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Lorenz Zellner
Beeindruckende, unverdorbene Schöpfungsspiritualität einfacher Menschen
(Kap 8, S. 96 - 98 im Buch „Ich bin auf den Grund gegangen – aber nicht zugrunde“)
Inhalt
Erfahrungen mit der Natur, mit liebevollen Menschen und mit Gott sind miteinander verbunden 2
Wer nicht weiß, was Andacht ist, sollte besser nicht Theologie betreiben 3
Anmerkungen 4
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Erfahrungen mit der Natur, mit liebevollen Menschen und mit Gott sind miteinander verbunden
Ich lade zu … einer Wahrnehmung ein, dass die einfachen Menschen oft die wahrhaft größten sind – analog zum Bonmot des gealterten Romano Guardini, die einfachen Dinge seien die wahrhaft größten. …
Ich bin immer wieder fasziniert von der Spiritualität einfacher und einfach gebliebener Menschen. … Ich sitze nachdenklich vor einem Text, der mich „entwaffnet“, vor einem Text aus einer Missionszeitschrift, den ein armer Inder schrieb:
„Jeden Tag um Zwölf in der Mittagshitze kommt Gott zu mir in Gestalt von zweihundert Gramm Haferbrei. Ich spüre ihn in jedem Korn, ich schmecke ihn in jedem Löffel voll. Ich halte sein Mahl mit ihm, wenn ich schlucke, denn er hält mich am Leben mit zweihundert Gramm Haferbrei… Jetzt weiß ich, dass Gott mich liebt“ (1).
… Welche Einfachheit, welche Klarheit, welche Beschränkung auf das Wesentliche - und doch welche Fülle! Und welche Andacht entfaltet sich und nimmt mich mit! Ich wünschte mir für mich eine ähnliche Begabung, die Schöpfung so zu fühlen und zu verstehen – und Gott auch!
Ich bringe ein zweites Beispiel – ebenfalls aus einer Missionsbroschüre: Schwester Lina ist eine von vierzehn katholischen indischen Schwestern aus dem Südstaat Kerala. Sie erzählt folgende Begebenheit:
„Kam da…eine Hindufrau, ein Häufchen Reis auf einem Blatt in der Hand. ‚Das ist für dich´, sagte sie schüchtern, ‚weil du zu uns gekommen bist. Wir haben bis jetzt nur von einem fernen Gott gehört. Nun haben wir dich. Du bist der Gott, den wir sehen können …´“ (2).
Wiederum: Welche Begabung von einfachen Menschen, andere Menschen so zu sehen – und wieder ist Gott im Spiel! Und wiederum welche Fülle und welche Andacht!
Es sind aber auch große Denker, die die Tiefe der Schöpfung und der Geschöpfe Gottes in gleich einfachem Maße mit Staunen, Bewunderung und Andacht erfüllt und die dies in ganz schlichter Form, aber glasklar zum Ausdruck bringen. So äußert sich zum Beispiel der französische Schriftsteller Leon Bloy in einem seiner berühmten Briefe an seine Braut in einer einzigartigen Weise:
„Sie haben mir geschrieben: ‚Ich liebe Gott mehr als Sie´. … Ich könnte Ihnen so etwas nicht schreiben, einfach deshalb nicht, weil ich so eine Teilung nicht vornehmen kann. Ich liebe Gott in Ihnen, durch Sie hindurch, wegen Ihnen, ich liebe Sie vollkommen in Gott, wie ein Christ seine Gattin lieben soll; die Idee, diese zweieinige Flamme der Liebe auseinanderzureißen, das ist für mich eine Klügelei, eine Grübelei, die mir überhaupt nicht in den Sinn kommt …“ (3)
Die Vernetzung von Gottes- und Nächstenliebe kommt auch in einem Dreizeiler von Ulrich Schaffer zum Ausdruck, geschrieben für einen lieben Menschen:
„Wenn ich dich ansehe, bildet sich in mir ein Gebet, aber ich bete dich nicht an.“ (4)
Die englische Dichterin Elizabeth Barrett Browning hat zu unserem Thema einen lockeren und doch ernsten und kritischen Text verfasst:
„Die Erde ist mit Himmel vollgepackt, und jeder gewöhnliche Busch brennt mit Gott; aber nur der, der es sieht, zieht die Schuhe aus; die anderen sitzen herum und pflücken Brombeeren.“ (5)
Der Psychotherapeut und Autor der „Gottesvergiftung“, Tilmann Moser hat diese Andacht genauer untersucht, die Barrett Browning fühlt und beschreibt. „Alle Dinge“, stellt er fest, „können eine Portion Andacht enthalten“ (6). Diese Fähigkeit dürfe sich aber nicht zu weit vom Menschen, von einem Du entfernen und müsse von der Beziehung zur Mutter ausgehend „im Laufe des Lebens weiter gefüllt werden: zum Vater hin, zu Freunden, in der Liebe, ja zur Kultur hin“ (7). Moser erlebt diese Andacht in der Arbeit mit seinen Patienten:
„Da entsteht mitunter eine solch große Verbundenheit und Nähe, da fühle ich mich eingehüllt in die Andacht zwischen uns, dass ich auch schon einmal gesagt habe: ‚In solchen Situationen empfinde ich mich als Diener Gottes´“ (8).
