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Liebe im
Netzwerk der Gefühle
Gefühle wurden früher bewertet;
es gab gute und böse Gefühle, akzeptable und unakzeptable, Gott wohlgefällige
und sündhafte. Manche Gefühle wurden einander als absolute Gegensätze
gegenüber gestellt: Liebe z.B. sei das Gegenteil von Hass. 2. Liebe und Minderwertigkeitsgefühle
Sehnsucht ist meist der
Hunger nach Liebe. Auch dieser Hunger ist unterschiedlich
in verschiedenen Lebensphasen und in verschiedenen Lebenssituationen. Und die
Liebe, die den seelischen Hunger stillen soll, hat viele Formen und braucht
eine unterschiedliche Gestalt, damit sie uns „gut tut“, damit sie unsere
Seele in rechter Weise nährt, stärkt und erfreut. Zu den Grundformen de
Liebe, nach denen wir Sehnsucht haben, zählen in der Kindheit Zuwendung,
Zärtlichkeit, Wahrgenommen-Werden, Dazugehören-Dürfen und Angenommensein.
Später wird immer bedeutungsvoller auch das Geachtet-Sein, in der Trotzphase
Raum-Bekommen und Verständnis für den eigenen Willen und für die Originalität
des eigenen Wesens. Darauf aufbauend brauchen wir später Vertrauen und
Wertschätzung und die Übertragung von Verantwortung, aber auch die
Konfrontation mit der Begrenztheit der Welt und ihrer Reichtümer und
Möglichkeiten. Und die entsprechende Auseinandersetzung mit unseren
Mitmenschen erleben wir langfristig als seelische Nahrung, die wir brauchen
für ein gesundes und realistisches „In der Welt sein“. Wenn uns eines dieser
seelischen „Grundnahrungsmittel“ der Liebe fehlt, wird der Hunger danach,
d.h. die Sehnsucht, sehr mächtig. Die Sehnsucht ist einerseits die
Bindungsenergie der Liebe in einer Partnerschaft, die bei einem zu weiten
Auseinandertriften die Seelen wieder zueinander führen kann. Andererseits ist
sie ein Signal, dass es einen ungestillten Hunger gibt, dass uns seelisch
etwas fehlt, dass wir seelisch vielleicht in der Kindheit bereits „zu kurz
gekommen“ sind. Ungestillter seelischer
Hunger aus der Kindheit enthält eine besondere Problematik: Er kann nämlich
nicht im Erwachsenenalter in der Form nachgeholt werden, in der wir ihn in
der Kindheit gestillt bekommen wollten. Denn was einem die Eltern –
vielleicht aufgrund eines schweren Schicksals – zu geben nicht in der Lage
waren oder zu geben versäumten, kann man später weder von den Eltern noch von
anderen Menschen in einer wirklich sättigenden Weise erhalten. Denn Versuche
in dieser Richtung führen dazu, dass man in eine kindliche Erwartungshaltung
zurück fällt und seine Mitmenschen in eine Elternrolle drängt, die sie
überfordert und durch die man ihnen lästig wird. Defizite in der Kindheit
müssen betrauert werden. Die rechte Trauer ist der Weg, belastende Sehnsucht,
die ins Leere greift, zu beruhigen und in eine positive Sehnsucht zu
verwandeln, die Motivation schaffen kann für die Mitarbeit an einer
menschlicheren Welt. (Dazu ein
heilender Ritus: >>>
) Die Sehnsucht, die ein
Hunger nach seelischer Nahrung ist, schafft viele schlimme Probleme, wenn sie
ihren Hunger an materiellen Dingen stillen will. Denn sie wird dadurch
niemals satt, sondern immer gieriger und unersättlicher, kann habsüchtig,
geizig und herrschsüchtig und auch gewalttätig machen, kann Suchtkrankheiten
aller Art z.B. Alkoholismus, Zigarettenkonsum, Drogenabhängigkeit,
Fettleibigkeit usw. auslösen, kann arrogant, besserwisserisch und intolerant
machen gegenüber allem, was kulturell, weltanschaulich oder religiös anders
ist. Diese Verschiebung der Sehnsucht nach Liebe auf die materielle oder auch
geistige Ebene führt zu Verhaltensweisen, die der Liebe diametral
widersprechen. Viele dieser Probleme sind deshalb so schwer zu durchschauen
und zu lösen, weil diese „verschobene“ Sehnsucht nicht nur aus dem
ungestillten seelischen Hunger unserer eigenen Kindheit kommen kann, sondern
weil wir in der Kindheit eine ungestillte Sehnsucht von Vater oder Mutter
oder einem anderen nahen Verwandten, mit dem wir unbewusst verbunden sind,
übernommen haben können. Wir kämpfen dann in unbewusster Solidarität
stellvertretend einen vergeblichen Kampf zu Gunsten eines unserer Vorfahren.
So ist es oft unbewusste Liebe, die uns in ein destruktives Sehnsuchtsverhalten
treiben kann. > Zurück zum Inhaltsverzeichnis
2. Liebe und Minderwertigkeitsgefühle Menschen mit Minderwertigkeitsgefühlen können sich ungeheuer stark verlieben. Warum ist das so? Weil das Minderwertigkeitsgefühl oft entstanden ist aus einer unerfüllten Sehnsucht aus Kindertagen, wenn Vater oder Mutter nicht erreichbar waren. Im Erwachsenen enthält die liebevolle Verbundenheit mit einem Partner die Verheißung, dass alle unerfüllte Sehnsucht aus langen Kindheitsjahren endlich Erfüllung findet, dass Sehnsuchtsschmerzen und Wehmut, die meist längst aus dem Bewusstsein entschwunden sind, aber im Unbewussten weiter wirken, jetzt Heilung und Tröstung finden. In der erfahrenen Zuneigung eines liebevollen Menschen steigt das alles mit auf und löst eine starke Faszination aus. Aber nach einiger Zeit taucht auch die Angst auf, den geliebten Menschen wieder zu verlieren, weil man sich wegen seiner eigenen Minderwertigkeitsgefühle letztlich nicht für liebenswert hält. Die Angst kann sich mit Misstrauen und Eifersucht verbinden, weil die Minderwertigkeitsgefühle, durch die man sich selbst abwertet, auch den geliebten Menschen abwerten. Denn ist er wirklich ein so wertvoller und liebenswerter Mensch, wenn er ein wenig wertvolles Wesen wie mich liebt? So kann ein fataler Teufelskreis gegenseitiger Abwertung entstehen. Ein Mensch mit starken Minderwertigkeitsgefühlen erwartet, vom Partner zu erhalten, was er selbst in seiner Kindheit vermisst hat, und drängt ihn damit in eine Vater- bzw. Mutterrolle, die diesen auf Dauer überfordert und die diesem deshalb sehr lästig werden kann. So können Minderwertigkeitsgefühle partnerschaftszerstörende Prozesse in Gang setzen. Wenn die Energie liebevoller Zuneigung stark von Minderwertigkeitsgefühlen genährt wird, ist das Bedürfnis mächtig, sich vor allem am anderen anlehnen zu dürfen, vom anderen geschützt und seelisch genährt zu werden, vom anderen „aufgebaut“ zu werden. Aber in der Partnerschaft muss es einen Ausgleich geben und eine Abwechslung von „sich anlehnen dürfen“ und „dem anderen Halt geben“. Jeder muss schwach sein dürfen und jeder muss auch stark sein können. Wenn über lange Zeit dieser seelische „Partnerschaftshaushalt“ einseitig läuft und dadurch ein starkes „Gefälle“ zwischen den Partnern entsteht, werden die Trennungsenergien stärker. Denn die „Gefälle-Struktur“ entspricht mehr einer Eltern-Kind-Beziehung und diese ist auf „Abschied“, auf die Lösung eines Kindes von den Eltern angelegt, die sich hier in der Partnerschaft als Lösungstendenz eines der beiden Partner entwickelt. Wenn Partner mit einem starken Gefälle in ihrer Beziehung doch zusammenbleiben, kann der seelisch Stärkere, der seit Jahren den Schwächeren trägt, Depressionen und Minderwertigkeitsgefühle bekommen, da er beängstigend spürt, dass es ihm nicht erlaubt ist, auch einmal schwach und anlehnungsbedürftig zu sein. In einer Partnerschaft so stark sein zu müssen, dass sich nicht nur die Kinder, sondern auch der Partner immer anlehnen kann, verursacht oft nach Jahren plötzlich tiefe Unsicherheit und Unzufriedenheit. Was wir in der Kindheit vermisst haben, können wir als Erwachsene nur zu einem Teil nachholen. Wer das alles später von anderen Menschen, auf die hin er seine Mutter- bzw. Vater-Sehnsüchte projiziert, erhalten will, schafft unangenehme Konflikte und handelt sich neue Enttäuschungen und Verletzungen ein, was nur zusätzliche Minderwertigkeitsgefühle verursacht. Enttäuschungen aus der
