Genesis 2,4b-9.15-17:
»Vom Baum in der Mitte nicht!«
Hinführung zum Text:
Nach dem Abendessen
gibt es einen »paradiesischen« Früchtebecher. An diesen Gaumengenuss schließt
sich ein Gespräch über die biblischen Paradiesgeschichten an. Die Teilnehmer
des Kurses erzählen, was sie über das Paradies wissen. Das paradiesische
Verbot, vom Baum in der Mitte zu essen, versuche ich, möglichst exakt zu
erheben. Dann lesen wir den oben angegebenen Text.
1. Die Erarbeitung des
Textes
Wir nehmen wahr, was
der Text sagt. Wir wollen den Inhalt darstellen. Dazu suche ich sechs
Personen, die in folgende Rollen schlüpfen: Gott, Adam, Eva, Baum, Gebot,
Tod. Zusammen mit den Teilnehmern, die keine Rolle innehaben, erarbeite ich
die Positionen, die Blickrichtung, das Verhalten und die Sätze der Rollenträger:
»Gott« wird zum Zeichen seiner Würde auf einen Stuhl gestellt, ihm gegenüber
steht der »Baum«, drei bis vier Meter entfernt und ebenfalls auf einem Stuhl,
links von »Gott«, stehen in geringer Entfernung »Adam« und »Eva«, und hinter
beiden finden »Gebot« und »Tod« Platz. Einige Kissen hinter dem »Baum in der
Mitte« symbolisieren die übrigen »Bäume des Gartens«.
»Gott« sagt zu den Menschen: »Von allen Bäumen des Gartens dürft ihr essen,
doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse dürft ihr nicht essen; denn
sobald ihr davon esst, werdet ihr sterben.« »Adam« und »Eva« wiederholen
diesen Satz in der Wir-Form. Der »Baum« spricht: »Ich bin der Baum der
Erkenntnis von Gut und Böse; wer von mir isst, der wird sterben.« Das »Gebot«
spricht den ersten Teil des Gottessatzes, der »Tod« den zweiten Teil. Um die
Dramatik zu spüren, sprechen »Gott«, der »Baum«, das »Gebot« und der »Tod«
mehrere Male zusammen ihren Satz auf »Adam« und »Eva« hin, und diese
wiederholen dann ihren Satz. Diese Szene wird dann noch zweimal gespielt.
Dadurch steht nun der biblische Text klar und eindeutig im Raum.
2. Der Dialog mit dem
Text
Ich frage nun die Rollenträger nach ihrem Befinden und nach
ihren Gefühlen.
»Gott« sagt: »Ich bin zufrieden. Wenn sich die Menschen an mein Gebot halten,
läuft das Unternehmen Schöpfung.«
»Adam«: »Das Paradies ist gefährlich!« (und kratzt sich am Kopf). »Eva« sagt:
»Das ist genau der Gott, den ich nicht mag!«
Der »Baum« sagt: »Ich bin etwas Besseres.« Und: »Es geht mir gut.« Das
»Gebot« sagt: »Ich fühle, dass ich etwas ganz Wichtiges bin!« Und der »Tod«
lässt verlauten: »Ich bin der Gerichtsvollzieher, eine unangenehme Rolle.«
Nun schließt sich ein Gespräch zwischen den Menschen und »Gott« an. »Baum«,
»Gebot« und »Tod« sitzen an der Seite Gottes. »Eva« beginnt das Gespräch
geladen und vorwurfsvoll: »Einen solchen Gott, wie du es bist, hasse ich!«
»Gott« ist verwundert. »Adam« versachlicht das Gespräch und fragt nach dem
Sinn dieses Gebotes. »Gott« wirkt etwas verlegen, sagt aber dann: »Ich bin
Gott. Ich kann das.«
Das Gespräch geht in der Richtung weiter, dass die Menschen ihre Zweifel an
der Güte und dem Wohlwollen Gottes äußern; sie fragen, ob Gott ihnen
misstraue, warum er sie in Versuchung führe usw. »Gott« bleibt seiner Rolle
treu; was er geboten habe, habe er geboten; wer nicht hören wolle, müsse fühlen.
Die Fronten bleiben hart. Das Gespräch wird beendet.
3. Die Beurteilung der
Rolle Gottes innerhalb des Textes
»Gott« selber schwitzt
am Ende des Gespräches. Er sagt, dass er sich blöd vorkomme, er habe
eigentlich keine Argumente für seine Verfügung gefunden, er spüre, dass er
mit der Angst gearbeitet habe.
Die Menschen kritisieren, Gott vertraue zuerst den Menschen die ganze
Schöpfung an, dann nehme er ihnen wieder die Mitte. Kursteilnehmer werfen
Gott vor, er zwinge oder verführe die Menschen gleichsam zur Sünde.
