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Die Bedeutung der Gefühle Interview mit Manfred
Hanglberger anlässlich der
Veröffentlichung seines Schuldgefühle-Buches in ungarischer Sprache (2009). |
Frage:
Herr Hanglberger, wie sind Sie auf das Bücher-schreiben gekommen? Antwort: Weil mich nach Besinnungstagen und
nach Vorträgen immer wieder Zuhörer gefragt haben, ob es das, was ich da
erzählt habe, auch irgendwo zum Nachlesen gibt; bzw. ob ich
das nicht auch einmal schriftlich veröffentlichen würde, damit man es
nochmals nachlesen könnte. Deshalb habe
ich vor nun genau 10 Jahren begonnen, meine Gedanken und therapeutischen
Erfahrungen in Büchern allgemein zugänglich zu machen. Frage:
Die meisten Ihrer Bücher handeln von Gefühlen. Von Liebe und Zorn, von Trauer
und Schuldgefühlen usw. Was hat Sie zu dieser Themen-Auswahl
bewogen? Antwort:
Weil ich als
Seelsorger und Familientherapeut viel mit der Seele des Menschen zu tun habe.
Und die Gefühle sind die Energien und Signale der Seele. Als Seelsorger bin
ich genau mit diesen Gefühlen ständig konfrontiert, über die meine Bücher
handeln: Trauer und Angst, Liebe und Schuld, Minderwertigkeitsgefühle und
Zorn. Frage:
Und was ist das Problem bei den Gefühlen? Antwort: Da gibt es vor allem zwei Probleme: Das erste
Problem ist, dass die Gefühle traditionell bewertet sind: Die Liebe ist gut,
der Zorn ist böse, usw. Das führt dazu, dass die Menschen manche Gefühle
unterdrücken und bekämpfen. Aber alle Gefühle sind Signale der Seele, die uns
etwas Wichtiges sagen wollen über unsere menschlichen Beziehungen und über
unser sonstiges Vernetztsein mit dem Leben. Wenn wir sie
unterdrücken, werden wir seelisch blind, wir können nicht wirklich in
gesunder Weise seelisch-geistig selbständig werden, wenn wir uns unserer
seelischen Signale berauben bzw. sie nicht verstehen. Und wir
bekommen kein gutes Selbstwertgefühl, denn wer ein Gefühl in sich als Feind
betrachtet und feststellen muss, dass Gefühle in ihm eine gewisse
Eigendynamik besitzen, d. h. die kommen und gehen
ohne uns zu fragen, - der ist im
Kampf mit sich selbst, der zerstückelt seine eigene Seele, der kann zu keinem
inneren Frieden und damit zu keiner inneren Zufriedenheit finden, der wird
vielleicht sogar zu einer schwierigen Person für seine Mitmenschen. Deshalb
müssen wir unterscheiden zwischen Gefühlen, die wir nicht bewerten, sondern
verstehen sollen, und den Handlungen, die durch bloße Abreaktion von Gefühlen
entstehen, die tatsächlich sehr destruktiv sein können. Frage:
Und das Zweite Problem? Antwort: Das zweite
Problem ist, dass Gefühle auch deshalb gefährlich werden können und bekämpft
werden, weil sie übermächtig werden können aus zwei Gründen, die uns die
Psychologie erklärt und lösen hilft: Wir können
z.B. einen übermächtigen Jähzorn entwickeln oder eine maßlose Eifersucht,
weil wir in der Kindheit Verletzungen oder Enttäuschungen erlebten oder auch
durch zu frühes liebevolles Engagement für die Eltern unsere Kindheit
geopfert haben. Alte seelische Schmerzen können die Gefühle der Gegenwart so
verstärken, dass wir unkontrolliert handeln. Das ist ein
entscheidender Grund, warum viele Menschen Gefühle fürchten oder auch
verachten und nicht ernst nehmen. Nun hat die
systemische Psychologie, die Grundlage der Familientherapie, vor wenigen
Jahrzehnten erkannt, dass es noch einen weiteren wichtigen Grund gibt, warum
Gefühle übermächtig werden: Nämlich, dass
wir in unbewusstem Mitgefühl mit unseren Eltern und anderen Vorfahren jene
Gefühle von ihnen übernehmen können, die diese verdrängen. Die Seelen
der Kinder und Enkelkinder sind die Zufluchtsorte für die verdrängten Gefühle
ihrer Eltern und Großeltern. Diese übernommenen Gefühle sind belastend und
verwirrend, verstärken eigene Gefühle bis zur Unkontrollierbarkeit oder
lähmen den gesamten Gefühlshaushalt der Kinder bis ins Erwachsenenalter
hinein. In meinen
Gefühle-Büchern zeige ich nun auf, wie wir diese unterschiedlichen Quellen
unserer Gefühlsenergien erkennen können und wie wir so damit umgehen lernen,
dass wir Gefühle nicht fürchten und verdrängen müssen, sondern ihre Signale
verstehen und ihre Energien sinnvoll nutzen können. Wer dies
beachtet und praktiziert, bekommt ein völlig anderes Lebensgefühl, er lernt
in zufriedener Weise in sich selbst zu wohnen, geht mit weniger Bewertung und
mit größerem Verständnis mit seinen Mitmenschen um und kann wieder leichter
an sich selbst und an den Sinn und Wert des Lebens glauben. Wer seine
Gefühle bejahen und ihre Signale verstehen kann, wird geistig und seelisch
selbständig und verantwortungsvoll. Wer sie nicht versteht, macht sich
automatisch abhängig von anderen oder von Ideologien, weil er die innere
Orientierung verloren hat. Frage:
Sind Sie jetzt eigentlich mehr Therapeut oder Seelsorger? Antwort: Zuerst bin ich Seelsorger. Das
Therapeutische ist ein Werkzeug, eine Hilfe, die Seelsorge zu verbessern. Denn wenn Sie
bedenken, dass schon im Alten Testament im Buch des Propheten Jeremia es
heißt: „Keiner mehr wird den anderen belehren, alle werden Erkenntnis Gottes
besitzen“ oder dann in
den Evangelien aus dem Munde Jesu: „Warum findet ihr nicht von selbst das
rechte Urteil“ oder „Lasst euch nicht Meister, Vater oder Lehrer nennen!“ Was kann denn
das anderes heißen, als dass alles Bemühen darauf gerichtet sein muss,
Menschen wirklich zu immer mehr Mündigkeit, Selbstständigkeit, aber auch zu
umfassender Verantwortungsfähigkeit zu führen. Und dafür braucht es vorrangig
nicht die Verkündigung von Vorschriften, von Geboten und Verboten, sondern
die Einübung der eigenständigen Wahrnehmung von Werten. Eine Kultur der
Wertewahrnehmung, nicht nur der Werteverkündigung ist lebendige und
zeitgemäße Religiosität. Und für die
Werte-Wahrnehmung ist die Entwicklung der inneren Orientierung, die
wesentlich über unsere Gefühle läuft, unabdingbar. Link zum Teilen: https://hanglberger-manfred.de/interview-gefuehle.htm Gefühle verstehen, statt bewerten! („Kopernikanische
Wende“) >>> Liebe im Netzwerk der Gefühle >>> |