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Lebenssinn und
Spiritualität
Für den Menschen, der mit der Existenz Gottes rechnet, ist Gott der
Garant für eine verborgene Sinnstruktur im Leben des einzelnen Menschen wie
für die ganze Schöpfung.
>>> In einer spirituellen Erfahrung wissen sich
gläubige Menschen mit ihm verbunden, wenn sie z.B. tief ausatmen und sich
dabei innerlich so fallen lassen, dass sie die Vorstellung haben, sie werden
von einer gütigen und wohlwollenden Hand aufgefangen.
>> Diese Erfahrung von
Geborgenheit ermöglicht ihnen einen inneren Frieden,
dass sie sich nicht mit ihren innersten Gedanken und Gefühlen verstecken
müssen,
sondern sich mit der ganzen Vielfalt und Gegensätzlichkeit ihrer Innenwelt
umfassend wahrgenommen und angenommen empfinden.
>> Dadurch können sie sich
selbst innerlich anschauen und annehmen,
um auf dem Weg zu sich selbst und bei der Sortierung und dem Verstehen der
Signale und Energien ihrer psychischen Welt voranzukommen.
>> So können sie die Angst
vor dem aushalten, was alles in ihnen lähmend, bedrückend und bedrohlich
aufsteigen kann, und können es als zu sich dazugehörig akzeptieren.
>>> Eine weitere spirituelle Erfahrung ist ein tiefes
Dazugehörigkeitsgefühl zu der Welt, die uns umgibt!
Sie schenkt eine Verbundenheit mit der großen Lebensgemeinschaft aller Wesen.
Mitgefühl mit der Freude wie mit dem Leid der anderen kann sich entfalten.
Aber das Mitgefühl braucht eine Kultivierung;
- einerseits, damit es uns nicht so überflutet, dass wir uns selbst
verlieren, z.B. vom schmerzhaften Schicksal von Mitmenschen oder auch Tieren
völlig besetzt und psychisch gelähmt zu werden,
- andererseits, damit wir vor lauter Schutz- und Abgrenzungsverhalten nicht
hart und gleichgültig werden.
- Dazu kann das Gebet eine entscheidende Hilfe sein. Es hält die Wahrnehmung
und damit das Mitgefühl lebendig und gibt eine überfordernde Verantwortung
ab, bewahrt aber die Hoffnung und die Vision für eine Heilung und Erlösung.
Denn eine ehrliche und grenzenlose Öffnung des Seele für das Leid der Welt bringt
uns leicht in eine bedrückende Depression und Verzweiflung oder um es mit
einem Wort von Lessing zu sagen: “Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht
verliert, der hat keinen zu verlieren”
>>> Gegen die Tendenz eines
rücksichtslosen Egoismus braucht es die Kultivierung des
Verantwortungsgefühls: Eine gesunde Spiritualität entwickelt die Wahrnehmung
dafür, dass uns jeden Augenblick Lebensnotwendiges zufließt, jeden Augenblick
bin ich vernetzt in ein wunderbares Geflecht von Kräften und Ordnungen der Natur,
jeden Augenblick bin ich ein Empfangender. Leben aber kann nur
langfristig existieren, wenn es Austausch und Dialog gibt, wenn es ein Geben
und Nehmen gibt. Ver-Antwortung bedeutet Antwort
geben auf die stille Botschaft meiner Lebensvernetzung.
>> Es kommt darauf an, dass
ich mit meinem Bewusstsein und mit meiner Wahrnehmung als Mensch, mit meinen
außerordentlichen Fähigkeiten, die mir gegeben sind, Zusammenhänge des Lebens
und der Natur zu erkennen und Einfluss zu nehmen, bereit bin, dem Zusammenleben
der großen Gemeinschaft zu dienen.
>> Wir haben allzu lange
unsere menschlichen Fähigkeiten vor allem benutzt, die Natur zu knechten, sie
rücksichtslos auszubeuten und zu unterdrücken – ohne Gefühl für das Leid der
Tiere, ohne Gespür für den Wert der Wälder, ohne Achtung vor dem Leben der
großen und kleinen Bewohner des Wassers und Lüfte, ohne
Wahrnehmungsbereitschaft für die Verschmutzung der Meere und der Zerstörung
der schützenden Luftschichten.
>> Es geht darum, endlich
unsere große Aufgabe, gute Schützer und Bewahrer der großen
Lebensgemeinschaft der Erde zu übernehmen.
>>> Wenn Jesus in manchen
Gleichnissen vom abwesenden Gott spricht, der den Menschen als
eigenverantwortlichen Verwalter eingesetzt hat, nicht gängelnd und
entmündigend, nicht als Diener und Knecht, sondern als umsichtigen,
liebevollen Pächter ohne Pachtzins, so sieht der gläubige Mensch Gott nicht
als Herrscher, sondern als „Beseeler“ seiner
Geschöpfe und der Verbundenheit aller Wesen miteinander.
Wer ein tiefes Dazugehörigkeitsgefühl
entwickelt und etwas spürt von der Verbundenheit aller Geschöpfe miteinander,
erfährt etwas von dieser Art der Wirklichkeit Gottes.
>>> Für den zeitgemäß
gläubigen Menschen hat die innere Verbundenheit mit Gott mit der Motivation
zur persönlichen Sinnsuche zu tun,
aber auch mit dem Durchstehen von Ängsten und Unsicherheiten auf dem Weg, die
eigene Originalität zu entdecken und zu verwirklichen,
ebenso mit der Ausrichtung des eigenen Lebens auf eine Ganzheitlichkeit, die dem menschlichen Wesen
angemessen ist
und nicht zuletzt mit der Motivation, das Leben im gesunden Wechselspiel von
Empfangen und Geben zu gestalten, geprägt sowohl von Dankbarkeit wie auch der
Bereitschaft, dem Leben in liebender Sorge zu dienen.
Das Wirken Gottes wird also verstanden als innere Wegbegleitung und
Kraftquelle
- zu einem tiefen Selbstwertgefühl,
- zu einem umfassenden Dazugehörigkeitsgefühl zum Ganzen des Daseins
- und zu der Bereitschaft, das eigene Leben im Netzwerk des Daseins
verantwortungsvoll zu gestalten.
>> Sinnvolle Erziehung und
spirituelles und seelsorgliches Bemühen müssen dann darauf gerichtet sein,
Menschen zu immer mehr Mündigkeit, Selbstständigkeit, aber auch zu
umfassender Verantwortungsfähigkeit zu führen.
Und dafür braucht es vorrangig nicht die Verkündigung von Vorschriften, von
Geboten und Verboten, sondern die Einübung einer eigenständigen Wahrnehmung von Werten.
Eine Kultur der Wertewahrnehmung,
nicht nur der Werteverkündigung, ist lebendige und zeitgemäße Religiosität.
von Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de)
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