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Beobachtung und Überlegungen zum Auseinandergehen von langjährigen Ehen
I. Naturwissenschaftliche Überlegungen
II. Kulturgeschichtliche
Überlegungen
III. Psychologische Überlegungen 1 - Muttersöhne und Vatertöchter 2 - Wenn die Frau negative Vater-Erfahrungen auf den Partner projiziert 3 - Sexueller Missbrauch schädigt die Körpererfahrung 4 - Systemische Sichtweise
VI. Wenn ein gemeinsamer Lebenssinn fehlt
I. Naturwissenschaftliche Überlegungen
1. Wenn wir die Mann-Frau-Beziehung von der Evolution des Menschen her betrachten, dann lebten die Menschen mehr als 99,9 % der biologischen Entwicklungszeit in großen Verwandtschaftsclans. Bei diesen Clans war eine möglichst große Kinderzahl für das Überleben sehr wichtig. Deshalb war die Wertschätzung für die Frauen mit deren Fähigkeit verbunden, vielen Kindern das Leben zu schenken und diese groß zu ziehen.
2. Es ist zu vermuten, dass das Interesse dieser Frauen an den Männern drastisch abnahm, sobald ihre fruchtbaren Jahre vorüber waren. Umgekehrt dürfte nach dieser Zeit das Interesse der Männer an diesen Frauen abgenommen haben. Die Aufgabe dieser Frauen und die damit verbundene Anerkennung dürfte mehr in der Unterstützung der jüngeren Frauen und in der Mitsorge für die Kinder und für den gesamten Clan bestanden haben. Es gab aber nur wenige Frauen, die ein höheres Alter erreichten. Die meisten Frauen starben, bevor sie unfruchtbar wurden.
3. Männer, die ein relativ hohes Alter erreichten, erschienen stark und gesund zu sein. Das machte sie für die gebärfähigen Frauen attraktiv, da der sexuelle Kontakt mit ihnen gesunde und starke Kinder verhieß. Deshalb verhielten sie sich diesen älteren Männern gegenüber anziehend und interessiert und entwickelten im körperlichen Zusammensein eine große Kreativität.
4. Vielleicht haben deshalb auch noch in unserer Zeit viele Frauen nach ihrer fruchtbaren
Zeit nur noch wenig Interesse an Sexualität
und Körperkontakt mit ihren Ehemännern. Dies hängt auch damit
zusammen, dass sich bei den Frauen nach den
Wechseljahren der Hormonspiegel ändert und das gemeinsame Interesse für den Nachwuchs
nicht mehr vorhanden ist.
II. Kulturgeschichtliche Überlegungen
1. Zusätzlich zu diesen evolutiven Überlegungen kommen in unserer Zeit neue Verhaltensweisen der Frauen aufgrund ihres gewachsenen Selbstwertgefühls dazu.
2. In manchen Kulturen, in denen die Gleichberechtigung von Mann und Frau sich gesellschaftlich noch nicht durchgesetzt hat, gibt es meist eine klar abgegrenzte Aufgaben- und Kompetenz-Verteilung zwischen den Geschlechtern. Dabei gibt es eine ausgeprägt und gesellschaftlich anerkannte Rangordnung: Die Männer sind dominant und stehen in der Öffentlichkeit, während die Frauen mehr im Haushalt tätig sind und damit gesellschaftlich im Hintergrund bleiben. Doch in vielen dieser Kulturen sind die Kontakte und Kommunikationsstrukturen der Frauen unter ihresgleichen lebendiger als die Gespräche zwischen Mann und Frau. Die Geschlechtergruppen leben in ihrer je eigenen Kommunikationswelt und Lebenswirklichkeit. Die Frauen in diesen patriarchalen Systemen haben oft viel Kontakt untereinander, aber wenig Einflussmöglichkeiten auf die Männer. Versorgt zu sein ist für sie gewöhnlich wichtiger als eine emotionale Beziehung. In manchen Kulturepochen suchten sich die Frauen die Männer aus und hielten damit evolutionsbiologisch überwiegend die Fäden in der Hand. Denn gesunde und starke Männer versprachen der Frau einen zuverlässigen Schutz.
3. Heiraten Frauen aus einem Kulturkreis mit einer entwickelten Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern einen Mann aus einem patriarchalen Gesellschafts- und Familienmuster, kommt es meist zu extremen Konflikten; denn der Mann hat meist mit der gleichberechtigten Rolle der Frau große Schwierigkeiten. Der Widerspruch, mit dem er bei dieser Frau konfrontiert ist, die nicht einfach gehorcht, wie er das in seinem Kulturkreis gewohnt ist, und die Notwendigkeit der Auseinandersetzung und der Zwang zu Kompromissen verunsichern ihn und machen ihm Angst. Verunsicherung und Angst bei einem Mann aber sind in seinem vertrauten Kulturkreis extrem negativ bewertete Gefühle.