Kindheit können also sowohl starke Sehnsuchtsgefühle wie
Minderwertigkeitsgefühle auslösen. Sie müssen wir betrauern, statt das, was
wir vermisst haben, uns von anderen Menschen erhalten zu wollen. In rechter
Weise trauern, das heißt, seine Vergangenheit bewusst anschauen und dabei die
Schmerzen aus der eigenen Geschichte annehmen und in diese Geschichte
innerlich einwilligen. Wer diese Dynamik nicht durchschaut und nicht bereit ist, am Problem seiner Minderwertigkeitsgefühle auch selbst und unabhängig vom Partner zu arbeiten, wird mit seiner übergroßen Sehnsucht, die oft in Eifersucht und in eine Besitz ergreifende Form der Liebe umschlägt, den Partner vertreiben. > Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Im Mitgefühl lassen wir uns von einzelnen Erfahrungen oder auch vom gesamten Schicksal eines Mitmenschen innerlich anrühren. Wir nehmen Anteil an seinen Gefühlen, wir können mitempfinden mit dem, was er erlebt hat. Im Mitgefühl lassen wir das Leben des anderen in unser Leben hereinwirken. Sein Schmerz wird ein Stück auch unser Schmerz, seine Freude wird ein Stück unsere Freude. Das Mitgefühl holt den Menschen aus seiner Begrenztheit und Einsamkeit heraus. Der Mensch als seelischer Planeten- oder Inselbewohner erlebt im Mitgefühl eine Art seelische Brücke, die ihn verbindet mit der Welt eines anderen Planeten- oder Inselbewohners. Das Mitgefühl ist ein emotionales Verstehen und Verständnis zeigen. Die Grenzen der Individualität und die Einsamkeit der Originalität werden im Mitgefühl ein Stück aufgelöst. Gemeinschaft, ein Gefühl der Verbundenheit und der Solidarität wird lebendig. So erleben wir die Liebe in der Form des Mitgefühls als erlösende Kraft aus Angst, aus Verlassenheit, aus Einsamkeit, aus Problemen, die uns als Einzelpersonen überfordern und für die wir die Hilfe von Mitmenschen brauchen. Gezeigtes Mitgefühl hat oft eine tröstende und ermutigende Wirkung, so dass wir dadurch schon manche Probleme eigenständig anpacken und lösen können. Das Maß des Mitgefühls in einer menschlichen Gemeinschaft ist das Maß der Menschlichkeit. Denn das Mitgefühl ist die Energie, die dem Notleidenden nicht nur Anteilnahme schenkt, sondern oft auch notwendige Hilfe zukommen lässt, ja oft auch die Energie freisetzt, durch die Menschen gerechtere Ordnungen in ihren Gemeinschaften und im Zusammenleben der Völker geschaffen haben. Auch die Gründung von Organisationen wie z.B. der Freiwilligen Feuerwehr, des Roten Kreuzes, von Amnesty International und der Tierschutzverbände sind nur aus der Fähigkeit und der Kraft des Mitgefühls zu verstehen. So ist das Mitgefühl die Triebfeder für den Fortschritt einer humaneren Welt.
Auch wenn Mitgefühl so grundlegend wichtig ist für eine menschenwürdige Kultur, dass sie von religiösen Menschen als göttliche Energie und Gnade betrachtet wird, birgt sie auch Gefahren, die enorme Probleme schaffen können, wenn das rechte Maß des Mitgefühls nicht gefunden wird. Was ist damit gemeint? Wenn z.B.
Krankenschwestern, Ärzte, Seelsorger, Katastrophenhelfer oder Mitarbeiter von
Bestattungsinstituten mit dem leidvollen Schicksal von Menschen konfrontiert
sind und Anteilnahme und Mitgefühl zeigen, können sie selbst vom Leid dieser
Menschen so berührt und belastet werden, dass sie einige Zeit nicht mehr
schlafen können und kaum mehr die Kraft haben, ihren Aufgaben und Pflichten
nachzukommen. Besonders Pflegekräfte in den Krankenhäusern, die regelmäßig
mit Sterbenden und deren Angehörigen zu tun haben, sind mit der nicht
einfachen Aufgabe konfrontiert, durch das viele Leid und die zahlreichen
Todesfälle nicht emotional abzustumpfen und andererseits nicht durch
übergroßes Mitleid seelisch ständig überfordert zu werden und dabei die
Lebensfreude zu verlieren. Sie müssen Schutzmechanismen entwickeln ohne die
Sensibilität für die Dramatik eines Einzelschicksals zu verlieren. Sie müssen
die Gratwanderung finden zwischen Offenheit für den anderen und die Bewahrung
des Gespürs für die Originalität und die Notwendigkeit des eigenen Daseins.
Sie brauchen eine seelische Abgrenzung ohne dabei menschlich hart zu werden. (Übungen für gesundes Abgrenzungsverhalten und die Bewahrung von
Mitgefühl habe ich in meinem Buch „Bin ich denn nichts wert?“ veröffentlicht)
Eine andere Form des Mitgefühls hat noch problematischere Wirkungen. Es handelt sich um das unbewusste Mitgefühl, das Kinder von klein an mit den ungelösten seelischen Problemen ihrer Eltern haben können. Die systemische Psychologie hat aufgedeckt, dass ein Kind bereits im Mutterleib und als Säugling seelisch völlig „wach“ ist, obwohl die Entwicklung seines Ich-Bewusstseins noch Jahre dauert. Diese psychologischen Erkenntnisse gehen davon aus, dass ein Kind im Mutterleib seelisch noch keine „Grenzen“ und damit noch keine Individualitätserfahrung und Unterscheidungsfähigkeit gegenüber den Gefühlen der Mutter besitzt. Andererseits wollen starke Emotionen „zur Welt kommen“, wollen einen Ausdruck finden. Wenn nun die Mutter wichtige Gefühle aus ihrem aktuellen Leben oder aus ihrer früheren Lebensgeschichte bekämpft und verdrängt, können sich diese einen „Zufluchtsort“ in der Seele des Kindes suchen, wenn dieses geboren ist; denn das Kind ist das schlechthin offene seelische Wesen und kann sich in seiner emotionalen Verbundenheit mit den Eltern gegen solche Gefühle nicht wehren. Da Vater und Mutter eine Gemeinschaftsseele entwickeln, kann das kleine Kind auch die seelischen Verdrängungen des Vaters in sich aufnehmen. Je nach Stärke solcher Gefühlsbesetzungen kann das Kind große Probleme bekommen, sein eigenes Ich zu entdecken und zu entwickeln. Es kann unter anderem Identitätsprobleme, Angstzustände, emotionale Unausgeglichenheit und Minderwertigkeitsgefühle bekommen. Kinder können aber auch von sich aus in einer sehr sensiblen Wahrnehmungsfähigkeit seelische Schmerzen und Verkümmerungen bei ihren Eltern spüren und in liebevollen, aber überfordernden Erlöser- und Helferrollen sich engagieren, um ihnen beizustehen. Ob ein Sohn seiner Mutter beisteht in ihren Minderwertigkeitsgefühlen, weil sie von ihrem Ehemann unterdrückt wird oder ob eine Tochter als älteste von vielen Geschwistern den Eltern beisteht, um die Kinderschar gut zu versorgen: das große Mitgefühl eines Kindes in solchen Fällen führt meist dazu, dass es die eigene Kindheit und d.h. die Entdeckung und die Entwicklung des eigenen Ichs vernachlässigt und später große Probleme hat, ein gesundes Maß an Mitgefühl zu entwickeln. Es besteht die Gefahr, mit einer kindlich offenen Seele sich später in der harten Welt der Erwachsenen hilflos ausgeliefert zu erfahren und sich grenzenlos ausnutzen zu lassen oder aber andere auszunutzen, weil man endlich noch einmal Kind sein und versorgt sein will.
