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Zölibat:
„Geschenk Gottes“ und/oder Machtinstrument der Kirche? Etwa ein Viertel der katholischen Priester, die bei ihrer
Weihe ein Zölibatsversprechen abgelegt haben, geben
einige Jahre später laut einer Umfrage an, dass sie sich ausdrücklich nicht
mehr für ein Leben im Zölibat entscheiden würden. Der Prozentsatz derer, die
bekennen, dass sie Probleme mit dem Zölibat haben, ist noch höher. Die Gründe, warum diese Priester trotzdem in ihrem Beruf weitermachen, können sehr vielfältig sein: Existentielle wirtschaftliche Gründe, Prestige-Verlust, Liebe zu ihrer Seelsorgsaufgabe, Umgehung des Zölibatsversprechens durch eine geheime Beziehung zu einer Frau, usw. Verteidigung des
Zölibats wegen kirchlicher Machtinteressen? Durch ihr Bleiben im Priesterberuf stehen sie weiterhin der Kirchenleitung als Mitarbeiter zur Verfügung. Für die Kirchenleitung hat dies viele Vorteile: Zölibatäre Priester haben ein Gehorsamsversprechen gegenüber der kirchlichen Obrigkeit abgelegt und sind deshalb für die Kirchenleitung universell einsetzbar. Sie haben keine Verantwortung für Ehepartner und Kinder. Es entstehen keine Probleme durch Ehekonflikte und Ehescheidungen und deren Auswirkungen. Da diese Priester im Normalfall erst mit 70 Jahren in Pension gehen, sind sie für die Kirchenleitung finanziell günstig. Zudem entstehen bei ihrem Tod keine Kosten, wie bei verheirateten Personen für einen überlebenden Ehepartner, deshalb entfallen die dafür ansonsten notwendigen finanziellen Vorkehrungen. Aus diesen Gründen ist es nicht verwunderlich, dass auch manche innerkirchlichen Kritiker behaupten, dass die Verteidigung und Aufrechterhaltung des verpflichtenden Zölibats durch manche Bischöfe vorrangig von Machtinteressen motiviert seien. Können junge Männer
ihre psychische Entwicklung voraussehen? Bei dieser Auseinandersetzung geht es vor allem um die Frage der psychischen Entwicklung der jungen Männer, die das Zölibatsversprechen ablegen: Können diese realistisch einschätzen, ob ihre psychische Struktur zum Zeitpunkt des Zölibatsversprechens vielleicht nur eine Übergangsphase darstellt und in ihrer weiteren seelischen Entwicklung evtl. der Wunsch nach einem gemeinsamen Leben mit einer Frau und die Gründung einer Familie nicht doch mächtig werden könnte. Wenn man einen solchen psychischen Wandlungsprozess in vielen Fällen als normale und natürliche Entwicklung betrachten könnte, wäre es unangemessen und ein Unrecht, wenn die Kirchenleitung jenen Priestern, die um eine Dispens von ihrem Versprechen und einer „Laisierung“ eingeben, um zu heiraten, quasi eine psychische Deformation unterstellt. Zölibat: Ein
seelisches Gefängnis? Wenn aber ein Teil der Priester nach einiger Zeit ihr Zölibatsversprechen als seelisches Gefängnis empfindet, aus dem sie nicht mehr herauskommen, ohne ihre berufliche und wirtschaftliche Existenz infrage zu stellen, dann besteht die Gefahr, dass die Kritiker der Kirche diese kirchliche Regelung als Machtmissbrauch bezeichnen und die Rede vom Zölibat als „Geschenk Gottes an die Kirche“ als Euphemismus betrachten, sondern statt dessen den Zölibat in nicht seltenen Fällen als „Raub der Kirche zugunsten ihrer Machtinteressen“ bezeichnen. Für Priester, die ihr zölibatäres Leben nach einigen Jahren als seelisches Gefängnis empfinden, kann die Formulierung „der Zölibat der Priester ist ein Geschenk Gottes an die Kirche“ wie ein Hohn und wie eine Lüge klingen. Das Ansehen des
Zölibats stärken durch Wahlmöglichkeit und eine zeitliche Begrenzung Die Lebensform des Zölibats wäre überzeugender und nicht dem Verdacht der Machtinteressen der Kirchenleitung ausgeliefert, wenn das Zölibatsversprechen einige Male mit einer zeitlichen Begrenzung abgelegt würde und erst in einer späteren Altersphase – vielleicht mit 40 oder 45 Jahren - als lebenslanges Gelübde. Dafür dürfte natürlich eine Beendigung der zölibatären Lebensweise nach den ersten ehelosen Lebensphasen nicht mit einer beruflichen Sanktionierung einhergehen. Eine solche Regelung würde die Bezeichnung des Zölibats als „Geschenk Gottes“ wieder glaubhafter machen und vielleicht wieder wesentlich mehr junge Männer zu einem solchen Versprechen bewegen. Zölibat: Auch
