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„Bosheit“ oder

Kompensation von Minderwertigkeitsgefühlen

 

Was man im Alltag als „Bosheit“ der Menschen bezeichnet, sind meist Kompensationsformen von Minderwertigkeitsgefühlen. Hier helfen keine moralischen Appelle, sondern die Aufdeckung der unbewussten Minderwertigkeitsgefühle und therapeutische und spirituelle Riten für deren Heilung.

 

Die Kompensation von Minderwertigkeitsgefühlen bedeutet, dass Personen ein Minderwertigkeitsgefühl durch bestimmte Verhaltensweisen verdrängen und überspielen, so dass sie es nicht mehr spüren. Aber ihre Mitmenschen spüren die Auswirkungen sehr wohl. Diese erleben manche Kompensationsformen als belastende und verletzende Verhaltensweisen. In der Familientherapie hat man erkannt, dass Minderwertigkeitsgefühle nicht nur durch Verletzungen, Defiziterfahrungen und Überforderungen in der Kindheit entstehen können, sondern dass wir Minderwertigkeitsgefühle auch von den Eltern und manchmal auch von anderen Vorfahren übernehmen– und diese dann durch Kompensationsverhalten verdrängen. Im Folgenden sind einige Kompensationen aufgeführt:

 

1. Stolz, Arroganz, Angeberei, Eitelkeit

 

Ein Mensch mit einem unbewussten Minderwertigkeitsgefühl kann eine besonders extreme Form von Stolz oder Arroganz oder Angeberei oder auch Eitelkeit entwickeln. Solche Menschen haben in ihrer Kindheit oder Jugendzeit erlebt, nicht wahrgenommen oder nicht ernst genommen worden zu werden. Jetzt wollen sie dies kompensieren, in dem sie nach außen hin besonders demonstrativ Aufmerksamkeit zu wecken verstehen.

Wer besonders arrogant auftritt und auf andere Menschen herabsieht, bei dem können wir immer davon ausgehen, dass er unbewusst ein Minderwertigkeitsgefühl in sich trägt. Umgekehrt hat ein Mensch mit einem gesunden Selbstwertgefühl es nicht nötig, auf andere herabzusehen, sich innerlich über andere zu stellen, oder den anderen ständig beweisen zu müssen, dass man doch der bessere ist. Ein Mensch mit einem gesunden Selbstwertgefühl kann es ertragen, dass er mit anderen auf gleicher Ebene steht, dass jeder so einzigartig und unterschiedlich ist, von den anderen unterscheidbar, wie eben Menschen Originale sind, ohne diese Unterschiedlichkeit als einen Unterschied in der menschlichen Werthaftigkeit zu verstehen.

2. Extremer Fleiß

 

Eine andere Kompensationsform von Minderwertigkeitsgefühlen ist extremer Fleiß. Das moderne Wort dafür ist Workaholiker. Solche Leute sind auch Herzinfarkt gefährdet. Letztlich handelt es sich hier um eine Methode, um sich und der Welt durch Leistungsfähigkeit zu beweisen, dass man etwas wert ist, dass man also damit sein Minderwertigkeitsgefühl kompensieren kann. Ähnlich verhält es sich bei Karrieresucht, wo ein extremer Ehrgeiz nicht nur auf Arbeit bezogen ist, wie beim Fleißigen, sondern auch auf die Beziehung zu den Kollegen: Wer kommt am stärksten voran, wer erscheint als der Beste. Es geht bei diesen Beschreibungen keineswegs nur um negative Begriffe. Denn stolz zu sein auf etwas, was einem gut gelungen ist, ist durchaus gesund.

3. Extreme Gewissenhaftigkeit

 

Eine andere Kompensationsform ist extreme Gewissenhaftigkeit. Die ursprüngliche emotionale Energie dahinter ist die Angst etwas falsch zu machen, weil dadurch sehr belastende Schuldgefühle und in deren Folge Minderwertigkeitsgefühle entstehen. Für solche Menschen ist der Weg der Gewissenhaftigkeit eine oft schwierige Gratwanderung; denn passiert einem doch einmal ein Fehler, hat er auch eine entsprechend schlimme Wirkung im Selbstverständnis und in der Selbstachtung eines solchen Menschen. Gelingt es jedoch, über einen langen Zeitraum, Fehler zu vermeiden, ist bei solchen Menschen die Entrüstung, ja manchmal sogar die Verachtung groß über die Familienmitglieder bzw. Mitarbeiter, die sich nicht in gleicher Weise um Gewissenhaftigkeit bemühen.