Als Kinder haben wir die
Aufgabe und brauchen wir die Chance, eine gesunde „seelische Haut“ zu
entwickeln, die sowohl sensibel ist für die Impulse von außen wie auch einen
stabilen Schutz und Filter darstellt, um nicht ständig von den
Gefühlsenergien, die von außen auf einen einströmen, überflutet und
überfordert zu werden. Wenn wir durch überfordernde Helferrollen für die
Erwachsenen die Chance dazu nicht bekommen haben, sind wir in Gefahr, später
als Erwachsene z.B. in einer Partnerschaft wie Kinder extrem zu schwanken
zwischen einem Mitgefühl, bei dem wir uns selbst nahezu aufgeben und einem
Mangel an Mitgefühl, das für den anderen als harte Gefühllosigkeit und
Egoismus empfunden wird. Besonders auch Partnerschaft braucht das rechte Maß
an Mitgefühl und Abgrenzung; wir nennen es auch die rechte Polarität von
Partnerliebe und Selbstliebe. (Heilender Ritus, um unangemessene
Helfer-Rollen abzulegen: >>>
) > Zurück zum Inhaltsverzeichnis Verliebte Paare erleben sowohl das Einander-Nahe-Sein und ihre tiefe Verbundenheit wie auch ihre Unterschiedlichkeit faszinierend, bereichernd und wunderschön. Dass Menschen in ihrer Originalität einander auch mit einer schmerzhaften Unterschiedlichkeit verunsichern und in Frage stellen, können und wollen sie noch nicht wahrnehmen. Für sein seelisches Wachstum braucht der Mensch in seiner Kindheit und auch in einer späteren Partnerbeziehung beides: Das umfassende Geliebt- und Angenommen-Sein und die Herausforderung und die Auseinandersetzung durch die Gegensätze, mit denen sie sich in ihrer Unterschiedlichkeit ihres jeweiligen Wesens konfrontieren. Manche haben wegen seelischer Defiziterfahrungen in ihrer Kindheit eine solche Sehnsucht nach Eins-Sein mit dem geliebten Menschen, dass sie die Harmonie der Verliebtheitsphase mit allen Mitteln zu retten versuchen. Aber das ist der gefährliche Versuch, eine frühkindliche Lebensphase oder gar die vorgeburtliche Situation der totalen Einheit mit der Mutter nachzuholen. Eine solche Einheit aufrecht erhalten zu wollen aber bedeutet für erwachsene Menschen, die eigene Individualität zu opfern, also Wünsche, Meinungen und Bedürfnisse, die dieser Einheit widersprechen, zu verdrängen und zu verleugnen. Und weil man in der Folge dann auch die vom eigenen Unbewussten ausgesandten Gefühle der Unzufriedenheit, des Zornes und der Trauer verdrängen muss, verliert man immer mehr den Kontakt zur seelischen Realität. Aufsteigende Aggressionen müssen umgelenkt werden; wer in der Verwandtschaft, bei den Bekannten oder am Arbeitsplatz einen kleinen Anlass liefert, bekommt es mit der Wucht der verdrängten Aggressionen zu tun. Oder ein eigenes Kind bekommt Depressionen oder wird ein „Zappelphilipp“, weil es - besetzt von den verdrängten Gefühlen der Eltern - nicht weiß, wohin mit diesen emotionalen Energien.
Die gesunde Liebe aber lebt von zwei Sätzen: Der eine ist weltberühmt und es gibt ihn in allen Sprachen: „Ich liebe dich“ Der zweite ist weniger bekannt, aber für den Bestand der Liebe ebenso wichtig: „Ich achte dich in deinem Anderssein“ Die Achtung vor der Andersartigkeit des geliebten Menschen drückt aus, dass man den anderen nicht besitzen will und sich gegenseitig nicht einverleiben will, dass man den anderen auch nicht völlig verstehen und in seinem Wesen begreifen kann. Es ist nicht Lieblosigkeit, wenn sich plötzlich der Abgrund des Nicht-Verstehens bzw. des Nicht-Verstanden-Werdens auftut. Menschen tragen in ihrer Originalität Dimensionen einer Unterschiedlichkeit, die zwischendurch als abgründige Fremdheit, als unendliche Ferne, als die andersartigen Welten unterschiedlicher Planeten erfahren werden können. Für verliebte Menschen sind solche Erfahrungen zuerst einmal erschreckend und sie befürchten das Abhandengekommensein ihrer Liebe, manche suchen fieberhaft nach den Ursachen oder gar nach einem Schuldigen. Aber es gehört zum Weg der Liebe dazu, dass unser Unbewusstes zwischendurch auch das Gefühl einer tiefen Einsamkeit, die letztlich in unserer Originalität begründet liegt, weckt. Wer Liebe und Partnerschaft als totale Erlösung aus Einsamkeitsgefühlen versteht, wird nach einiger Zeit tief enttäuscht sein, wird vielleicht am Sinn und an der Kraft der Liebe zweifeln oder dem anderen zuwenig Engagement für die Partnerschaft unterstellen oder er wird Minderwertigkeitsgefühle bekommen, weil er sich selbst für nicht liebesfähig betrachtet. Die Achtung voreinander bewahrt vor unangemessener Einmischung und Gängelung und sie bewahrt vor abwertendem und urteilendem Denken und Reden. Denn sobald wir das Verhalten des anderen nicht verstehen, sind wir in Gefahr, ihm für dieses Problem die Schuld zu geben. Denn wir sind in einer wissenschaftlich gut erklärten Welt, in der wir aufgewachsen sind, überzeugt, dass es durch entsprechendes Bemühen möglich ist, einen Menschen zu verstehen. Wenn uns dies trotz
ehrlicher Anstrengungen nicht gelingt, gehen wir gewöhnlich davon aus, dass
der andere entweder uns täuscht, dass er uns Böses will oder dass er komisch
oder ein wenig verrückt ist, jedenfalls ist er nicht ganz normal. Wir haben
eine Menge Begriffe und Denkmuster zur Verfügung, um einen Menschen
abzuwerten, wenn wir ihn nicht verstehen können. Durch die Abwertung haben
wir ihn in unser geistiges Wertesystem, in unser inneres Schubladensystem
einsortiert, und damit ist unsere eigene Welt in gewisser Weise wieder „in
Ordnung“. Wir haben die Verunsicherung und Angst, die im
Nicht-Verstehen-Können und im Nicht-Verstanden-Werden gegenüber einem Partner
auftauchen, bewältigt – aber auf Kosten der Liebe. Liebe, die mit Achtung
verbunden ist, verzichtet auf Abwertungen und Verurteilungen, durch die wir
uns innerlich über den anderen stellen, sie hält Angst und Verunsicherung
aus, die im Nicht-Verstehen-Können in uns aufsteigen. Sie ist offen und macht
sich auf den Weg für ein neues und tieferes Verstehen, ohne zu beanspruchen,
damit je ganz zu Ende zu kommen. Die Liebe, verbunden mit der Achtung,
bewahrt die Ehrfurcht vor dem Geheimnis und der Originalität des anderen. Sie
bleibt seelisch auf gleichem Boden mit ihm und schaut nicht auf ihn herab.
