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Ein
problematisches Ziel:
Ein Hauptziel
traditionell-christlicher Wertvorstellungen bestand viele Jahrhunderte darin,
durch Sündenfreiheit das ewige Leben zu gewinnen, also „in den Himmel zu
kommen“. Deshalb bestand die Notwendigkeit, die Beichte möglichst unmittelbar
vor dem Tod abzulegen und das Bußsakrament möglichst häufig und regelmäßig
zu empfangen, damit man nicht durch einen plötzlichen Tod mit Sünden belastet
vor Gott hintreten müsse und die Gefahr einer ewigen Verdammung bestehe. Aber wenn
„Sündenfreiheit“ das wichtigste Ziel ist, wird „Sündenvermeidung“ neben einer
häufigen Beichtpraxis zur wichtigsten Strategie, um dieses Ziel zu erreichen.
Sündenvermeidung aber verführt zur Passivität: denn je mehr Aktivitäten wir
entwickeln, desto eher sind wir in Gefahr, etwas Falsches zu tun und an
anderen Menschen schuldig zu werden. Wer hat es noch nicht erlebt, dass er
mit ehrlicher Absicht für andere oder für die Allgemeinheit etwas Gutes tun
wollte und dann entdecken musste, dass er dabei jemanden enttäuschte oder
verletzte oder übersah, und plötzlich mit einem unangenehmen Konflikt
konfrontiert war, mit dem er nie gerechnet hatte. Daraus folgern manche: Je
weniger du tust und je weniger du mit anderen Menschen zu tun hast, desto
weniger bist du in Gefahr, schuldig zu werden. Und wenn schon „Gute Werke“
neben der Sündenfreiheit auch noch für die Erreichung des ewigen Heils bei
Gott notwendig sind, dann machen das manche Gläubige mit Spenden, bei denen
man sich nicht mit Problemen auseinandersetzen muss und bei denen man nicht
mit Not leidenden Menschen längerfristig in Kontakt kommt. Auf diese Weise
gerät man nicht so leicht in Konflikte. So
verführt das Ziel der „Sündenfreiheit durch Sündenvermeidung“ dazu, sich aus
den schwierigen und langfristigen Problemen herauszuhalten, „sich die Hände
nicht schmutzig zu machen“ und anderen die unangenehmen Entscheidungen zu
überlassen, um sich so „eine reine Weste“ zu bewahren. Da zudem
der Wert des Gehorsams in manchen kirchlichen Kreisen fast alle anderen Werte
übertrifft, schien es für sehr gewissenhafte Menschen durchaus realistisch,
durch striktes Befolgen aller religiöser Vorschriften Sündenfreiheit zu
erreichen. Aber in einem Christentum, das sich unmittelbar an der Botschaft
Jesu orientiert, geht es um Phantasie und Kreativität für den Aufbau des
„Reiches Gottes“, geht es um Mitarbeit für die Entwicklung einer wahrhaft
menschlichen Welt, um ein „Unternehmertum“ für seelische Reifung und Heilung
individueller und gesellschaftlicher Art. Unternehmerisches Handeln aber ist
nach vorne, in die Zukunft hinein, offen, ist immer wieder eine Suchbewegung,
erfordert Risikobereitschaft und den Mut, neue Wege zu gehen. Dabei gibt es
auch Irrwege, Misserfolge und falsche Entscheidungen. Lebendig gelebtes
Christentum im Sinne Jesu rechnet deshalb natürlicherweise auch mit dem
Schuldigwerden, aber macht daraus nicht das Drama, als das es bei vielen
gläubigen Menschen betrachtet wird, die „Schuld“ für eine Trennung von Gott
halten. Problematischere
Schuld dagegen ist aus dieser Perspektive dort vorhanden, wo Menschen in
egoistischem Streben um das persönliche Seelenheil eine Sündenvermeidungsstrategie
entwickeln, die zur Passivität und Gleichgültigkeit gegenüber den kleinen und
großen Leidenssituationen in ihrer Umgebung führen.
Aus: „Ich bin schuld – Der sinnvolle Umgang mit Schuldgefühlen“ Kap. „Der Unschuldswahn“ von Manfred Hanglberger, Topos-plus-Taschenbuch, Pustet-Verlag, Regensburg >>>
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