4. Extreme Selbstlosigkeit, Freigiebigkeit und Hilfsbereitschaft

 

Wer die Enneagrammtypen kennt, weiß, dass es sich dabei um den extremen „Herztypen“ handelt. Dieser will durch seine Selbstlosigkeit und Hilfsbereitschaft bei den anderen Menschen anerkannt werden und durch die Anerkennung und Dankbarkeit der Mitmenschen Minderwertigkeitsgefühle kompensieren. Wehe aber, er bekommt nicht genügend Dankbarkeit. Extrem selbstlosen Menschen kann man kaum genügend Dankbarkeit erweisen, denn sie wird nie ganz reichen, ihr Minderwertigkeitsgefühl zu kompensieren. Und wenn die Anerkennung entschieden zu wenig ist, können solche Menschen umschalten von der Selbstlosigkeit in ein verbissenes Racheverhalten. Sowie sie sich zuvor in einem kindlichen Bemühen um die Liebe und die Anerkennung der Mitmenschen, die sie in einer Ersatzrolle für ihre Eltern sehen, angestrengt haben, so beginnen sie nun stellvertretend für ihren Zorn an den Eltern Rache an ihren Mitmenschen zu nehmen.

5. Herrschsucht

 

Andere sind herrschsüchtig. Wir kennen das vor allem aus dem politischen Bereich, wo es Unterdrückung und Schikanen gegenüber Untergebenen gibt, bis hin zur Tyrannei. Die Kindheitsgeschichten mancher Diktatoren aus dem letzten Jahrhundert wurden recherchiert. Bei Adolf Hitler und bei Stalin sind entweder Misshandlungen und Demütigungen oder schwere Schicksalsschläge im Kindesalter bekannt. Solche Erfahrungen können ein tiefes Minderwertigkeitsgefühl entstehen lassen, das dann später in tyrannischen Formen von politischer Machtausübung kompensiert wird. In der Fähigkeit, anderen den eigenen Willen aufzuzwingen, sie für eigene Ziele zu funktionalisieren oder sie zu demütigen oder gar zu vernichten, sehen sich solche Menschen über den anderen stehend, erleben sich mächtig und halten sich deshalb für bedeutend. Es gibt dieselben seelischen Strukturen auch bei manchen Vorgesetzten in der Wirtschaft und in der Verwaltung.

6. Habsucht, Besitzgier, Geiz

 

Solche Verhaltensweisen kommen letztlich daher, dass Menschen zu wenig Selbstwertgefühl haben und meinen, durch Dinge, die man besitzt, den eigenen Wert steigern zu können. Seelischer Hunger lässt sich nicht mit noch so vielen materiellen Gütern und Luxus stillen. Seelischer Hunger muss seelisch genährt werden.

Alle Schätze und Güter der Erde können den seelischen Hunger aus der Kindheit eines einzigen Menschen nicht stillen, auch wenn das kapitalistische Denken und Wirtschaften genau dies vielen Menschen einzureden versucht. Der Kapitalismus gründet sich vor allem auf Menschen mit unbewussten Minderwertigkeitsgefühlen, die meinen, ihren seelischen Hunger aus Kindertagen mit materiellen Gütern stillen zu können und dabei ein grenzenlos unersättliches Verhalten entwickeln.

Ausführlicher: Wenn seelischer Hunger auf andere Lebensbereiche verschoben wird >>>

7. Sturheit und Trotz

 

Eine andere Form der Kompensation ist Sturheit und Trotz: Wenn z.B. ein Ehepartner mehrere Tage oder sogar mehrere Wochen nicht mehr zu reden bereit ist. Eine Frau erzählte, wenn sie nicht immer wieder auf ihren Mann zugehen würde, wäre kein Gespräch mehr möglich. Denn nach einem Konflikt kommt er von sich aus nicht auf sie zu, sondern bleibt wochenlang stur in seinem Schweigen. Solche Sturheit, solcher Trotz hängt damit zusammen, dass man innerlich bestimmte Gefühle wie z.B. Zorn als sehr bedrohlich erlebt, meistens Gefühle aus der Kindheitsgeschichte. Um solche bedrohlichen Gefühle nicht hochkommen zu lassen, schweigen solche Menschen. Aber mit dem Schweigen haben sie gleichzeitig eine Möglichkeit, dem anderen weh zu tun und ihren Zorn ohne Worte am anderen abzureagieren. Dies ist eine sehr unangenehme und unfaire Methode. In einer Partnerschaft und in einer Familie ist sie eine der belastendsten und problematischsten Umgangsformen überhaupt.