fragwürdige psychologische Gründe sind möglich! Beim Thema Zölibat ist in unserer Zeit zu bedenken, dass diese Lebensform der Priester nicht immer (nur) ein Zeichen tiefer Christusverbundenheit und ein Zeichen göttlicher Gnade sein muss. Es gibt auch psychologische Gründe, die beitragen können, sich für diese Lebensform zu entscheiden: Beispiele: ·
Unbewusstes
Sühneverhalten wegen Schuldgefühlen, die man von einem Vorfahren übernommen
hat; ·
unbewusste
Minderwertigkeitsgefühle; ·
Unsicherheit
in der eigenen Geschlechtsidentität und einer damit verbundenen
Kontakthemmung gegenüber dem anderen Geschlecht; ·
starke
Mutterabhängigkeit, die zu einer Flucht vor Frauen führen kann; ·
Eltern,
die unter Minderwertigkeitsgefühlen leiden, will man als „hochwürdiger“ Sohn
Ehre verschaffen; usw. Es gehört zu den großen Defiziten in der Katholischen Kirche, dass diese psychologischen Gründe für eine Zölibatsentscheidung zu wenig erforscht sind. Andererseits ist es eine alte spirituelle Erkenntnis, dass Gott auch aus der Schuld, aus psychischen Deformationen und Defiziten Heil schaffen kann. Aber wenn die psychischen Voraussetzungen nicht erkannt sind, können auch deren manchmal problematischen Nebenwirkungen nicht erkannt werden, um diese zu bearbeiten und abzuschwächen. Zölibat: Gefahr
bequemer Einsamkeit und Beziehungslosigkeit Da in unserer Zeit immer mehr Menschen über unbewusste psychodynamische Prozesse informiert sind, erscheint eine Jahrzehnte währende lebendige eheliche Partnerschaft, in der vielfältige Probleme und Beziehungskonflikte zu meistern sind, für viele anspruchsvoller und imponierender als eine zölibatäre Lebensform, von der sogar das päpstliche Dokument „Amoris Laetitia“ (Nr. 162) schreibt, dass sie „Gefahr (läuft), eine bequeme Einsamkeit zu sein, welche die Freiheit gewährt, sich selbstbestimmt zu bewegen, Orte, Aufgaben und Entscheidungen zu ändern, über das eigene Geld zu verfügen, je nach der Attraktion des Momentes Kontakte mit verschiedenen Menschen zu pflegen.“ Die Ehe als
„Abglanz der Dreifaltigkeit“ Dieses päpstliche Glaubensdokument weist zudem darauf hin, wie anspruchsvoll ein Leben in einer Partnerschaft ist, wo es darum geht, in tiefer Verbundenheit, Treue und in Verantwortung füreinander zu leben und gleichzeitig die Unterschiedlichkeit des anderen zu achten, so dass jeder gleichberechtigt seine Würde und Originalität zum Ausdruck bringen und entfalten kann. So ist eine lebendige christliche Ehe „ein besonderer Abglanz der Dreifaltigkeit. Denn die Dreifaltigkeit ist eine vollkommene Einheit, in der jedoch auch die Unterscheidung existiert. Außerdem ist die Familie ein christologisches Zeichen, weil sie die Nähe Gottes offenbart, der das Leben der Menschen teilt.“ (AL 161) [Zum vollständigen Text der Kap. 162-162 von „Amoris Laetitia“ >>> ] Was ist das größere
Zeichen der Gnade Gottes? Da in der westlichen demokratischen Welt, in der die Freiheitsrechte sehr umfassend anerkannt sind und in Anspruch genommen werden, aber in den ehelichen Partnerschaften der Umgang mit Unterschiedlichkeit, mit Konfliktverhalten und Kommunikation noch keineswegs genug entwickelt ist, wäre eine diesbezügliche hohe Kultur partnerschaftlicher Liebe für nicht wenige Menschen unserer Zeit ein größeres Zeichen der Gnade Gottes und eines verantwortungsvollen christlichen Lebens als der Zölibat, deren Repräsentanten in nicht wenigen Kreisen der Gesellschaft bemitleidet, belächelt oder verdächtigt werden. Kirchliche
