Überlegungen zur
Patriarchen-Geschichte im Alten Testament
- Ich glaube nicht, dass es sich bei den
Patriarchengeschichten um historische Erzählungen handelt, sondern um
spätere Berichte, die bestimmte Probleme aus dem Glauben zu lösen bzw.
zu erklären versuchen – geschrieben von Menschen, die einerseits vom Hl.
Geist inspiriert waren, aber andererseits von ihrer damaligen Zeit und
dem damaligen Wissen geprägt waren.
- Das Phänomen, dass die Zweitgeborenen und ihre Mütter
eine so bedeutende Rolle in der Heilsgeschichte spielen, zeigt
einerseits, dass Gott sich nicht an die Wert- und Machtvorstellungen der
Menschen hält (Die Erstgeborenen sind meist Vatersöhne – und die Väter
hatten in den patriarchalen Kulturen die Macht!) und andererseits, dass
Gott über die schwächere Seite der Menschen seine Heilsgeschichte
voranbringt.
Dies entspricht der Erkenntnis der Befreiungstheologie, dass die Armen
die Wahrheit eher erkennen als die Reichen, weil sie wegen ihrer Armut
nicht die vielen Verdrängungs- und Ablenkungsmöglichkeiten haben wie die
Reichen in ihrem Konsumverhalten – und wegen ihrer fehlenden Privilegien
und Machtpositionen ein anderes Bedürfnis nach Änderung der Verhältnisse
haben.
- Familientherapeutisch sind die Zweitgeborenen meist
Muttersöhne. Da es zehntausende von Jahren eine sehr klare
Aufgabenverteilung zwischen Frauen und Männern gab (Frauen mussten für
die kleinen Kinder Gefühlsspezialistinnen sein, während die Männer als Jäger
und Kämpfer Gefühlsverdränger waren), mussten die Zweitgeborenen beide
Seiten integrieren und waren deshalb oft die Propheten, Priester und
Revolutionäre, die die Heilsgeschichte vorantrieben. Noch heute tragen
die Priester in der Liturgie noch Frauenkleider und sind
familientherapeutisch meist Muttersöhne.
- Für die spätere Verteufelung der Erstgeborenen, Kain und
Esau, gibt es in den Texten der Bibel keinerlei Anhaltspunkte.
In meinen Augen sind diese Texte wie auch Röm 9 ein Hinweis, dass diese
biblischen Schriftsteller weder die historisch-evolutiven noch die
familientherapeutischen Kenntnisse hatten, die wir heute haben.
Dies ist in meinen Augen aber keineswegs eine Abwertung dieser Personen,
aber hilft zu einer heute notwendigen kritischen Unterscheidung.
- Deshalb habe ich zur Kain-Abel-Geschichte und zur
Prüfungsgeschichte Abrahams einige Überlegungen und Geschichten
veröffentlicht:
https://hanglberger-manfred.de/genesis-4-kain-abel-heologie-gebete.htm
https://hanglberger-manfred.de/bibel-gen-22-abraham-isaak.html
- Aufgrund meiner Überlegungen zur Abrahamserzählung kann
die Bezeichnung „Vater des Glaubens“ nicht auf die
Prüfungsgeschichte (Gen 22) bezogen werden.
- Wenn im Ersten Hochgebet der Hl. Messe ebenso wie
im Hochgebet der tridentinischen („alten“) Messe das Opfer Abels und das
Opfer Abrahams als gott-wohlgefällig dargestellt werden, so muss man
denen, die heute noch so beten, unterstellen, dass sie von den
bibelwissenschaftlichen Erkenntnissen dieser Texte keine Ahnung haben.
Zum offiziellen Originaltext aus dem Ersten Hochgebet der Hl. Messe:
So bringen wir aus den Gaben, die du uns geschenkt hast,
dir, dem erhabenen Gott, die reine, heilige und makellose Opfergabe dar:
das Brot des Lebens und den Kelch des ewigen Heiles.
Blicke versöhnt und gütig darauf nieder und nimm sie an
wie einst die Gaben deines gerechten Dieners
Abel,
wie das Opfer unseres Vaters Abraham,
wie die heilige Gabe, das reine Opfer deines Hohenpriesters
Melchisedek
Manfred Hanglberger (www.hanglbergermanfred.de)
Link zum Teilen: https://hanglberger-manfred.de/patriarchen-erzaehlungen.htm

>> Eine Geschichte zu Gen 22: Wie
dieser biblische Text entstanden sein könnte
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