Sie spürt zwischendurch den Abgrund, der sich im Nicht-Verstehen-Können
zwischen einem selbst und dem anderen auftut. Aber die Liebe glaubt, dass es
über den Abgrund hinweg eine tiefe Wertschätzung und Verbundenheit gibt, die
stark genug ist, die Beziehung immer wieder in einer tiefen Erfahrung des
Glücklichseins zu entfalten. So sind Liebe und Achtung zwei fundamentale
Pole, die eine langfristige Liebesbeziehung unbedingt braucht. > Zurück zum Inhaltsverzeichnis Gefühle werden durch
aktuelle Anlässe ausgelöst, aber sie werden verstärkt durcheine ähnliche kindliche
Erfahrung, die aber damals keine gute Lösung gefunden hat, und sie werden
grenzenlos gesteigert, wenn sie ein Gefühl berühren, das man von den Eltern
unbewusst übernommen hat, weil diese es nicht ausdrückten, sondern es
verdrängten und damit abwerteten. Eifersucht ist weniger die
Folge von objektiver Ungerechtigkeit, sondern es geht um die Frage, wer mehr
geliebt wird von einem Menschen, von dem man geliebt werden möchte. Es geht
um eine Konkurrenzsituation in Liebesbeziehungen. Da die erste und grundlegende
Liebesbeziehung eines Menschen in der Kindheit die Beziehung zu Mutter und
Vater ist, findet die Prägung für starke Eifersuchtsgefühle in der Kindheit
statt. Wer also als Kind erlebt hat, dass eine Schwester oder ein Bruder von
einem Elternteil klar bevorzugt worden ist, kann später als Ehepartner
extreme Eifersuchtsszenen inszenieren. Aber auch bei
Sandwich-Kindern, also den mittleren von drei Kindern, bei denen Eltern oft
nicht wahrnehmen, dass dieses Kind seelisch keinen so guten Platz findet, wie
die beiden anderen Kinder, kann eine emotionale Prägung entstehen mit der
geheimen Frage: „Warum bin ich weniger liebenswert, warum werde ich weniger
beachtet als die anderen Geschwister?“ Eine
ähnliche Eifersucht kann gegenüber einem fremden Kind entstehen, wenn der
Elternteil, dem man sich seelisch stärker verbunden weiß, abwesend oder sonst
kaum erreichbar ist; z.B. wenn ein kleiner Junge seinen Vater verlor und sah,
wie seine Schulfreunde mit ihren Vätern spielen konnten, kann eine Eifersucht
entstehen, die im Erwachsenenalter, durch kleine Benachteiligungen ausgelöst,
auf einen anderen Menschen projiziert wird. Natürlich
gibt es auch die Eifersucht, die bei Sigmund Freud im Phänomen des
Ödipus-Komplexes beschrieben worden ist, also die Eifersucht des Sohnes auf
die Mutter in Konkurrenz mit dem Vater. Der lebensgeschichtliche Hintergrund
bei Freud ist sehr interessant: Die Konkurrenz zwischen Sohn und Vater
erlebte er bei einem seiner zwei Halbbrüder aus erster Ehe seines Vaters.
Dieser Halbbruder war mit der neuen jungen Ehefrau von Freuds Vater ungefähr
gleichaltrig und es gab offensichtlich zwischen diesen beiden eine erotische
Spannung. Aber die Sehnsucht nach der Mutter war vor allem das eigene Problem
des kleinen Sigmund Freud; er war nämlich der Erstgeborene in der zweiten Ehe
seines Vaters. Als das Kind, das nach dem kleinen Sigmund geboren worden war,
starb und die Mutter in dieser Zeit auch ihren Lieblingsbruder durch Tod
verlor, fiel diese einige Zeit in Depressionen und konnte für das ältere Kind
nicht mehr selbst sorgen, nicht zuletzt, weil bald ein drittes Kind geboren
wurde und sie ihre verbleibende Kraft für den Säugling brauchte. Deshalb
wurde eine Kinderfrau angestellt, die für den kleinen Sigmund zu sorgen
hatte. Als diese wegen Diebstahls verhaftet und von der Familie entlassen
wurde, verlor der Erstgeborene nach dem seelischen Verlust der Mutter auch
diese Ersatzmutter. Die jahrelang unerfüllte Sehnsucht nach der Mutter dürfte
beim jungen Freud den Hintergrund geschaffen haben für das Eifersuchtsmodell,
das im Ödipus-Komplex beschrieben ist. Allerdings wird es in dieser
Allgemeingültigkeit, wie es Freud dann darstellt, von Familientherapeuten
nicht akzeptiert; doch für Schicksale, wie sie das Kind Sigmund Freud erlebt
hat und es viele andere Menschen in irgendeiner ähnlichen Weise erfahren
haben, kann es durchaus zutreffend sein. Allein
schon durch eine sehr enge Folge von Geburten können die jeweils älteren
Kinder in eine starke Eifersuchtsproblematik geraten. Denn das Neugeborene
nimmt die Mutter so sehr in Anspruch, dass das früher geborene Kind von der
bisher gewohnten sehr engen seelischen und körperlichen Verbundenheit mit der
Mutter weg geschoben wird. Wenn dieses Kind aber erst ein oder eineinhalb
Jahre alt ist, bräuchte es die intensive Nähe der Mutter noch. Dieses
Weggeschoben-Werden erlebt es deshalb als einen Mutterverlust, als das
Zerbrechen seiner wichtigsten Liebesbeziehung, als die unzeitgemäße Auflösung
einer heilen Welt. Nicht nur das seelische Urvertrauen kann dabei tief
verletzt werden, es kann auch eine starke Eifersuchtsenergie entstehen, die
das ganze spätere Leben prägt. Wenn
im Ödipus-Beispiel es dem Sohn gelingt, von der Mutter mehr geliebt zu werden
als der Vater, schlägt die Eifersucht um in extremes Konkurrenz- und
Rivalitätsverhalten. Das sind oft die erfolgreichen Manager oder
Supersportler, die sich und den anderen immer zeigen wollen, dass sie die
besseren sind. Denn dies ist die Botschaft aus ihrer Kindheit: „Du musst in
den Augen der Mutter liebenswerter, besser sein als der Vater.“ So treten sie
mit jedem Mann in Konkurrenz. Die letzte Quelle ihres Handelns ist aber nicht
Egoismus, Stolz oder Ehrgeiz, sondern die unbewusste Liebe zu ihrer Mutter,
das Bemühen, deren Traurigkeit und Minderwertigkeitsgefühle aufzulösen, die
vermutlich bedingt sind durch zu wenig partnerschaftliche Liebe vom Ehemann.