Entscheidungsträger halten sich aus der Gestaltungsaufgabe eines wesentlichen
Schöpfungsbereiches heraus Da in meinen Augen ein wirklich gleichberechtigtes, partnerschaftliches Leben von zwei liebenden Menschen zu den größten Revolutionen der Menschheitsentwicklung und zu den größten Herausforderungen und wichtigsten Visionen des christlichen Glaubens gehören, müsste die Kirche auf die Erforschung, Gestaltung und Verkündigung dieser Aufgabe größten Wert legen. Aber wenn sich alle wichtigen Entscheidungsträger der Kirche aus diesem äußerst anspruchsvollen und komplexen Schöpfungs- und Lebensbereich heraushalten, kann die Kirche in diesem Bereich immer weniger Autorität für sich in Anspruch nehmen – noch dazu, weil für sehr viele Menschen Partnerschaft einen ganz wesentlicher Bereich von Lebenssinn, von Heils- bzw. Unheilserfahrungen darstellt. Wichtige
Überlegungen zum Thema hat Lorenz Zellner angestellt: Nicht ohne theologische
und anthropologische Gründe stelle ich viele Fragen an die Vermeidung der
Welt zentraler Beziehungen, wie sie die priesterliche Ehelosigkeit fordert. … das Denken nicht
klarer, den Willen nicht
stärker, die Seele nicht
gesünder, das Herz nicht
fröhlicher, das Menschsein als
Frau oder als Mann nicht lebendiger, die Beziehungen
nicht sozialer und die Liebe zu Gott
nicht voller, runder und satter – und das Sterben
oft nicht einfacher. Werden zentrale
Lebensweisen des Menschen, die der Schöpfungsordnung entsprechen, aus seinem
Denken und Gestalten ausgeklammert, wird die Lehre von der Logik und Güte der
Schöpfung leicht zu einer Leerformel. Die Schöpfung in
ihrem ganzen Umfang und mit allen Fasern und Farben zu leben, da muss die
Kirche wieder in zielführender Weise tätig werden und einen Prozess
einleiten, der die jahrhundertelange Selbstfesselung an verbrauchte
Ideologien aufhebt. Hier muss auch die
kirchliche Elite einbezogen werden und bei der praktischen Gestaltung in der
ersten Reihe sitzen. Vorbilder sind
gefragt. Es bleibt nicht viel
Zeit, den Grund dafür zu legen, Aus: Lorenz Zellner: „Ich
bin auf den Grund gegangen – aber nicht zugrunde“, S.209 >>> Und in der
Evangelischen Kirche? Nun wird beim Thema Zölibat häufig auf die Evangelische Kirche und deren Vertrauensverlust in der Gesellschaft trotz verheirateter Pfarrer und Bischöfe hingewiesen. Hier ist zu bedenken, dass für die Evangelische Kirche die Theologie des Paulus eine zentrale Rolle spielt; denn Paulus betonte die Freiheit und die unmittelbare Gottesbeziehung jedes Gläubigen. Aber wegen der eschatologischen Naherwartung des Paulus wird auf die Heilsbedeutung der Ehe nicht so viel Wert gelegt. Vor allem aber ist zu bedenken, dass im jüdischen Umfeld Jesu und im griechisch-römischen Kulturkreis, in dem sich Paulus vornehmlich bewegte, von wirklich partnerschaftlichen Erfahrungen in der Beziehung von Mann und Frau auf breiter Ebene nicht die Rede sein kann. Die Orientierung an
der Bibel übersieht die heilsgeschichtliche Entwicklung unserer Zeit Eine Ehemoral, die sich deshalb nur an den alten religiösen Texten der Bibel orientiert, wie dies bei vielen gläubigen evangelischen Christen zu beobachten ist, ist deshalb in Gefahr, in theologischer Symbolik (Ehe als Abbild des Bundes Gottes mit den Menschen) und in Liebesforderungen sich zu erschöpfen. Das heutige Wissen über psychische Verdrängungen und Projektionen, die wesentlich die Dynamik einer Ehe bestimmen, ist dabei aber nicht integriert. Man kann Paulus und der Bibel allgemein keinen Vorwurf machen, dass sie von psychischen Verdrängungen und Projektionen nichts wissen, wie man ihnen keinen Vorwurf machen kann, dass sie von der Evolution allen Lebens, vom Alter der Erde und des Universums nichts wissen. Aber man kann den Verantwortlichen beider Kirchen den Vorwurf machen, dass sie den Dialog mit den Erkenntnissen der Psychologie unserer Zeit zu wenig betreiben und keine entsprechende zeitgemäße Glaubenslehre und eine daraus erwachsende Spiritualität entwickelt haben. (>>>) Der Dialog mit den