4. Der Wandel hin zu partnerschaftlichen Beziehungen stellt eine gewaltige Herausforderung für die seelische Entwicklung von Mann und Frau dar, wie die Ehekonflikte in den diesbezüglichen „Schwellenländern“ zeigen. Partnerschaftliche Beziehungen sind einer der wichtigsten Aspekte des Fortschritts der menschlichen Kultur. Sie haben fundamentale Auswirkungen auf die seelische Entwicklung der Kinder, aber auch auf alle Konfliktfelder des gesellschaftlichen Lebens. Wer mit den Unterschieden von Mann und Frau achtungsvoll und gerecht umgehen kann, lernt auch mit den Unterschieden und Gegensätzen im gesellschaftlichen und politischen Bereich gerecht, achtungsvoll und tolerant umzugehen. Wo Interessenskonflikte und Meinungsverschiedenheiten in der Familie nicht ertragen und in fairer Weise ausgetragen werden, ist es schwierig, demokratische Prozesse in der Gesellschaft ohne Feindbilder und ohne Verteufelung der Gegenseite zu akzeptieren.
III. Psychologische Überlegungen 1 - Muttersöhne und Vatertöchter
1 -1. Männer, die als Kinder in eine starke Helferrolle für ihre Mutter geraten waren, entwickeln häufig ein ausgeprägtes Besitzdenken gegenüber einer Partnerin. Das Grundmuster, das sie in der Kindheit erlebt und verinnerlicht haben, bestand in einer symbiotischen Beziehung, d.h., der kleine Junge erlebte sich als Besitz der Mutter und möchte nun seinerseits die „Ersatzmutter“ in Gestalt der Partnerin „besitzen“. Dies zeigt sich häufig in extremem Kontrollzwang und heftigen Eifersuchtsanfällen. Solche Männer verlieben sich am stärksten in Frauen, die aufgrund einer negativen Vaterbeziehung sehr anlehnungsbedürftig sind und anfangs gerne in eine symbiotische Beziehung einwilligen, die eine Nachholung der einst vermissten Vater-Tochter-Beziehung verheißt.
1 -2. Dass der Mann gerade durch Kontrollzwang und Eifersucht die Partnerin eines Tages vertreibt, ist diesem nicht bewusst. Denn die „Unterdrückten“ entwickeln nicht selten nachträglich ein „Erwachsenen-Bewusstsein“ und wehren sich gegen den demütigenden Kontrollzwang – während die „Herrschenden“ keinen Grund sehen, sich weiterzuentwickeln, und deshalb in der Wahrnehmung der Partnerdynamik oft geistig-seelisch stehen bleiben. In diesen Ehen sind es gewöhnlich die Frauen, die aus der Ehe ausbrechen.
2 - Wenn die Frau negative Vater-Erfahrungen auf den Partner projiziert
2 -1. Besonders Frauen,
die schlechte oder enttäuschende Erfahrungen mit ihrem Vater gemacht haben, suchen sich unbewusst
einen Vater-Ersatz und verlieben sich oft in Männer, die in der Kindheit von der Mutter vereinnahmt waren und deshalb die Partnerin zu beherrschen trachten. Für diese ist
dies die gewohnte Erfahrung mit ihrem Vater und deshalb nicht verwunderlich. Dies kann ein weiterer Grund sein, warum sich solche Männer nach einer jüngeren Frau umsehen.
2 -2. Negative Vater-Erfahrungen verursachen oft eine starke Sehnsucht nach einem wirklich liebevollen Partner als „Vater-Ersatz“. So können solche Frauen einige Jahre eine glückliche Partnerschaft erleben. Doch nach einiger Zeit können die unbewussten Grundstimmungen der Angst und Verachtung sich durchsetzen und das Zusammenleben vergiften.
2 -3. Manche dieser Frauen
erleben also eine zeitliche Aufspaltung ihrer Vater-Projektionen im Zusammenleben mit dem Partner:
3 - Sexueller Missbrauch schädigt die Körpererfahrung
3 -1. Ein weiterer Grund für Beziehungsprobleme im vorgerückten Alter von Seiten der Frauen sind Erfahrungen des sexuellen Missbrauchs in der Kinder- und Jugendzeit. Dies kann ein Grund sein, warum Frauen ihren eigenen Körper nicht lieben und nicht glücklich „in sich selbst zuhause sind“. Manche können mit Zärtlichkeiten weder aktiv noch passiv viel anfangen, weil sie ihren Körper wenig spüren. Wegen ihren negativen Körpererfahrungen haben sie gelernt, „nichts zu fühlen“.