Aber diese Erfolgstypen, die letztlich ihrer Mutter Ehre machen wollen, sind
so sehr gewohnt, von der Mutter verehrt und angehimmelt zu werden, dass sie dies
auch bei jeder Frau erhoffen und in arge Verletztheit und Eifersucht geraten,
wenn ihnen dies einmal nicht gelingt. Es entsteht aber keine gesunde
Partnerschaftsbeziehung, wenn man ein Leben lang nur das Erlösungsprogramm
abspult, in das man als Kind in der Beziehung zu seinen Eltern geraten ist. Krankhafte
Eifersucht, die von großer Angst beherrscht ist, den Partner zu verlieren,
führt oft zu sehr destruktiven Konflikten, zu ständigen Vorwürfen und
Misstrauen, man glaubt sich vom anderen nicht wirklich geliebt, sondern
unterstellt ihm ständige Täuschungsmanöver und Verlogenheit; man versucht ihn
ständig zu kontrollieren, seine Freiheit weitgehend einzuschränken und jeden
eigenständigen Entfaltungsspielraum zu rauben. Solche Eifersucht kann das
Zusammenleben zu einer Hölle werden lassen; der eifersüchtige Partner
unternimmt in seiner Eifersucht einiges, um den anderen tatsächlich zu
vertreiben. Damit hat er dann wenigstens theoretisch mit seinen Vorwürfen und
mit seinem Misstrauen „Recht“ bekommen. Unbewusst hat er es dann geschafft,
sein Kindheitsschicksal, in dem er auch damals schon seelisch im Stich
gelassen worden ist, zu wiederholen. Damit hat er jetzt die Chance, den alten
Schmerz zu bearbeiten und zu betrauern und so zu einem gesunden Selbstwertgefühl
und für eine gesündere Partnerschaftsbeziehung die Voraussetzungen zu
schaffen. Natürlich hat er auch die Möglichkeit seine alte Eifersucht wieder
in eine neue Beziehung einzubringen und dort ein schmerzhaftes
Kinderschicksal noch ein weiteres Mal zu inszenieren. > Zurück zum Inhaltsverzeichnis
„Furcht gibt es in der Liebe nicht, sondern
die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht“ (1. Joh 4,18) Liebe
befreit von Angst, weil sie Lebensbejahung vermittelt, weil sie Raum gibt
sich zu äußern und Raum gibt für alle Gefühle. Angst
ist ein sensibles Warnsignal für Gefährdungen und Irrwege. Diese natürliche
Angst ist durchaus ein wertvoller Wegbegleiter auch für die Liebe. Aber es
gibt auch eine Angst in der Form einer allgemeinen Ängstlichkeit, die viel
Misstrauen oder Minderwertigkeitsgefühle enthält. Solche Angst ist meist
Ausdruck dafür, dass man noch nicht zu sich selbst gefunden hat, dass man
noch manche ungeheilte Schmerzen von Verletzungen aus der Kindheit in sich
trägt oder dass man von den verdrängten Gefühlen der Eltern belagert ist, die
die eigene Ich-Entwicklung blockieren. Wenn
wir sehr viele „Alt-Lasten“ in eine Partnerbeziehung einbringen, werden wir
immer wieder enorme Spannungen und Konflikte erleben, weil die
partnerschaftliche Liebe einen Raum schafft, in dem sich alte unaufgelöste
Schmerzen und ungeheilte Verletzungen, Enttäuschungen aus der Kindheit und
übermächtige Sehnsüchte und Erwartungshaltungen hervorwagen und in der
gegenwärtigen Beziehung sich austoben. Gewöhnlich erwarten wir, dass eine
Partnerschaft, die wir in Liebe beginnen, alles erträgt und heilt, was wir
„mitbringen“. Eine gewisse Naivität in dieser Erwartung ist vor allem dadurch
begründet, dass der Großteil unserer seelischen Belastungen verdrängt ist,
sich deshalb unserer Erinnerung und unserem Bewusstsein entzieht und wir
deshalb gar nicht wissen, was wir an seelischen Belastungen in eine
Partnerschaft mit einbringen. Und wenn die Verdrängungen nach einiger Zeit
aufsteigen und sichtbar werden und Konflikte verursachen, hat man meist
zuerst einmal den Eindruck, dass der andere in der Partnerschaft daran
„schuld“ sei. Je
jünger wir sind, desto mächtiger sind die Verdrängungen, desto unbeschwerter
beginnt man meist eine Partnerschaft, entsprechend wenig spielt Angst eine
Rolle. Wer nach einigen Versuchen den Eindruck bekommt, dass es ihm nicht
gelingt den rechten Partner zu finden, kann plötzlich in die berühmte
„Torschlusspanik“ geraten. Heftige Angst überfällt ihn, dass er ein Leben
lang allein bleiben müsse oder dass er in eine Partnerschaft gerät, in der er
nicht glücklich wird und er sie dann vielleicht nur durchzustehen versucht,
um wenigstens nicht in der Öffentlichkeit als „übrig geblieben“ dazustehen.
Auch wenn in unserer Zeit das Single-Dasein nicht mehr mit der abwertenden
Einschätzung der Gesellschaft wie in früheren Zeiten zu rechnen hat, ist es
ein großer Unterschied, ob jemand innerlich dazu „Ja“ sagt oder er in diese
Situation geraten ist, ohne dass er es will und entsprechend darunter leidet.
Manche
haben sich in ihrer Partnerschaft damit abgefunden, dass man in
unbefriedigender Weise nebeneinander her lebt, haben ihre Sehnsüchte und
Hoffnungen begraben, unterdrücken aber die Gedanken an eine mögliche
Trennung, weil sie Angst haben vor der Einsamkeit oder vielleicht noch mehr
Angst vor einem sozialen Abstieg oder dass sie mit ihrem Leben alleine nicht
fertig werden könnten. Andere
haben so große Angst vor jeder Änderung und vor der Verpflichtung an sich
arbeiten und Entscheidungen treffen zu sollen. Dies kann dazu führen, dass
sie auch bei einer schlechten Partnerschaft nicht daran denken, sich durch
Beratung oder Therapie kompetente Hilfe zu holen. Statt dessen leiden sie
lieber über Jahre und Jahrzehnte und sind mit ihrem Leben zutiefst
unzufrieden. Wenn man als Therapeut solchen Menschen begegnet, sind Mitleid
und gute Ratschläge nicht angebracht, höchstens Bewunderung und Anerkennung
für ihre „Opferhaltung“. Eine
besondere Form der Angst in einer Partnerschaft ist in der Eifersucht
lebendig. Es geht um die Angst, den Partner zu verlieren. Es kann sich dabei
um eine gesunde Angst handeln, die ein Warnsignal darstellt, die dazu anregt,
eine klärende Auseinandersetzung zu führen über Partnerschaft und Treue. Es
kann sich aber auch um eine Angst handeln, in der vor allem alte Verletzungen
und Enttäuschungen sich melden und die eine krankhafte Eifersucht produzieren,
wie bereits im vorangegangenen Kapital näher ausgeführt. > Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Der Trotz ist eine Ausdrucksform verdrängter Wut. Die unterdrückte Wut kann eine so starke Energie ausstrahlen, dass man Angst bekommt, sie könne extreme zerstörerische Wirkungen gegen die nahe stehenden Mitmenschen verursachen. Solche extremen Wutgefühle und solch starke Verdrängungsmechanismen entstehen vor allem dann, wenn überfordernde Schicksalsschläge in der Kindheit die Ursache sind. Z.B. wenn ein kleiner Junge seinen Vater verlor und durch diesen Verlust nicht nur Schmerz, Trauer und Sehnsucht erlebte, sondern durch die Jahre seiner Kindheit und Jugend auch einen inneren Zorn spürte gegen das Schicksal oder gegen Gott oder auch gegen den Vater selbst, der ihn so früh „verlassen“ hat. Solche Männer können später durch eine relativ unbedeutende Enttäuschung in der Partnerschaft wieder in Kontakt mit diesem inneren Schmerz und mit diesem inneren Zorn aus ihrer verdrängten Kindheit geraten. Schmerzen und Zornesgefühle, die aus solchen lebensgeschichtlichen Erfahrungen genährt sind, entwickeln eine extreme Intensität. Entsprechend groß ist die Angst vor der zerstörerischen Wucht dieser Gefühle, und dies nicht nur bei den Mitmenschen, also den Opfern dieser Wut, sondern beim zornigen Menschen selbst. Eine trotzige Haltung ist für solche Menschen eine Art Notstandsmaßnahme, um sich und den Partner vor der destruktiven Gefahr dieser Gefühle zu verschonen und doch gleichzeitig ihrem Zorn in der versteinerten Form des Trotzes Ausdruck zu verleihen. Da gewöhnlich weder der trotzige Mensch selbst, noch sein Partner die hintergründige Dynamik des Trotzes durchschauen, und es ja zum Wesen des Trotzes gehört, keine Informationen zu vermitteln und damit keine offene Auseinandersetzung zu ermöglichen, führt eine Trotzhaltung beim Partner oft zu Misstrauen und zu einer Fülle oft sinnloser Spekulationen. Zudem wirkt Trotz demütigend und arrogant und kann zu tiefen Verletzungen, zu Ratlosigkeit und Resignation beim Partner bzw. bei der Partnerin führen.