Humanwissenschaften ist defizitär! Es braucht deshalb Menschen – wie Lorenz Zellner schreibt
-, „die längst verstanden haben, dass
die alten religiösen Schriften nicht mehr die einzigen Lieferanten von
Erkenntnissen, von Ethik und Lebensanleitung sind, die vielmehr auch dort
einkaufen, wo die neuen Exegeten der Schöpfung, die Wissenschaftler und
Forscher, die Logik der göttlichen Erfindungen studieren und die Lebens- und
Beziehungslandschaft verantwortlich definieren.“ („Ich bin auf den Grund
gegangen … S.223) Deshalb ist das geringe Erstnehmen der Erkenntnisse der Humanwissenschaften durch die Kirchenleitungen so gefährlich. Schlusswort: Man kann sich in der derzeitigen Auseinandersetzung um die Zölibatsfrage des Verdachts kaum erwehren, dass manche Bischöfe nicht bereit sind, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Verteidigung des verpflichtenden Zölibats die Bedeutung der Schöpfungsordnung nicht genügend im Blick haben. Dies kann der Kirche nicht zum Segen gereichen. Aus religiösen Gründen zölibatär lebende Menschen gibt es in allen großen Religionen und wird es auch im Christentum wohl immer geben. Aber die Strahlkraft einer aus religiösen Gründen gelebten zölibatären Lebensform wird immer verdunkelt und ins Gegenteil verkehrt, wenn sie mit Machtinteressen verbunden ist. Vorrangige Konsequenzen für unsere Zeit: 1. Die Erforschung der Beweggründe für eine Entscheidung für eine zölibatäre Lebensform ist in der Kirche voranzutreiben. Dies einerseits, um Priesteramtskandidaten bei der Klärung ihrer Entscheidung zu helfen, andererseits, um den Verantwortlichen für die Zulassung von Priesteramtskandidaten Kriterien in die Hand zu geben, um Personen mit einer problematischen psychischen Struktur leichter zu erkennen und für diese evtl. Wege der Heilung in eigens dafür errichteten unabhängigen Instituten anzubieten. 2.
Durch eine Freistellung von der Zölibatsverpflichtung der katholischen Priester ist mit einer erhebliche Welle von Problemen durch
Ehekonflikte, Ehescheidungen und Konflikten mit heranwachsenden Kindern zu
rechnen. Priester als Gemeindeleiter könnten dadurch sehr an Autorität
einbüßen und als Verkünder der Frohbotschaft bei einem Teil der
Gemeindemitglieder unglaubwürdig werden. 3.
Da Beziehungsprobleme in unserem
Kulturkreis für viele Menschen an der ersten Stelle ihrer Leiden stehen und
andererseits die Kirche von ihrem Gottesbild her den Menschen als
Beziehungswesen betrachtet, ist es die vordringliche Aufgabe der Kirche, das
Wesen menschlicher Beziehungen und deren Gefährdungen und Heilungsmöglichkeiten
besser zu erforschen und die Ergebnisse in eine zeitgemäßen
Glaubenslehre zu integrieren und zu verkünden. Leider fehlt eine
zeitgemäße Glaubenslehre der Kirche zum Thema „Psychische Reifungs- und
Heilungsgesetze und ihrer Blockaden in menschlichen Beziehungen aus der Sicht
des christlichen Glaubens“ (Oder „Die Sorge um unser inneres Haus“). 4. Dringend
notwendig wäre aber auch, dass die wesentlichen Aussagen einer solchen
Glaubenslehre in Form von Gebeten und Riten Eingang in die Liturgie und
Gebetskultur der Kirche finden, damit sie langfristig die Spiritualität und
damit die Wertvorstellungen der Gläubigen prägen. Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de
) |
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Braucht es noch Priester? >>> Zölibat und Ehe in “Amoris Laetitia”>>> |
Lorenz Zellner: Buchinfo „Ich bin
auf den Grund gegangen …“ (Zur Zölibatsdiskussion) >>> |
10 notwendige Schritte für eine zeitgemäße Glaubens- und
Kirchenreform >>> Zeitgemäße Ehe- und Familienpastoral >>> Die Ehe – ein Sakrament? >>> Machtmissbrauch überwinden durch Orientierung am
Autoritätsverständnis und der Autoritätspraxis Jesu >>> |