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Genesis 22: Die Erzählung „Gott prüft den Abraham“

Wie diese biblische Geschichte vielleicht entstanden sein könnte:

(Vielleicht war es aber auch ganz anders)

Es lebte um 900 Jahre vor Christus ein junger Priester mit Namen Simeon aus dem Stamm der Leviten zusammen mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn im Lande Israel. Nun war die Frau von Simeon schwer krank geworden. Da sagte sein Schwiegervater, der auch dem Priester­ge­schlecht angehörte, zu ihm:
„Du musst euren Sohn Gott als Opfer darbringen, damit dieser sieht, dass du ihm ganz vertraust und ihn achtest; dann wird er auch deine Gebete erhören. Auch unser König hat seinen eigenen Sohn geopfert, als äußere Feinde ihn bedrohten, und hat daraufhin seine Feinde mit Gottes Hilfe besiegt. Opfere euren Sohn – vielleicht wird Gott dann das Leben deiner Frau retten.
Und der alte Priester fuhr fort: „Früher waren die Menschen gläubiger und opferbereiter! Da befolgten sie das alte Gesetz Gottes, das im Zweiten Buch Mose, im 13. Kapitel, aufgeschrieben ist: dass jedes männliche Erstgeborene einer Frau oder eines Muttertieres, Gott geopfert werden muss. Aber die Menschen wollen es sich immer leichter machen. Deshalb haben sie vor einiger Zeit begonnen, statt ihres erstgeborenen Kindes ein Tier zu opfern. Nur wenn sie in großer Sorge sind, sind manche wieder bereit, ein Kind zu opfern. Je mehr wir Gott zu geben bereit sind, desto mehr dürfen wir hoffen, seine Hilfe zu erfahren. Deshalb zeige Gott, dass du ihn so sehr achtest, dass du dein Liebstes, deinen Sohn, ihm übergibst.“

Wieder zuhause angekommen schaute Simeon seine Frau an, die er so sehr liebte, und er schaute seinen Sohn an, der seinem Herzen so nahe war, und er war ob der Worte seines Schwiegervaters völlig verzweifelt.
Simeon war ein sehr gläubiger junger Priester, der überzeugt war, dass Gott seinem Volk sehr verbunden war und es durch die Jahrhunderte schon oft in schweren Nöten gerettet hatte.
Am Abend konnte er nichts mehr essen und alle Freude am Leben schien zerstört zu sein. Sein Grübeln und seine Verzweiflung ließen ihn viele Stunden nicht einschlafen, sondern er wälzte sich nur unruhig im Bett hin und her. Doch als er plötzlich einschlief, hatte er einen aufregenden Traum:
Er träumte, dass er in seinem Garten einen Holzstoß aufschlichtete und seinen Sohn darauf festband, um ihn als Schlachtopfer Gott darzubringen. Er spürte keine Gefühle dabei; er handelte wie ein Mechanismus. Als er das Messer hob, um seinen Sohn zu töten, spürte er plötzlich, dass jemand seine Hand festhielt, und er hörte eine Stimme: „Nein! Tu deinem Kind nichts zuleide! Gott will nicht, dass Eltern ihre Kinder opfern!“ Da drehte er sich um und sah eine junge schöne Frau. Er fragte sie: Wer bist du?“ Da antwortete sie: „Ich bin die Mutter deiner Frau. Sie war noch ein kleines Kind, als ich gestorben bin. Ich bin immer da bei euch. Wenn ihr mich bittet, kann ich euch meinen Segen schenken.“
Vor Freude wachte Simeon auf, weckte seine Frau auf und erzählt ihr ganz aufgeregt seinen Traum. Dann setzten sich beide im Bett auf und beteten zur Mutter der Frau und baten sie um ihren Segen für ihre Familie. Da wich das Fieber von der Frau, sie konnte aufstehen und essen und wurde wieder gesund.