Lang anhaltender Trotz zerstört in hohem Maße
Wertschätzung und Liebe in der Beziehung. Der
Trotz kann eine so gewaltige Form von Demütigung und Geringschätzung
verursachen, dass er beim anderen, der vielleicht sowieso schon unter
Minderwertigkeitsgefühlen leidet und von klein an gelernt hat, seinen eigenen
Zorn zu verdrängen, endlich die Tür aufstößt zu dessen eigener Zorn-Energie.
So kann Trotz ähnlich wie Verachtung dazu führen, dass das Opfer dieser
verletzenden Gefühle endlich einmal explodiert, seine Verletztheit klar
formuliert, seine eigenen Interessen und Bedürfnisse endlich deutlich
vertritt und dafür kämpft und nicht mehr wie bisher geduldig und mit großer
Hingabe sich die Liebe des anderen verdienen will. Bei
manchen eher schüchternen Menschen kann man den Eindruck bekommen, sie
brauchen einen trotzigen Partner, um so verletzt zu werden, dass sie endlich
lernen zu kämpfen und damit zu ihrer Ich-Energie zu finden. Wir suchen uns
nämlich unbewusst den Partner, der uns durch sein Verhalten in einer oft
schmerzvollen Weise herausfordert, unser eigenes Ich zu entdecken und
verdrängte Gefühle und damit verkümmerte Seelenteile zur Welt zu bringen und
zu entfalten. Solche seelischen Geburtsprozesse können in heftigen
Auseinandersetzungen stattfinden. Wer gelernt hat, den Zorn zu fürchten und
sich selbst als von Zorn entbrannten Menschen gering zu schätzen, der wird
auch den Menschen, der seines Zorn provozierte, weiterhin als Gegner und als
„Problem“ betrachten, statt ihm vielleicht insgeheim auch ein wenig dankbar
zu sein. Eine Ehefrau löste das Problem mit ihrem trotzigen Ehemann anders: Sie merkte irgendwann, das sie zwar mit Kleinigkeiten die Trotzphase bei ihrem Mann auszulösen vermochte, aber dass ihr Verhalten nicht die Ursache des Problems sein konnte. So fand sie zur Überzeugung, dass es sich um ein Problem ihres Mannes handeln musste, das sie zwar nicht kannte; aber sie interpretierte sein Verhalten nicht mehr als Strafe gegen sich, wie sie es früher getan hatte und sich dadurch sehr verletzt erlebte. So konnte sie verhindern, dass das Verhalten ihres Mannes sie wie früher sehr belastete. Sie konnte es immer leichter wie eine vorüber gehende Schlechtwetter-Phase, die außerhalb von ihr stattfindet, ertragen und vorbei gehen lassen. > Zurück zum Inhaltsverzeichnis Wenn wir unseren Ärger und Zorn einem Vorgesetzten oder Partner gegenüber verdrängen, dann schwindet unsere Achtung und Wertschätzung gegenüber diesem Menschen und damit die Grundenergie unserer Liebe. Wenn wir aber einen konstruktiven Weg finden, unseren Zorn zu zeigen, dann geht es uns besser und wir können den Menschen, dem unser Zorn gilt, leichter ernst nehmen und achten. So sind Liebe und Zorn innerlich miteinander verbunden und sind füreinander seelische Nahrung. Liebe und Zorn stehen nicht nur in einem Dialog miteinander, im Zorn kann manchmal eine starke unbewusste Liebe enthalten sein. Das Aufdecken des Anteils der Liebe nimmt dem Zorn seine belastende und bedrohliche Seite und kann kreative Energien freisetzen und sie in wertvolle Bahnen umlenken. Aber aggressive Zornausbrüche können einen
Wiederholungszwang darstellen für die Verletzungen oder Frustrationen, die
man in der Kindheit erlebt hat. Der Zornesausbruch bringt den Schmerz über
eine seelische Verwundung zur Welt - leider oft erst dadurch, dass man diese
oder eine ähnliche Verwundung anderen zufügt. Der Wiederholungszwang hat mit
der kindlichen Sehnsucht zu tun, wahrgenommen zu werden, besonders mit dem,
was einem seelisch weh tut. Wahrgenommen werden durch die Eltern bedeutet für
ein Kind geliebt zu werden. Es ist die Sehnsucht nach Liebe, die als tiefere
Kraft im Wiederholungszwang liegt. Eine besondere Form unbewusster Liebe zeigt sich, wenn
jemand dem Elternteil, das er verachtet, im Negativen immer ähnlicher wird.
Es ist der Trick des Unbewussten durch diese Nachahmung einen Weg des
Verständnisses und der Barmherzigkeit dem gegenüber zu öffnen, den man glaubt
verachten zu müssen. Wenn jemand in unbewusster Identifikation mit einer
ausgegrenzten Person im Verwandtschaftssystem verbunden ist, kann er dessen
Zorn über seine ihm von der Verwandtschaft zugewiesenen Rolle übernehmen und
in unbewusster Liebe stellvertretend seine Interessen gegenüber den
Mitgliedern dieses Familiensystems vertreten. Was Menschen zu Entrüstung und zum Zorn treibt,
geschieht oft aus unbewusster Liebe, die man aber nicht versteht, solange man
nur in den Kategorien von Triebhaftigkeit und Boshaftigkeit denkt. Den Anteil
unbewusster Liebe auch in einem destruktiven Verhalten aufzuspüren und zu
achten, ist die wichtigste Voraussetzung, um destruktive Wege zu verlassen
und den eigenen Zorn nicht in Verachtung und Gewalttätigkeit umzusetzen,
sondern in „Heiligen Zorn“ zu verwandeln, der der Liebe dient. Ein
besonders Problem haben Menschen, die meinen, das, was sie wünschen oder
brauchen, müsse von ihrem Partner wahrgenommen und zuvorkommend „geliefert“
werden. Sie sind oft enttäuscht oder vielleicht sogar zornig, weil ihre
Wünsche und Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Sie sind zu stolz oder zu
verletzt, um zu bitten oder zu fordern oder für ihre Interessen zu kämpfen.