Welch großes und wunderbares Wort von einem Mann wie Tilmann Moser, der diese Fähigkeit zur Andacht in einem eigenen Werk „Gott auf der Couch“ intensiv beschrieben hat (9).
Wer nicht weiß, was Andacht ist, sollte besser nicht Theologie betreiben
Ich habe gerne und bewusst diese wunderbaren Beispiele hier eingefügt, um deutlich machen, wie die transparente großartige personale und apersonale Schöpfung ausstrahlt und den Menschen erfüllen kann. In diesen Texten erhalten Schöpfung und Geschöpfe eine Plattform, wo sie auftreten können. Hier wird Gott greifbar, sichtbar, hörbar. Das ist für mich gelebte Schöpfungstheologie, an die noch so großartige Deutungen nicht herankommen: Das Begreifliche ist eingebettet in das Unbegreifliche – und das Unbegreifliche wird spürbar in dem, was uns zugänglich ist. Da ist Hautnähe und Schleier. Da herrschen nicht Bildlosigkeit bzw. Begriffslosigkeit, Leere oder nacktes Sein, das manche Spirituelle anstreben, um an Gott heranzukommen. Da herrscht aber auch nicht wortreiche Vergewaltigung Gottes. Der/das Unbegreifliche wird am Greifbaren gespürt. Das Geheimnis ist an etwas gebunden, das man hören, sehen, fühlen, begreifen, schmecken kann. Mir missfällt ja beides: Die Entschleierung der Wirklichkeit - aber auch die Abstraktion des Göttlichen von der Wirklichkeit.
An den einfachen Beispielen kann man sehen, wie andächtiges Leben aussieht, wie der Hintergrund, das Geheimnis oder Gott als Güte und Freundlichkeit, aber auch als Herausforderung begriffen wird und wie diese Erfahrung Denken und Leben gestaltet. Für das gute christliche Handeln schwebt mir immer noch eine Erkenntnis aus den Unruhen der 68-ger Jahre vor, die mir irgendwann bewusst wurde. Sie lautet: Wer das gute Leben nicht kennt, der soll keine Revolution machen. Ich meine folgerichtig: Wer nicht weiß, was Andacht ist, sollte besser nicht Theologie betreiben.
Sowohl die andächtige Erfahrung als auch die ethische Tat haben den Charakter einer Gotteserfahrung. Im andächtigen Leben bekomme ich auch Abstand vom Tagesgeschehen – und nur so kann im Sinn von Albert Schweitzer die ethische Tat vorbereitet werden, die Bereitschaft zum Dienst, zur Hingabe, zum Teilen, zum Aufschrei, zum Widerstand, zur Umkehr usw. Auch sie – die ethische Tat - ist Einklang mit dem Absoluten. Der lebendige Gott kann sichtbar werden, wenn es uns gibt: „als Hand, die heilt,
Anmerkungen
1 Aus einer kirchlichen Missionszeitschrift, Quelle leider nicht mehr auffindbar 2 Aus: Materialpaket für die Vorbereitung und Gestaltung des Weltmissionssonntags 1986, hrsg. von Missio München 3 Leon Bloy, Briefe an seine Braut, Leipzig 1977, 30 4 Ulrich Schaffer, Quelle leider nicht mehr auffindbar 5 Elizabeth Barrett Browning, The Poetical Works, New York 1910,
übersetzt in www. bibelwerk.de, Materialpool 6 Hartmut Meesmann, Gottestherapie – „Von der Gottesvergiftung zu einem erträglichen Gott“ – Ein Gespräch mit dem Psychoanalytiker Tilmann Moser, Publik-Forum 6/2004, 47 7 Ebd. 47 8 Ebd. 48 9 Tilmann Moser, Gott auf der Couch, Gütersloh 2011, 20 ff. 10 Josef Dirnbeck / Martin Gutl, Ich begann zu beten, Graz 1975, 37
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