Und Simeon erzählte alles seinem Schwiegervater, der davon sehr aufgewühlt war. Und nach langem Schweigen sagte der alte Priester zu seinem Schwiegersohn: „Wahrhaftig, hier hat Gott durch meine verstorbene erste Frau, die sehr fromm und klug war, zu dir gesprochen. Diese Offen­barung müssen wir dem Volk Israel kundtun, damit die Menschen in rechter Weise zu beten lernen, statt ihre Kinder zu opfern.

Aber, sagte er, wir müssen die Geschichte so schreiben, dass sie schon unser Stammvater Abraham erlebt hat, damit sie größere Autorität bekommt. Und wir müssen sie so erzählen, dass Abraham von Gott geprüft wird und er tatsächlich bereit gewesen wäre, seinen Sohn zu opfern; denn manche Leute meinen, wer mehr zu opfern bereit ist, ist gläubiger und kann mit der größeren Hilfe Gottes rechnen. Sonst werden diese sagen, dass diese Geschichte nur die Opferbereitschaft der Menschen zerstören wolle und dadurch würde das Volk des Segens Gottes beraubt werden. Denn manche bekommen schlimme Schuldgefühle, wenn sie nicht ihr Wertvollstes, ihre Kinder, zu opfern bereit sind, wenn sie in großer Sorge sind.

Bis tief in die Nacht hinein überlegten die beiden, wie die Geschichte lauten müsse, damit sie die Menschen von dem tödlichen inneren Zwang befreie, sie müssten Gott ihre Kinder opfern, damit sie seines Segens und seines Beistandes sicher sein konnten. Und so schrieben sie folgende Geschichte:

In jenen Tagen stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm: Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, Isaak, geh in das Land Morija, und bring ihn dort auf einem der Berge, den ich dir nenne, als Brandopfer dar.
Frühmorgens stand Abraham auf, sattelte seinen Esel, holte seine beiden Jungknechte und seinen Sohn Isaak, spaltete Holz zum Opfer und machte sich auf den Weg zu dem Ort, den ihm Gott genannt hatte. Als Abraham am dritten Tag aufblickte, sah er den Ort von weitem. Da sagte Abraham zu seinen Jungknechten: Bleibt mit dem Esel hier! Ich will mit dem Knaben hingehen und anbeten; dann kommen wir zu euch zurück. Abraham nahm das Holz für das Brandopfer und lud es seinem Sohn Isaak auf. Er selbst nahm das Feuer und das Messer in die Hand. So gingen beide miteinander.
Nach einer Weile sagte Isaak zu seinem Vater Abraham: Vater! Er antwortete: Ja, mein Sohn! Dann sagte Isaak: Hier ist Feuer und Holz. Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer? Abraham entgegnete: Gott wird sich das Opferlamm aussuchen, mein Sohn. Und beide gingen miteinander weiter. Als sie an den Ort kamen, den ihm Gott genannt hatte, baute Abraham den Altar, schichtete das Holz auf, fesselte seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz.
Schon streckte Abraham seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel her zu: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Jener sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus, und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten.
Als Abraham aufschaute, sah er: Ein Widder hatte sich hinter ihm mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen. Abraham ging hin, nahm den Widder und brachte ihn statt seines Sohnes als Brandopfer dar. Abraham nannte jenen Ort Jahwe-Jire (Der Herr sieht), wie man noch heute sagt: Auf dem Berg lässt sich der Herr sehen.
Der Engel des Herrn rief Abraham zum zweitenmal vom Himmel her zu und sprach: Ich habe bei mir geschworen - Spruch des Herrn: Weil du das getan hast und deinen einzigen Sohn mir nicht vorenthalten hast, will ich dir Segen schenken in Fülle und deine Nachkommen zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und den Sand am Meeresstrand. Deine Nachkommen sollen das Tor ihrer Feinde einnehmen. Segnen sollen sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde, weil du auf meine Stimme gehört hast.