Es handelt sich dabei gewöhnlich um Personen, die in ihrer Kindheit die
Eltern zu wenig erreichen konnten, deren seelischer Hunger im Kindesalter zu
wenig gestillt wurde. Als Erwachsene gehen sie unbewusst zurück in das Gefühl
der Resignation und der Sehnsucht im Kleinkindalter. Ein Kleinkind erwartet,
dass es ohne differenzierte Formulierung von Interessen von den Eltern
einfühlsam wahrgenommen wird, viel Zuwendung und Aufmerksamkeit erhält und
seine Bedürfnisse befriedigt werden. Wer dies in der Kindheit vermisst hat,
ist als Erwachsener in Gefahr, in passiver Erwartungshaltung zu verharren,
ohne selbst aktiv und kreativ tätig zu werden. Statt zu handeln, statt klare
Forderungen zu stellen und sich zu behaupten oder etwas zu erbitten, wird man
wütend. In der Partnerschaft wirkt sich dieses Charakterschema so aus, dass
man nicht sagt, was man möchte, z.B. im erotischen Bereich, aber wütend wird,
wenn man nichts bekommt. Solche Wut lähmt und macht kraftlos und kann in der
Form des Trotzes zur seelischen Erstarrung führen. Diesen Konflikt gilt es,
als Symptom zu verstehen, dass nicht der scheinbar gefühllose Partner lieblos
und gleichgültig ist, sondern dass man selbst Trauerarbeit zu leisten hat, um
seelisch ungelöste Schmerzen aus der Kindheit zu stillen, um anschließend ein
neues Selbstbewusstsein und eine eigenverantwortliche Handlungsfähigkeit zu
entwickeln. > Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Wenn leidenschaftliche
Liebe von dem Menschen nicht beantwortet wird, den man so sehr liebt, dann
kann diese Liebe in Hass umschlagen. Wenn er nicht bereit ist, zusammen mit
mir glücklich zu sein und deshalb mich unglücklich macht, dann soll er auch
nicht glücklich werden. Die Hassliebe kann eine so gewaltige Energie wecken,
dass man dafür sogar ins Gefängnis geht, weil man den geliebten Menschen, der
sich einem anderen Partner zugewendet hat, getötet hat. Dafür gibt es immer
wieder Beispiele in den Berichten der Medien. Ein berühmtes Beispiel dafür gibt es auch in der Bibel: In der Geschichte von Josef und seinen Brüdern wird berichtet, dass die Frau des Potiphar, einem hohen Beamten des Pharao, sich in dessen Sklaven Josef verliebte und mit ihm schlafen wollte. Als Josef darauf nicht einging, versuchte sie durch Vortäuschung eines erlittenen Vergewaltigungsversuches, ihn töten zu lassen. Systemisch betrachtet ist in einer so mächtigen Liebe zu einem „Unerreichbaren“ die ungestillte Liebessehnsucht aus Kindertagen zu einem unerreichbaren Elternteil lebendig. Häufig hat dieses Schicksal eines so verzweifelt liebenden Menschen bereits der Vater oder die Mutter in der Kindheit erleben müssen; später hat deren Kind diese extreme Sehnsucht und auch den verdrängten Zorn von den Eltern übernommen und äußert ihn jetzt in destruktiver Hassliebe. In der zerstörerischen Aktion wird manchmal nicht der Geliebte, sondern der Rivale Opfer des Hasses; manche nehmen sich selbst das Leben. Neben diesen tödlichen Folgen der Hassliebe gibt es eine unendliche Fülle anderer Formen destruktiver Kreativität: Der eine veröffentlicht Nacktfotos seiner Ex-Freundin im Internet, ein anderer versuchte es mit Telefonterror usw. Wenn die Liebe sehr mächtig ist, aber der Geliebte die eigenen Gefühle nicht erwidert, dann kann es sein, dass der Liebende so entrüstet wie hasserfüllt wird, dass er dem anderen nur noch schaden will: „Entweder zu liebst mich oder ich mache dir das Leben zu Hölle oder ich vernichte dich.“ > Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Wenn es einen Gegensatz
gibt zwischen verschiedenen Gefühlen, dann ist der zwischen Liebe und
Verachtung wohl am größten. Verachtung ist im alltäglichen Zusammenleben wohl
das gefährlichste und am meisten gefürchtete Gefühl. Denn auch Zorn,
Aggressivität und Hass in ihren schlimmsten Formen werden oft von der
Erfahrung der Verachtung genährt. Andererseits zerstört oder verhindert
Verachtung Mitgefühl und Zuwendung. Und doch kann auch dieses Gefühl in
unbewusster Weise mit Liebe verbunden sein und kann über Umwege die Fähigkeit
der Liebe neu wecken. Wie ist das zu verstehen? Wer als Junge jahrelang
seiner Mutter seelisch beistand, weil diese von der Schwiegermutter und dem
Ehemann gedemütigt und unterdrückt wurde, kann als seelischer Ersatzpartner
der Mutter, als ihr tapferer Prinz und Fürsprecher mit der größten Zuneigung
und Wertschätzung seiner Mutter rechnen. Er fühlt sich groß und wichtig und
überaus liebenswert. In der frühen Sensibilität mit der seelischen Not eines
erwachsenen Menschen, nämlich seiner Mutter, lernt er schon in der Kindheit,
Probleme Erwachsener wahrzunehmen und für sie Sorge zu tragen. Durch diese
frühe Verantwortung opfert er ein Stück seiner Kindheit und verzichtet auf
Trotzphasen und schwierige jugendliche Entwicklungsjahre, um seine Mutter
nicht zusätzlich zu belasten. Diese erlebt er schwach und bedürftig und nicht
stark genug, um sich in der Welt der Erwachsenen zu behaupten – eine
Erfahrung, die sein Bild von der Frau prägt. In der späteren
Partnerschaft fühlt er sich als Erlöser und Retter von Frauen mit großen
Problemen. Manche schaffen es sogar zum „Frauenheld“ zu werden. Die
bedürftigen Frauen verehren ihn, die selbstbewussten Frauen spüren seine
unbewusste Verachtung; denn er hat gelernt, die Frauen von oben her zu
betrachten, als schwach und bedürftig. Er versteht es, ihre Zuneigung zu
gewinnen, er zeigt ihnen Hilfsbereitschaft und Unterstützung, aber nimmt sie
nicht wirklich ernst. Besonders seine Partnerin verehrt er und hängt an ihr,
wie an einer geliebten Mutter, aber unbewusst serviert er ihr immer wieder
Verachtung. Der Mensch braucht in der Liebe jedoch nicht nur Zuneigung, sondern auch Achtung und Ernstgenommen-Werden. Wo es Verehrung gibt, ist die Verachtung nicht weit. Die Lösung in diesem Beispiel wäre, wenn dieser Mann seinen Vater achten würde und innerlich seine Position zwischen seiner Mutter und seinem Vater verlassen würde, indem er zum inneren Bild der Mutter sagt: „Mutter, der Vater ist für mich der Richtige, ich achte ihn und nehme mein Leben von ihm an. Und ich achte, dass du ihn zum Mann genommen hast.“ Noch schlimmer ist oft die
Verachtung mit Liebe und Sehnsucht verbunden, wenn man als Kind ein
Elternteil verloren hat. Denn als Kind empfindet man solche Schicksalsschläge
so subjektiv, dass man glaubt, der verstorbene Vater bzw. die verstorbene
Mutter habe mich verlassen, habe sich von mir abgewandt, habe mir seine/ihre
Liebe vorenthalten. Subjektiv betrachtet hat der verstorbene Elternteil sich
von seiner Aufgabe gedrückt, erscheint verantwortungslos oder unfähig. Auch
in solchen Fällen kann in einer späteren Partnerschaft Sehnsucht z.B. nach