Als Resultat wird festgestellt: In dieser Geschichte fühlt sich niemand wohl,
weder die Rollenträger noch die aktiven Zuhörer und Zuschauer. Menschen
erfahren einen Gott, in und mit dem man schlecht leben kann.
4. Die Konsequenzen aus
der Arbeit mit dem Text
Teilnehmer vergleichen
das eucharistische Ess- und Trinkgebot des Christentums mit dem »paradiesischen«
Essverbot.
In beiden Fällen geht es um den Willen Gottes, um das Leben mit Gott, um
Lebensmitte und Lebensmittel. Im Genesistext stehen der Baum und seine
Früchte im Mittelpunkt, in der eucharistischen Liturgie der Tisch und Brot
und Wein. Doch neben den Gemeinsamkeiten sind die Unterschiede unverkennbar:
Genesistext:
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Eucharistische Liturgie:
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Ausschluss
aus der Mitte
Verbot, zu essen
»Hände weg!«
»Nicht für euch!«
Frucht zum Tode
Sterben
Drohung
Gefahr, Gift
mageres Leben
Unzufriedenheit, Gier
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Einladung
zur Mitte
Gebot, zu essen
»Nehmt und esst!«
»Für euch!«
Brot des Lebens
Leben
Verheißung
Rettung, Lebensmittel
Leben in Fülle
Zufriedenheit, Sättigung
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Später erarbeite ich mit einer Kursteilnehmerin eine Alternative
zum Genesistext:
Gott erschuf
den Himmel:
mit Sonnensystemen unendlich an Zahl.
Gott erschuf die Erde:
mit Bergen und Tälern,
mit Quellen und Strömen,
mit Seen und Meeren.
Und er bedeckte die Erde:
mit Flechten und Moosen,
mit Gräsern und Blumen,
mit Sträuchern und Bäumen.
Samen und Früchte gab er
und Getier für Wasser, Luft und Erde.
Und alles blühte
und alles reifte
und alles mehrte sich
in diesem Garten
voll Duft und Farben,
voll Licht und Leben.
Und Gott überblickte Himmel und Erde
und freute sich.
Er sah, dass es gut war.
In die Mitte des Gartens
pflanzte Gott den Baum des Lebens,
den stattlichsten aller Bäume:
mit einem kräftigen Stamm,
mit tiefgründenden Wurzeln,
mit weitausladenden Ästen,
mit immergrünen Blättern,
mit köstlichen Früchten.
Garten und Baum
vertraute er dem Menschen an,
als Mann und Frau
von ihm gedacht und geschaffen:
mit Augen, um zu sehen,
mit Ohren, um zu hören,
mit Händen für Arbeit und Spiel,
mit Füßen zum Gehen und Stehen,
mit Sinnen zum Riechen und Schmecken,
mit Geist, um zu planen und zu entscheiden,
mit einem Herzen, um zu lieben.
Und Gott blickte auf den Menschen,
auf den Mann und auf die Frau,
und freute sich.
Er sah, dass es gut war.
Und Gott sprach:
Dir, Mann, und Dir, Frau,
übergebe ich Garten und Baum.
In eure Obhut übergebe ich alles.
Ohne Einschränkung übergebe ich es.
An Nichts soll es euch mangeln.
Hunger und Verschwendung
seien euch fremd,
Armut und Habgier
seien euch fern.
Es gelinge euch das rechte Maß.
Nehmt von allem und esst!
Nehmt von allem und teilt!
Nehmt von allem und gebt weiter!
Und nochmals sprach Gott:
Der Baum in der Mitte,
der Baum des Lebens,
das bin ich für euch.
Nehmt davon und esst!
Nehmt davon und teilt!
Nehmt davon und gebt weiter!
So seid ihr lebendig,
so bleibt ihr lebendig.
Wer isst, wer teilt, wer weitergibt,
der lebt.
Wer nicht isst, wer nicht teilt, wer nicht weitergibt,
der lebt nicht.
Nehmt von diesem Baum.
Nehmt von eurem Gott.
Und der Mensch aß vom Baum des Lebens.
Der Mann gab der Frau -
und sie aß.
Und die Frau gab dem Mann -
und er aß.
Beide nahmen, aßen, teilten
und gaben weiter:
an Söhne und Töchter,
an Kinder und Kindeskinder.
Und alle waren glücklich und voll Leben.
Und Gott blickte auf den Menschen
und freute sich.
Er sah, dass sein Werk wohlgelungen war.
Aus: Lorenz Zellner: „Gottestherapie“
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