3 -2. Manche empfinden sogar einen Ekel vor sich selbst und einen Ekel vor dem Körper des Partners. Deshalb entwickeln sie keine „Kultur der Zärtlichkeit“ und keine Kreativität im körperlichen und sexuellen Umgang miteinander. Sexualität wird möglichst vermieden oder man lässt sie wie eine Pflichtübung über sich ergehen.
3 -3. Nicht nur sexueller Missbrauch kann zum Verlust einer positiven Körper-Erfahrung führen, sondern auch viele andere Formen von körperlichen und seelischen Demütigungen. Vor allem, wenn nicht nur bestimmte Verhaltensweisen durch die Eltern abgewertet werden, sondern das Dasein selbst als Last und Problem erscheint.
4 - Systemische Sichtweise
4 -1. Die systemische Psychologie hat aufgedeckt, dass nicht nur die persönlichen Erfahrungen von Frauen in deren eigener Lebensgeschichte solche Probleme auslösen können, sondern dass sie solche defizitären oder ablehnenden Gefühle und Grundstimmungen gegenüber Männern und gegenüber Körperlichkeit und Sexualität von ihrer Mutter oder Großmutter übernehmen können.
4 -2. Wurde z.B. die Großmutter in ihrer Jugendzeit sexuell missbraucht, kann deren Tochter oder Enkeltochter Probleme mit ihrer Körpererfahrung und dadurch mit Zärtlichkeit und Sexualität haben. Meist ist das Schicksal der Jugendzeit der Großmutter gar nicht bekannt. Deshalb halten Tochter bzw. Enkeltochter ihre Gefühlsblockaden evtl. für normal und sehen dann kein Problem. Das Problem scheint nur der Partner zu haben, der dann vielleicht sogar als sexsüchtig betrachtet wird.
VI. Wenn ein gemeinsamer Lebenssinn fehlt In früheren Zeiten, als die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich geringer war, war das Leben für viele Menschen ein Kampf ums Überleben. Es mussten viele Probleme und Sorgen um Ernährung, Arbeit, Einkommen und Gesundheit bewältigt werden. Zudem waren alle Lebensbereiche (Familie, Schule, Arbeitswelt, Religion, Politik) sehr autoritär gestaltet, was vielfältige Ängste auslösen konnte, die man in den Ehen gemeinsam zu meistern hatte. Extreme Probleme verursachten zudem Naturkatastrophen, aber vor allem die Kriege und die damit verbundenen Zerstörungen und millionenfachen Vertreibungen des letzten Jahrhunderts. Die gemeinsame Bewältigung all dieser Belastungen schweißte die Menschen in den Ehen zusammen und ließen die sonstigen Meinungsverschiedenheiten unbedeutend erscheinen. In unserer Zeit haben viele Sorgen und Ängste in den Bereichen der Existenzsicherung und der Autoritätsbeziehungen für die meisten Menschen in unserem Kulturkreis drastisch abgenommen. Nun stellt sich ganz neu die Frage, was dem Leben Sinn gibt und wie die Sinnperspektiven von zwei Menschen in einer Paarbeziehung sich gegenseitig ergänzen und diese Beziehung stärken und stabilisieren können.
In Europa hat das Christentum den Lebenssinn Jahrhunderte lang vorgegeben: Das Leben sei eine Zeit der Bewährung, in der man sich durch Glaubensgehorsam und „gute Werke“ den Himmel verdienen sollte. So wurde die Welt als Testgelände und Gott zum Menschentester umfunktioniert. Nachdem dieses Glaubensmuster immer weniger Überzeugungskraft hatte, waren die christlichen Kirchen in Europa nicht fähig, durch notwendige Reformen eine Lebenssinnperspektive, die der Botschaft Jesu und dem Wissen unserer Zeit entsprach, den Menschen anzubieten. So bestimmt inzwischen das kapitalistische Denken, das Wohlstand, Lebenslust, Konsumdenken, Zeitvertreib und Abwechslung verheißt, den Lebensinhalt von immer mehr Menschen.
Da das Wertesystem des Kapitalismus auch in die Familienbeziehungen eingedrungen ist, betrachten sich viele Partner nach einigen Ehejahren aus einer konsumistischen Perspektive und wenn sie keine verbindenden Sinngehalte für ihr Leben über Hausbau und Kindererziehung hinaus entwickelt haben, erscheint ein weiteres Zusammenleben nicht sinnvoll. Dies vor allem, wenn die gemeinsame Sorge und Kreativität für die Kindererziehung altersbedingt weggefallen sind.
Manfred Hanglberger
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