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Die „evangelischen Räte“

 

Die „evangelischen Räte“ gelten als von Jesus denen zur Lebensgestaltung empfohlen, die möglichst getreu nach christlichen Wertvorstellungen leben wollen. Viele Ordensmitglieder sind deshalb angehalten, beim Ordenseintritt sich auf diese zu verpflichten; dazu gehören:
Keuschheit (Ehelosigkeit = Enthaltung von Sexualität), Armut, Gehorsam.
Doch bei einer näheren Betrachtung ist das übliche kirchliche Verständnis der „evangelischen Räte“ problematisch.

In der grundsätzlichen Sicht christlicher Lebensgestaltung geht es jedoch - in der Verbundenheit mit Gott - um einen liebevollen und verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung und ihren Gütern, ebenso mit den Gütern des eigenen Lebens und mit den menschlichen Beziehungen.

 

Jungfräulichkeit (Mt 19,12):

Der Körper des Menschen, seine Gefühle und seine Sexualität sind grundsätzlich als gute und wertvolle Schöpfungsgaben zu sehen, die Christen nicht abwerten und ablehnen sollten, sondern es geht darum, liebevoll und verantwortungsvoll damit umzugehen.

Das Prinzip des „rechten Maßes“ ist zu suchen und zu verwirklichen.

Es ist problematisch, wenn von jenen, denen wesentliche Leitungs- und Entscheidungsaufgaben in der Kirche übertragen werden, gleichzeitig eine Berufung zur Ehelosigkeit verlangt wird. Da diese beiden Berufungen keineswegs immer gleichzeitig in einer Person vorhanden sind, fehlt es entweder an genügend Leitungspersonen oder Leitungspersonen nehmen die Ehelosigkeit in Kauf, ohne sie innerlich bejahen zu können. Dies kann zu Heuchelei oder zu lebenslangem sinnlosem Leiden führen.

 

Sündhaft ist nach christlicher Vorstellung:

Abwertung, Unterdrückung und Verachtung der Schöpfungsgüter der Körperlichkeit und Sexualität.

Ein zügelloser Gebrauch dieser Güter auf Kosten anderer Menschen.

Ein Gebrauch dieser Güter auf Kosten der eigenen Gesundheit und entgegen einer liebvollen, gerechten, verantwortungsvollen und ausgewogenen Lebensgestaltung.

 

Armut (Mt 19,21):

Die Gaben und Reichtümer der Schöpfung sind grundsätzlich als gut zu betrachten, mit denen man liebevoll und verantwortungsvoll umgehen soll.

Man darf sich nach christlichen Wertevorstellungen an ihnen freuen und die Lust daran als Schöpfungsfreude genießen.

Und als Christ soll man sie einsetzen, um seine Beziehungen zu den Mitmenschen und anderen Mitgeschöpfen gerecht und wertvoll zu gestalten, so dass alle sich mit ihren Fähigkeiten entwickeln und entfalten können.

Deshalb verpflichtet der Besitz, der über die Befriedigung der eigenen Grundbedürfnisse hinausgeht, zu sozialer Verantwortung.

Es gilt, das „rechte Maß“ im Umgang mit diesen Gütern zu finden und zu praktizieren.

Die entscheidende Fragestellung: Geht es in christlichen Moralvorstellungen um den Verzicht auf die Güter der Schöpfung („Armut“) oder um einen sparsamen, sozialen und verantwortungsvollen Umgang mit ihnen?

 

Sündhaft ist nach christlicher Vorstellung:

Mit den Reichtümern der Schöpfung eigene Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren und seinen menschlichen Wert von materiellen Gütern abhängig zu machen.

Maßlosigkeit und Suchtverhalten im Umgang mit den materiellen Gütern.

Inkompetenz und naiver Umgang mit den materiellen Gütern, weil man sich nicht kundig macht und anderen keine Verantwortung zutraut.

Kein nachhaltiger Umgang mit den materiellen Gütern, indem man sie in der Gegenwart so verwendet, dass sie aufgebraucht oder so verunreinigt werden, dass sie für die kommenden Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen und anderen Geschöpfen der Lebensraum und ihre Lebensmöglichkeiten genommen werden.

