Bibel-Themen

Lorenz Zellner

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Matthäus 25,1-13:  Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen

 

Bei einem Kurs saßen sie auf sechs Stühlen, sechsmal eine Gottesgestalt. Ich hatte sechs neutestamentliche Gottesgeschichten ausgewählt und sechs Kursteilnehmer gebeten, sich in das Gottesbild je einer Geschichte einzufühlen. Es handelt sich um die Texte Matthäus 5,45; 20,1-15; 22,1-14; 25,1-13; Lukas 15,8-10 und 15,11-19.
Nach einer entsprechenden Einfühlungszeit kommt ein Kursteilnehmer als Gottsucher zu den sechs Gottesgestalten und klopft diese mit seinen Fragen ab: »Ich suche Gott. Ich habe ihn verloren. Ich will wissen, ob du der Richtige bist
In bleibender Erinnerung ist mir das Gespräch des Gottsuchers mit der Gottesgestalt in Matthäus 25,1-13 geblieben: mit dem Gott aus dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen. Der Gottsucher steht vor einem harten und unerbittlichen Gott, der seinem Gegenüber immer wieder erklärt und beteuert: »Ich habe recht gehandelt; die fünf Törichten haben ja gewusst, wo es entlang geht Darauf wendet sich der Gottsucher enttäuscht und sprachlos ab.

1. Die Erarbeitung des Textes Matthäus 25,1-13
Dieser Text kommt in der religiösen Bildungsarbeit immer wieder ins Gespräch. Er ruft Widerspruch und Unbehagen hervor und ist auch vielen widersprüchlichen Interpretationen ausgesetzt. Ich erarbeite die Kernaussage des Textes gewöhnlich in der Weise, dass eine Gruppe von Teilnehmern den Inhalt dieses Gleichnisses in den Rahmen des Gleichnisses vom verlorenen Sohn (Lukas 15,11-19) bringt und eine andere Gruppe den Inhalt des Gleichnisses vom verlorenen Sohn in den Rahmen von Matthäus 25,1-13.
Der Arbeitsgang ist sehr einfach: Die erste Gruppe schildert die Anstrengungen des verlorenen Sohnes, heimzukommen. Aber kein Vater hält Ausschau, kein Vater läuft ihm entgegen, kein Vater küsst ihn, kleidet ihn neu und feiert ein Fest. Der heimgekehrte Sohn steht vor verschlossenem Haus und schreit: »Vater, Vater, mach mir auf Nach langer Zeit öffnet der Vater ein Fenster und schreit hinaus: »Hinweg mit dir! Amen, ich sage dir, ich kenne dich nicht
Die zweite Gruppe schildert die Trauer der fünf törichten Jungfrauen über ihre Unbekümmertheit und ihren Leichtsinn, aber auch ihr Vertrauen in die Güte und Vergebungsbereitschaft ihres Herrn. Als sie sich dem Hochzeitssaal nähern, steht der Herr bereits an der Türe. Als er sie von weitem kommen sieht, läuft er ihnen freudig entgegen und umarmt und küsst sie. Er lässt sie gar nicht lange mit ihrer Entschuldigung zu Wort kommen, sondern krönt sie mit dem Hochzeitskranz und geleitet sie in den Saal. In seiner Eröffnungsrede gibt er seiner Freude Ausdruck, dass alle da sind und dass man nur so richtig feiern könne.
Nach Beendigung der Gruppenarbeit werden die beiden neuen Texte vorgelesen. Der Sachverhalt und das Urteil darüber sind so klar, dass man sich einen weiteren Dialog mit dem Text und ein längeres Beurteilungsgespräch sparen kann.

2. Die Weiterarbeit mit dem Text
Mich hat die Begegnung mit Matthäus 25,1-13 zu folgender Neufassung gereizt. Als Überschrift habe ich gewählt:

Die Seligkeit, wie Gott sie will  ...

Zu einem weisen Lehrer, aus dem der Geist Jesu sprach,
kamen Männer und Frauen und fragten:
Wie schaut die Seligkeit aus, wie Gott sie will?
Zeig uns ein Bild der seligen Endzeit!

Der Weise - Zacharias war sein Name -
erzählte eine Geschichte:

Die Seligkeit, wie Gott sie will,
kann man mit einer Hochzeit vergleichen,
zu der alle Geladenen kommen,
bei der auch niemand fehlt.