8. Besserwisserei

 

Wir erleben sie bei Menschen, die immer alles besser wissen und die nichts von anderen annehmen können, da sie immer absolut recht haben müssen. Auch sie haben letztlich ein schlechtes Selbstwertgefühl. Denn wenn einer ein gesundes Selbstwertgefühl hat, dann kann er dem anderen sein Wissen oder eine andere Erfahrung gönnen und seine andere Sichtweise respektieren. Er kann das tolerieren und sich daneben stellen und es aushalten, dass es verschiedene Sichtweisen oder Meinungen gibt und ein anderer über einen bestimmten Themenbereich mehr weiß, als er selbst.

9. Eifersucht

 

Extreme Eifersucht ist oft eine Kompensationsform von Minderwertigkeitsgefühlen. Sie ist eine Art von Besitzdenken, eine Habsucht auf personaler Ebene. Wobei es hier nicht darum geht, Dinge zu besitzen, sondern Menschen. Wenn man einen bestimmten Menschen nicht besitzen kann, glaubt man sich nicht mehr wertvoll.

Ein möglicher biographischer Hintergrund:

Der mangelnden Zuwendung, die man als Kind erlebt hat, stand gleichzeitig die Bevorzugung einer Schwester bzw. eines Bruders gegenüber. Wenn es ein Lieblingskind in der Familie gab, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass die anderen Kinder später sehr eifersüchtige Ehepartner werden. Auch bei Sandwichkindern, also den mittleren von drei Kindern, bei denen Eltern oft nicht wahrnehmen, dass dieses Kind seelisch keinen so guten Platz findet, wie die beiden anderen Kinder, kann der Grund für eine spätere tiefe Eifersucht gelegt werden.

10. Gewalttätigkeit

 

Auch Gewalttätigkeit enthält ein typisches Muster von Minderwertigkeitsgefühlen. Wir kennen das von den gesellschaftlichen Entwicklungen z.B. in den Schulen mit der dort zu beobachtenden wachsenden Gewaltbereitschaft. Folgendes erlebte ich in einer 6. Klasse der Hauptschule. Da lagen zwei Schüler im Scherz balgend am Boden. Dann kam ein dritter Schüler dazu und sprang mit beiden Beinen gleichzeitig auf einen der am Boden Liegenden. Ich war erschrocken über dieses rohe Verhalten. Einige Tage später schlug derselbe Junge mit voller Kraft mit dem Fuß auf einen am Boden Liegenden ein. Der Rektor erzählte mir, dass dieser Junge jeden Nachmittag alleine zu Hause ist und die Eltern keine Zeit für ihn haben. Kinder erleben die mangelnde Zuwendung der Eltern und ihr mangelndes Interesse für ihr Leben als Gefühl der Unwichtigkeit und Bedeutungslosigkeit und bekommen Minderwertigkeitsgefühle, die unter Umständen hasserfüllt an anderen Menschen abreagiert werden. Das Aufsehenerregende ihrer Gewalttätigkeit ist ein verzweifelter Kompensationsversuch ihrer Minderwertigkeitsgefühle. So werden sie wahrgenommen und beachtet. Beachtet zu werden ist für solche Jugendliche oft wichtiger als geachtet zu werden.

 

Zusammenfassung:

 

In allen Lebensbereichen sind Kompensationsformen von Minderwertigkeitsgefühlen zu beobachten: in den individuellen Egoismen, in allen Bereichen, wo Menschen zusammenleben, besonders aber in Religion, Wirtschaft und Politik.

 

Wo aber Menschen ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln, können sie achtungsvoll, in gesunder Hilfsbereitschaft und gerecht miteinander umgehen. Sie haben es nicht nötig, auf andere Menschen herabzusehen, sie zu demütigen, zu unterdrücken, sie beherrschen zu wollen oder sie zu manipulieren. Menschen mit einem gesunden Selbstwertgefühl sind bereit, in der Gegensätzlichkeit von Meinungen und Interessen Kompromisse zu schließen und andere in ihrer Andersartigkeit zu tolerieren; man muss sie nicht ausgrenzen und bekämpfen; es lassen sich gute Spielregeln des Zusammenlebens finden.

 

Ich bin überzeugt, dass es sich dabei auch um ein zentrales religiöses Thema handelt: Dass Erlösung, wie es im Christentum verstanden wird, vor allem bedeutet, Menschen werden von dem Gefühl erlöst, nichts wert zu sein. Denn die oft unbewusste Angst, nichts wert zu sein, macht die Menschen egoistisch, rücksichtslos, gefühllos und gewalttätig und sie schadet dem Menschen in seinem Innersten, in seinen Beziehungen zu anderen und zur Umwelt.

Sowohl chronische Minderwertigkeitsgefühle als auch die vielfältigen Formen ihrer Kompensation sind religiös betrachtet die Grundformen von „Unerlöstheit“.

 

Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de)

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