber wir kennen im Deutschen das Wort von den „leuchtenden Augen“. Eltern kennen das, wenn ihnen Weihnachten mit den Geschenken für die Kinder wirklich gut gelungen ist: Die Freude der Kinder in den leuchten­den Augen. Aber vielleicht kennen die Eltern das auch selber bei sich, wenn sie nach der Ge­burt ihres eigenen Kindes dieses Kind mit leuchtenden, mit freudigen, mit liebevollen Augen anschauen. Leuchtende Augen haben also etwas mit Begeisterung, mit Freude, aber auch mit Güte und Wohlwollen zu tun.

Gott wende sein Angesicht also uns zu mit leuchtendem Angesicht, mit leuchtenden Augen.

 

Es geht darum, dass Menschen dies begreifen, dass Gott so ist. Dass wir von Gott angeschaut werden, dass Gott Freude an uns Menschen hat. Bei den eigenen Eltern erleben das Kinder so, dass sie dann ermutigt sind das Leben zu wagen, dass sie nicht nur kurzzeitig Freude spüren, sondern dass sie dabei einen Lebensmut bekommen. Und im Deutschen heißt auch Ansehen bekommen, weil man angesehen wird in Wertschätzung, in Verbundenheit, in Achtung.

 

Gott freut sich über das Dasein seiner Kinder. Das will letztlich dieser Segen uns sagen. Gott hat leuchtende Augen, wenn er auf dich schaut. Gott hat Freude an dir. Und Glauben bedeutet genau dies wahrzunehmen, dies zu erspüren, dies zu erkennen.

 

Es ist wichtig, dass wir entdecken, dass es bei Eltern und Kindern die gegenseitige Freude gibt. Wenn Eltern sich freuen über die Erfolge eines Kindes, können sie auch leuchtende Au­gen bekommen; aber wenn das erst eintritt, weil das Kind Erfolg hat, dann ist es durchaus auch problematisch.

Im 1. Johannesbrief im Neuen Testament heißt es: „Gott hat uns zuerst geliebt“. Das heißt, die Reihenfolge ist, dass man zuerst mit leuchtenden Augen angeschaut wird und dann auch selber das Leben annehmen kann und in seinem Dasein zusätzlich noch Freude bewirken kann. Die Reihenfolge ist entscheidend. Sie besagt nämlich: Wer ernährt seelisch wen? Die Eltern die Kinder oder die Kinder die Eltern?

 

Der Glaube sagt uns, vom Ursprung her kommt die Nahrung. Gott, bzw. die Eltern sind die ersten, die ernähren. Dann später beruht das Zu­sammenleben von Eltern und Kindern, von Mensch und Gott auch auf Gegenseitigkeit. Man­che werden sagen, ich hatte keine Eltern mit leuchtenden Augen bei meiner Geburt. Sie waren damals sehr belastet, sie waren damals überfordert, sei waren damals gezeichnet von Schick­salsschlägen.

 

Der Glaube sagt uns, Eltern sind zwar für ein kleines Kind in einer göttlichen Rolle. Was Kinder durch ihre Eltern erleben, ist so, wie wenn sie es von Gott direkt erfahren würden. Aber der erwachsene Mensch muss dann noch lernen zu unterscheiden zwischen Gott und den Eltern, die Eltern mit ihrem Schicksal, mit ihren Belastungen und Überforderungen wahrnehmen und sie verstehen und achten. Aber dann entdecken, dass es über die Augen der Eltern hinaus noch die Augen Gottes gibt. Und Gott, so sagt uns der Glaube, schaut grund­sätzlich mit Zuwendung und mit einem leuchtenden Angesicht auf uns, lernen, sich anschauen zu lassen, sich anschauen lassen bis in das Innerste unseres menschlichen Wesens. Sich anschauen lassen bedeutet aber auch sich öffnen lernen, sich öffnen, sich anvertrauen, das heißt auch loslassen: manche Schutzmechanismen loslassen, manche Verhärtungen loslassen, manche Verbitterungen loslassen, loslassen von manchen Abwertungen, die wir anderen gegenüber produziert haben; loslassen von billigen Entschuldigungen; uns anschauen lassen bis ins Tiefste unseres Wesens:

Unsere alltägliche Verschlossenheit bewirkt nämlich, dass wir uns selber nicht mehr richtig sehen, dass wir uns selber nicht anschauen können, dass wir uns selber nicht mehr richtig spüren können, dass wir uns selber nicht richtig annehmen können. Aber wir können das „sich anschauen lassen“, das innere „sich öffnen“ üben  - zu jeder Zeit. Vielleicht besonders beim Morgengebet oder Abendgebet: nichts als nur einfach sich von Gott anschauen lassen, und das kann man zu jeder Zeit, ob beim Spaziergang, oder beim Teig anrühren, oder beim Fernseh-schauen, oder beim Auto fahren, oder beim Duschen oder beim Essen.

 

Zwischendurch einen kurzen Augenblick sich bewusst machen, Gott schaut mich an – mit leuchtenden Augen, er wendet sich mir zu, und dann entdecken, er kontrolliert und beobachtet mich nicht wie ein Polizist, der aufpassen muss im Straßenverkehr, nicht so schaut Gott auf mich. Er schaut in einer Weise auf mich, dass ich dabei nicht kindlich abhängig bleibe, sondern dass ich Mut bekommen erwachsen zu werden – in jeder Hinsicht, auch im Glauben; auch in meiner Beziehung zu Gott darf ich als Kind Gottes erwachsen werden.

 

Dies zu erspüren macht mich innerlich souverän und lehrt mich, auch ohne die Augen Gottes zwischendurch mich selber ehrlich anzuschauen und zu meinem Dasein Ja zu sagen und aus meinem Dasein, aus den Tagen meiner Jahren, aus den Jahren meines Lebens etwas Wertvolles und etwas Sinnvolles zu machen. Bitten wir dazu um Gottes Segen!               Amen

 

Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de)

 

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