Einmal geschah es,
dass zehn Jungfrauen zu einer Hochzeit geladen waren.
Als es Zeit war, nahmen sie ihre Fackeln,
um den Bräutigam einzuholen
und in das Haus der Braut zu geleiten.
Fünf von ihnen waren nachlässig, und fünf waren aufmerksam.
Die nachlässigen nahmen ihre Fackeln mit, aber kein Öl,
die aufmerksamen nahmen außer den Fackeln auch Öl in Krügen mit.

Als nun der Bräutigam lange nicht kam,
wurden alle müde und schliefen ein.
Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe:
Der Bräutigam kommt!
Geht ihm entgegen!

Da standen alle Jungfrauen auf und machten ihre Fackeln zurecht.
Die nachlässigen aber sagten zu den aufmerksamen:
Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Fackeln aus.
Die aufmerksamen sie - waren auch nicht die besten - erwiderten:
Dann reicht es weder für uns noch für euch;
geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht.

Während sie unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam.
Die Jungfrauen, die bereit waren,
gingen mit ihm in den Hochzeitssaal.
Als die Freunde des Bräutigams die Türe schließen wollten,
sagte dieser: Lasst die Türe offen!
Wie kann ich feiern, wenn das Haus nicht voll ist!
Wie kann die Braut glücklich sein, wenn ihre Freundinnen fehlen!
Wie kann Freude aufkommen, wenn Plätze leer bleiben!

Die nachlässigen Jungfrauen hatten inzwischen Öl gekauft.
Sie hatten einen Kaufmann gefunden, der sich ihrer erbarmte.
Hoffend und bangend machten sie sich auf den Weg.

Der Bräutigam, von allen Seiten gedrängt, das Fest zu eröffnen,
bat immer wieder um noch etwas Geduld.
Man sah ihn oft zur Türe eilen
und nach den nachlässigen Jungfrauen Ausschau halten.
Sie sollten nicht aus Angst draußen bleiben.
Sie sollten nicht vor dem Haus klagen und weinen,
während im Haus gefeiert und getanzt wurde.

Plötzlich sah er Lichter, die aus dem Dunkel näher kamen,
er hörte leise Laute und schnelle Schritte:

Die nachlässigen Jungfrauen standen vor ihm.
Noch bevor sie ein Wort sagen konnten, bat er sie herein
und führte sie zur Braut.
Diese umarmte sie herzlich -
und das Fest konnte beginnen.

So ist es mit der seligen Endzeit,
sagte der weise Zacharias und zog sich zurück.

Unter seinen Zuhörern war ein Mann namens Matthäus.
Dieser dachte bei sich:
Diese Geschichte ist zu gut!
Das geht zu weit!
Das würde den Leuten so passen!
Ja, wo kommen wir da hin!
Auch die Hellenen erzählen seit kurzem ähnliche Geschichten
(eine kann man noch heute in Lukas15,11-24 nachlesen).

Und Matthäus schrieb eine Variante,
die seinem Denken entsprach  und dem Denken vieler seiner Zeit
(sie ist in der Bibel unter Matthäus 25,1-13 zu finden).

Matthäus schrieb von einem Bräutigam,
der unnachgiebig ist,
der die Türe versperrt,
der auch mit der Hälfte feiern kann.
Er dachte an ein Ende, das vor der Tür steht,
an eine Sintflut, die jeden Tag hereinbrechen musste,
an ein Gericht, das erbarmungslos die Sünder trifft.

Und um alle Zweifel zu beseitigen
und jeder Laschheit einen Riegel vorzuschieben,
mischte er sein »Gleichnis« unter die Worte und Geschichten,
die Jesus zu Lebzeiten gesprochen und erzählt hatte.

Manche Christen kannten sich daraufhin nicht mehr aus.
Doch für die Exegeten begann ein blühendes Geschäft.
Eta Linnemann allein hat in ihrem Buch »Gleichnisse Jesu« 288 Titel
verarbeitet, die eines klar herausstellen
Es ist sehr schwierig, »verspätete« Worte Jesu als »Wort Gottes« »beim Wort zu nehmen«.

Der weise Zacharias aber lebt längst in der Freude der seligen Endzeit -
zusammen mit nachlässigen und aufmerksamen Jungfrauen, mit kleineren und größeren Sündern.

Aus: Lorenz Zellner: „Gottestherapie“

 

 

 

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