Die materiellen Güter verachten, weil man sich nur nach der jenseitigen Welt ausrichtet, und sich nicht dafür interessiert, wie die anderen Menschen mit den materiellen Gütern umgehen.

 

Gehorsam (Mt 20,26):

Die neutestamentliche Textstelle (Mt 20,26), mit der der „Gehorsam“ in der Kirche begründet wird, spricht keineswegs von „Gehorsam“, sondern von „dienen“, was natürlich auch von jeder Autoritätsperson möglich und christlich gefordert ist! Deshalb ist es irreführend und unangemessen von dieser Textstelle eine Gehorsamsforderung abzuleiten.

Die Worte „Gehorsam“ und „gehorchen“ kommen im Munde Jesu nie für Menschen vor; sind also offensichtlich keine Wertbegriffe bei ihm. Jesus geht es vielmehr um Liebe, Mündigkeit und Verantwortung.

„Gehorsam“ gilt für Christen nur Gott gegenüber.
Aber um seinen Willen zu erkennen, braucht es ein aufmerksames Hinschauen auf die Werte und Gefährdungen der Natur, auf die eigenen Gefühle und die inneren Impulse und Gedanken, auf die Erfahrungen und Traditionen der Vorfahren, besonders jene, die in den „Heiligen Büchern“ gesammelt sind, und es braucht den ehrlichen und gleichberechtigten Dialog mit anderen Menschen.

Im Hinhorchen auf den Willen Gottes geht es darum, die eigene menschliche Würde, den einzigartigen Wert als „Kind Gottes“ wahrzunehmen und zur Entfaltung zu bringen, dabei die eigene Berufung zu erkennen und sie zu verwirklichen.

Dabei geht es um das Wachstum der vier Dimensionen von Liebe und deren Verbundenheit miteinander:

-       Selbstliebe (Selbsterkenntnis, ganzheitliche Selbstannahme und Selbstverwirklichung, es geht um die Verwirklichung von Eigenverantwortung und ganzheitlicher Mündigkeit in der Verbundenheit mit den anderen Dimensionen der Liebe)

-       Nächstenliebe (Sorge füreinander, Solidarität, Wertschätzung, Aufbau von Vertrauensbeziehungen, …)

-       Weltliebe (Verbundenheit mit der Lebensgemeinschaft der Schöpfung wahrnehmen und nachhaltige Sorge für die große Lebensgemeinschaft der Natur)

-       Gottesliebe (Das eigene Leben und die Welt von Gott als Gabe und Aufgabe anzunehmen und in der Verbundenheit mit ihm das Leben als Reifungsprozess zu gestalten.)

„Heiligung“ im christlichen Sinn verwirklicht sich in der Entfaltung dieser vier Dimensionen der Liebe.

 

Loyalität und Solidarität in einer Wertegemeinschaft, in der es Führungspersonen gibt, die sich verpflichten, die Werte der Gemeinschaft zu verwirklichen, und denen gegenüber funktionaler Gehorsam notwendig ist, sollte als „Loyalitätsverpflichtung“ und nicht als „Gehorsam“ bezeichnet werden.

 

Sündhaft ist nach christlicher Vorstellung:

Verzicht auf Eigenverantwortung und die Weigerung, den Weg der Mündigkeit zu gehen.

Eigene Wahrnehmung, eigenes Denken, eigene Gefühle werden abgewertet und nicht ernst genommen und deshalb nicht verstanden.

Man gibt die Verantwortung für das eigene Leben und für die eigenen Entscheidungen an „Autoritätspersonen“ ab.

Eine Seelsorge und eine geistliche Begleitung, die nicht zur Freiheit, zum Selbstbewusstsein und zum Mündig-werden der Kinder Gottes beitragen.

Wenn ein geistlicher Begleiter seine Entscheidung, die er für den anderen für richtig hält, diesem aufzuzwingen versucht.

Wenn ein geistlicher Begleiter die Mitglieder einer geistlichen Gemeinschaft dazu drängt, „Vollkommenheit“ zu erreichen.

Wenn Personen und Gemeinschaften sich anmaßen, den Willen Gottes für andere Menschen erkennen zu können.

Es ist unverkennbar, dass die traditionelle kirchliche Gehorsamskultur eine nicht unwesentliche Ursache für geistlichen Missbrauch ist.

 

Manfred Hanglberger

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