Aber in unserer Zeit sagen manche gläubige Menschen:
„Das ist keine gute Gottes­ge­schich­te. Diese Geschichte hat zwar in früheren Zeiten vielen Kindern das Leben gerettet. Für damals war sie eine wertvolle und starke seelische Medizin. Aber sie hat auch gefährliche Neben­wir­kun­gen“:

1. Diese Geschichte stellt Gott als sadistischen Menschentester dar. Das ist ein grausames und gefährliches Spiel mit den Gefühlen und dem Glauben eines Menschen.
Ein Vater, von dem in unserer Zeit bekannt würde, dass er bereit wäre, wegen seines Glaubens ein Kind zu opfern, würde schleunigst als geisteskrank in die Psychiatrie eingeliefert werden.

2. In dieser Geschichte werden die Gefühle und der Wille der Mutter völlig ausgeklammert. Da nimmt der Mann die Frau nicht wahr und nicht ernst. Er allein entscheidet über Leben und Tod eines Kindes: Eine schrecklich patriarchalistische Geschichte.

3. In dieser Geschichte betrachtet der Vater seinen Sohn als seinen Besitz, wie eine Sache, mit der er machen kann, was er will. Das Kind besitzt keine eigene Würde, kein von den Eltern unabhängiges Lebensrecht. Die Tötung eines Kindes durch die eigenen Eltern gilt nicht als Verbrechen.

4. In dieser Geschichte gibt es ein Konkurrenz-Verhältnis zwischen der Liebe und Treue gegenüber Gott und der Liebe und Treue gegenüber Frau und Kind. Das ist ein falsches und gefährliches Gottesbild! Denn Gott wird geliebt und geachtet gerade auch durch die echte Liebe und Treue gegenüber Ehepartner und Kindern!

5. In dieser Geschichte glauben die Menschen immer noch, dass Gott Opfer von den Menschen für sich erwartet: Wenn nicht ein Kind, dann ist stattdessen ein Tier „für Gott“ zu töten. Es muss Blut fließen! Aber schon der Prophet Hosea verkündete 750 v. Chr. im Namen Gottes: „An Liebe habe ich Wohlgefallen, nicht an Schlachtopfern“ (Hos 6,6; ähnlich: Jes 1,11; Jer 7,22; Mt 9,13).
Nicht für Gott gilt es, Opfer zu bringen, sondern für den bedürftigen Mitmenschen, für eine gerechtere Welt, für die leidende Schöpfung, für das eigene seelische Wohlergehen – das ist der Wille Gottes. Nicht Rückgabe an den Geber aller Gaben, sondern Weitergabe ist das ursprüngliche christliche Opferverständnis!

 

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Der Familientherapeut B. Hellinger hat zu der biblischen Abrahams-Isaak-Erzählung eine analoge Doppelerzählung formuliert. Diese deckt die problematischen Beziehungen in der biblischen Originalgeschichte auf. Dadurch entlarvt er diese biblische Erzählung als eine für unsere Zeit völlig unbrauchbare und irreführende Geschichte, die keinen Wahrheitsanspruch über Gott oder über einen gültigen christlichen Glauben beanspruchen kann:

 

Der Glaube

 

Ein Mann träumte in der Nacht er habe die Stimme Gottes gehört, die ihm sagte: "Steh auf, nimm deinen Sohn, deinen einzigen Geliebten. Führe ihn auf den Berg, den ich dir zeigen werde und bringe ihn mir dort als Schlachtopfer dar." Am Morgen stand der Mann auf, schaute seinen Sohn an, seinen einzigen Geliebten, schaute seine Frau an, die Mutter des Kindes, schaute seinen Gott an. Er nahm das Kind, führte es auf den Berg, baute einen Altar, band ihm die Hände, zog das Messer, hob es zum Schlachten. Da hörte er eine andere Stimme und schlachtete statt seines Sohnes ein Schaf. Wie schaut jetzt der Sohn den Vater an, wie der Vater den Sohn, wie die Frau den Mann, wie der Mann die Frau, wie schauen sie Gott an und wie schaut Gott, wenn es ihn gibt, sie an?
Und einem anderen Mann träumte in der Nacht, er habe die Stimme Gottes gehört, die ihm sagte: "Steh auf, nimm deinen Sohn, deinen einzigen Geliebten." Führe ihn auf den Berg, den ich dir zeigen werde und bringe ihn mir dort zum Schlachtopfer dar." Am Morgen stand der Mann auf, schaute seinen Sohn an, seinen einzigen Geliebten, schaute seine Frau an, die Mutter des Kindes, schaute seinen Gott an. Dann gab er zur Antwort: "Ich tue das nicht." Wie schaut der Sohn den Vater an, wie der Vater den Sohn, wie die Frau den Mann, wie der Mann die Frau, wie schauen sie Gott an und wie schaut Gott, wenn es ihn gibt, sie an?