der früh verstorbenen Mutter und Verachtung für ihr „Weggehen“ auf den
Lebenspartner übertragen werden. So schmerzhaft und
verletzend Verachtung sein kann, wenn sie einem von dem Menschen
entgegengebracht wird, den man am meisten liebt und dessen Liebe man sich so
sehr erhofft - kann auch eine therapeutisch heilsame Wirkung haben. Denn oft
ist ein Mensch, der von dem Menschen, den er liebt, verehrt werden will, wie
eine liebevolle Mutter ihr neugeborenes Kind verehrt, selbst in der
Kinderrolle hängen geblieben. Die verletzende Wirkung von Verachtung macht
einen sehr einsam und drückt einen tief nach unten. Der Verachtete fühlt sich
gezwungen, selbst nach dem zu suchen, was er wert ist, was er kann und was
ihm hilft, sich selbst zu achten. Wie ein Strauch, der stark
zurück geschnitten wird, eine enorme Lebensenergie entwickelt und viele neue
Triebe hervorbringt, so kann ein durch Verachtung gedemütigter Mensch
plötzlich die Kraft finden zu einem Protest, durch den er endlich für seine
Umgebung klar formuliert, was er selber denkt und will und vor allem, was ihn
verletzt, was er nicht will und was er zu tun gedenkt. Verachtung kann bei einem
Menschen, der nur angepasst und unterwürfig lebte oder der als „verwöhnte
Prinzessin auf der Erbse“ das Leben zu verbringen versuchte, einen gewaltigen
Entwicklungsschub in Richtung Eigenverantwortung und realistischem
Selbstbewusstsein auslösen. Und wer zu einem gesunden Selbstbewusstsein
gefunden hat, ist zu einer anderen partnerschaftlichen Liebe fähig, als wer
nur in Anlehnungsbedürftigkeit und hingebungsvoller Dienstbereitschaft den
Partner verehrt. > Zurück zum Inhaltsverzeichnis 88 Manche glauben, der andere
dürfe nicht traurig sein, wenn ich ihn liebe. Meine Liebe müsse die Kraft
haben, seine Trauer aufzulösen. Deshalb bekommen diese Menschen
Schuldgefühle, wenn der andere traurig ist; sie vermuten sofort, dass sie
selbst dafür der Grund sein könnten. Sie gehen davon aus, dass Partnerschaft
bedeutet, einander glücklich machen zu müssen und einander glücklich machen
zu können. Deshalb werden manche „sehr aktiv“, wenn sie den Partner traurig
sehen und meinen, durch aktive liebevolle Zuwendung müssten sie es schaffen,
die Traurigkeit zu vertreiben. Hier ist an das Bild von dem Doppelsternsystem
zu erinnern, mit dem eine Partnerschaft vergleichbar ist: Sicher ist es besser, die
Trauer, die durch ein verletzendes und enttäuschendes Erleben in der
Partnerschaft ausgelöst ist, auch in der Partnerschaft auszudrücken; aber
diese Trauer braucht auch Auseinandersetzung und vielleicht auch Zorn,
braucht also eine energetische Verwandlung. Wer im Gefühl der Trauer dabei
hängen bleibt, geht in eine Kleinkinderrolle, in der man gewohnt war, dass
der eigene Schmerz von den Eltern wahrgenommen und geheilt wurde und man
selbst dafür nicht aktiv werden musste. Männer, die in traditionellen Geschlechterrollen aufgewachsen sind, haben gelernt, Gefühle der Trauer als Schwachheit und als unmännlich zu unterdrücken und damit auch zu verachten. Sie sind besonders in Gefahr, kein Verständnis aufzubringen, wenn ihre Frau Tränen und Trauer zeigt. Es ist für eine Partnerschaft langfristig sehr wertvoll, wenn man mit seinen Gefühlen Anteilnahme und Verständnis erlebt. Aber es ist nicht notwendig, mit jedem dramatischen Gefühl des anderen zutiefst mitempfinden zu können, so sehr sich das manche in ihrer Partnerschaft ersehnen. Oft reicht die Achtung vor der augenblicklichen Stimmung des anderen. Manche Frauen, die sehr emotional leben, sagen, dass sie dankbar sind, dass ihr Partner ruhig und ausgeglichener reagiert, nicht so heftig, wie sie selbst, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt, nicht vom Sturm der Gefühle hin und her gerissen wird, und sie deshalb an ihm einen starken Halt haben.
Trennungserfahrungen wecken
oft sehr viel Zorn, umso mehr, je schmerzhafter und verletzender die
Beziehung und vor allem die Trennungsphase waren. In einer therapeutisch
begleiteten Trennungsarbeit ist es wichtig, vom Zorn zur Trauer zu kommen.
Die Ursachen der Trennung soweit wie möglich in der Struktur der Beziehung,
die von beiden über Jahre gestaltet wurde, und nicht in den einzelnen
Personen festzumachen. Oft kommt man dabei auf unbewusste Belastungen aus der
Kindheit oder auf unbewusste Verstrickungen im Verwandtschaftssystem. So kann
Zorn über einen Schuldigen der Trauer über Umstände und unbewusste Reaktionsmuster
weichen. Die Trauer ist der Weg, einzuwilligen in das Leben, in die Tatsachen
und in die Entwicklung, so wie sie sind. Dann hat man die Chance daraus zu
lernen und seelisch zu reifen und mit einem neuen Selbstbewusstsein und
Verantwortungsbewusstsein in die Zukunft hinein zu gehen. Liebe oder wenigstens Achtung ist das positive Ergebnis, wenn mit Zorn und Trauer ehrlich und konstruktiv umgegangen wird. Nach Trennungserfahrungen ist es wichtig, dass ein „guter Abschied“ gemacht wird. D.h. dass die gemeinsame Vergangenheit mit ihren Licht- und Schattenseiten noch einmal bedacht wird, dass man das, was schön und gut war, gelten lässt und nicht im Nachhinein wegen der verletzenden Erfahrungen auch noch abwertet, dass man das, was man in Liebe gegeben hat, nicht zurücknehmen will. Was Liebe war, ob empfangene Liebe oder gegebene Liebe, darf man nicht im Nachhinein „antasten“ und abwerten, sonst schädigen wir unsere seelische Gesundheit. Das Gelten-Lassen dessen, was gut und schön war, verschärft zwar kurzfristig den Trauerschmerz, aber langfristig hat es eine heilende und stärkende Wirkung.
Bei der Trauer um einen Lebenspartner, den man durch Tod verloren hat, gibt es die alte mythologische Sehnsucht, dass die Liebe den Tod besiegen könne, den geliebten Menschen aus dem Tod erlösen könne. Die berühmtesten dichterischen Werke dazu sind wohl „Orpheus und Eurydike“ aus dem Altertum und „Romeo und Julia“ von Shakespeare. Aber auch die Kinofilme „Lovestory“ und „Titanic“ haben mit dem Drama des Themas „Liebe und Trauer“ Millionen Menschen bewegt. Auch der Glaube an eine Auferstehung oder an ein Weiterleben nach dem Tod, wie er in vielen Religionen der Welt lebendig ist, baut letztlich auf der Vorstellung auf, dass Liebe etwas Göttliches sei und dass sie stärker sei als Vergänglichkeit und Tod. So ist die Liebe die stärkste Kraft gegen die Trauer und wird gleichzeitig in schlimmster Weise durch den Tod eines geliebten Menschen verletzt. Denn je mehr wir einen Menschen lieben, desto schrecklicher empfinden wir seinen Verlust.
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Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de ) |
LINK: https://hanglberger-manfred.de/liebe-im-netzwerk-der-gefuehle.htm |
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