„Psychisch krank“ – Ein Zwischenruf!

(von Lorenz Zellner, Landau a.d. Isar)

 

Gewalt jeder Art und alle Formen der Hetze verdienen einen gesamtgesellschaftlichen Aufschrei. Damit dieser aber nicht nur Geschrei bleibt, nicht zu Einseitigkeit, Hysterie und Depression oder zu harten Feindbildern führt, bedarf es einer Erweiterung der Debatte und tieferer Bezugnahmen und Einsichten in das Phänomen der Täterschaft. Wissenschaftlich unterbaut ist folgender Befund: Täter wird man nur, wenn man vorher Opfer war, persönlich -oder als Mitglied einer generationsübergreifenden Kette von Opfern und Tätern.

 

Zur Thematik passend und gut zu lesen ist dabei ein Buch des ausgewiesenen Traumaexperten und Systempsychologen Professor Dr. Franz Ruppert, der an der Katholischen Stiftungshochschule in München lehrt. Der Titel des Buches lautet: „Wer bin ich in einer traumatisierten Gesellschaft?“ (Fachbuch Klett-Cotta 2018). Ruppert kritisiert die gängigen pathologischen Diagnosen wie „psychisch krank“, „psychotisch“ oder „Psychopath“ als sinnlos. Diese sind für ihn nichts weiter als leere Symptombeschreibungen und Etikette, die aber die Tatsache einer möglichen Traumatisierung von Tätern nicht ansprechen bzw. die Frage nach den Ursachen überhaupt nicht stellen.

 

In welche Richtung Ruppert mit seinem Buch vordringen will, beschreibt er anderweitig so: „Werden offensichtliche Trauma-Täter mit pathologisierenden Diagnosen belegt, erscheinen sie als unverständliche „Monster“, auf die man dann mit Abscheu und Entsetzen blicken darf. Die Täter-Opfer-Dynamik, die in den Verhaltensweisen von Trauma-Tätern zum Ausdruck kommt und ihr eigenes Opfersein werden so nicht erkannt. Das Verhalten von Trauma-Tätern erscheint wie ein unverständliches Mysterium, statt zu verstehen, dass ihre enorme Destruktivität die Folge ihres psychischen Schmerzes ist, der ihnen ursprünglich zugefügt wurde und den sie nicht in sich hochkommen lassen können. Was man ihnen mitunter noch attestiert, ist „eine schwierige Kindheit“. Wobei sogleich hinzugefügt wird, dass „eine schwierige Kindheit“ nun auch keine Entschuldigung dafür sein kann, zum Mörder zu werden“.

 

Nur die wissenschaftliche Erforschung der nahen oder fernen Ursachen von Traumatisierungen, sagt der Fachmann Ruppert, kann für Erkenntnisgewinn und Veränderung sorgen, nur über den Blick in die Seele können wir hellhörig werden, wie viel verstecktes Trauma, versteckte Wut, versteckte Angst, versteckter Ekel, versteckter Schmerz usw. auch in im deutschen Raum sozialisierten Menschen stecken – und immer wieder im Täterverhalten losgelassen werden.

 

Ein kurzer Blick in das Buch von Ruppert ist zu wenig. Es lohnt sich, die dargestellten Einsichten an sich heranzulassen. Wir erfahren viel fachlich Neues über tiefe kindliche Verletzungen und ihre Folgen, über generations-übergreifende Störungen bis ins „dritte und vierte Geschlecht“ – und – nicht zuletzt - wie wir selbst lernen müssen, mit unseren eigenen Verwundungen umzugehen, damit sie nicht ins Destruktive entgleiten. Und hin und wieder werden wir vorsichtiger in Bezug auf unsere Urteile und Emotionen.

 

Formatierung durch Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de)

 

Zum Teilen: https://hanglberger-manfred.de/psychisch-krank.htm

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