Bert Hellinger (Aus seinem Buch: „Zweierlei Glück“)

 

Es gibt im Alten Testament auch eine Erzählung über die Opferung einer Tochter, die aber im Gegensatz zum Sohn Abrahams nicht gerettet wurde:

 

Jiftach und seine Tochter (Ri 11, 29-40)

 

Da kam der Geist des Herrn über Jiftach und Jiftach zog durch Gilead und Manasse nach Mizpa in Gilead und von Mizpa in Gilead zog er gegen die Ammoniter. 30 Jiftach legte dem Herrn ein Gelübde ab und sagte: Wenn du die Ammoniter wirklich in meine Gewalt gibst 31 und wenn ich wohlbehalten von den Ammonitern zurückkehre, dann soll, was immer mir (als Erstes) aus der Tür meines Hauses entgegenkommt, dem Herrn gehören und ich will es ihm als Brandopfer darbringen. 32 Darauf zog Jiftach gegen die Ammoniter in den Kampf und der Herr gab sie in seine Gewalt. 33 Er schlug sie im ganzen Gebiet zwischen Aroër und Minnit bis hin nach Abel-Keramim vernichtend (und nahm) zwanzig Städte (ein). So wurden die Ammoniter vor den Augen der Israeliten gedemütigt. 34 Als Jiftach nun nach Mizpa zu seinem Haus zurückkehrte, da kam ihm seine Tochter entgegen; sie tanzte zur Pauke. Sie war sein einziges Kind; er hatte weder einen Sohn noch eine andere Tochter. 35 Als er sie sah, zerriss er seine Kleider und sagte: Weh, meine Tochter! Du machst mich niedergeschlagen und stürzt mich ins Unglück. Ich habe dem Herrn mit eigenem Mund etwas versprochen und kann nun nicht mehr zurück. 36 Sie erwiderte ihm: Mein Vater, wenn du dem Herrn mit eigenem Mund etwas versprochen hast, dann tu mit mir, was du versprochen hast, nachdem dir der Herr Rache an deinen Feinden, den Ammonitern, verschafft hat. 37 Und sie sagte zu ihrem Vater: Nur das eine möge mir gewährt werden: Lass mir noch zwei Monate Zeit, damit ich in die Berge gehe und zusammen mit meinen Freundinnen meine Jugend beweine. 38 Er entgegnete: Geh nur!, und ließ sie für zwei Monate fort. Sie aber ging mit ihren Freundinnen hin und beweinte ihre Jugend in den Bergen. 39 Als zwei Monate zu Ende waren, kehrte sie zu ihrem Vater zurück und er tat mit ihr, was er gelobt hatte; sie aber hatte noch mit keinem Mann Verkehr gehabt. So wurde es Brauch in Israel, 40 dass Jahr für Jahr die Töchter Israels (in die Berge) gehen und die Tochter des Gileaditers Jiftach beklagen, vier Tage lang, jedes Jahr.

 



Von Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de)

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>> Deutung von Gen 22: Vom Gebot zum Verbot der Kindesopferung

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>> Eine Geschichte zum „Turmbau von Babel“ (Gen 11)

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