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Unsere kirchlich-christliche
Gebetskultur braucht dringend eine zeitgemäße
Neugestaltung! Die Lage des christlichen Glaubens in unserem Land ist nach meiner Wahrnehmung weit schlimmer, als die Aktivitäten unserer Bischöfe vermuten lassen.
Nach meiner Meinung handelt
es sich nicht nur um eine Kirchen- und Glaubenskrise, sondern auch um eine Gebetskrise:
Zudem entsprechen viele unserer Gebete nicht den seelischen Bedürfnissen und Sorgen der Menschen unserer Zeit.
Wenn unsere Gebete eine Glaube, Hoffnung und Liebe stärkende Wirkung für die Menschen unserer Zeit haben sollen, dann müssen sie auf dem Hintergrund einer angemessenen Beziehung Gottes zur Welt und zu uns Menschen formuliert sein.
Vor über einhundert Jahren hat die Katholische Kirche die großartige Erkenntnis von der „Subsidiarität“ in der Beziehung von politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen zu den Bürgern bzw. Beschäftigten verkündet, wofür sie von Politikern, ethisch interessierten Wirtschaftsführern und Gewerkschaftlern sehr große Anerkennung erhalten hat. Aber sie hat diese Erkenntnis weder in ihren eigenen Strukturen angemessen umgesetzt, noch in der Beziehung Gottes zur Welt und zu uns Menschen verkündet.
Heute wird immer mehr Menschen bewusst, dass Subsidiarität als Anerkennung der Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der jeweils unteren Ebene und „Hilfe zur Selbsthilfe“ besonders in der sogenannten Entwicklungshilfe, aber auch im therapeutischen und pädagogischen Bereich ein anspruchsvolles, aber absolut notwendiges Prinzip ist. Denn sonst kann soziales Handel, Liebe und Hilfsbereitschaft entmündigen, bevormunden und in ungesunder Weise abhängig machen.
Wenn es um eine zeitgemäße christliche Gebetskultur geht, ist die „Subsidiarität“ auch in der Beziehung Gottes zu den Menschen und zur Welt zu bedenken:
In der Beziehung zur Welt hat die Kirche eine Erkenntnis der Theologie von Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert aufgegriffen, als sie im Zweiten Vatikanischen Konzil von der „Richtigen Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“ sprach (In Gaudium et Spes, Kap 36). Aber nicht nur seit dem Mittelalter wurde diese Erkenntnis nicht in der Gebetskultur der Kirche und nicht in der Verkündigung verwirklicht, sondern auch nicht seit dem Konzil. Wir beten ständig zum „allmächtigen“ Gott, der lebt und „herrscht“, obwohl das von den Gläubigen völlig falsch verstanden wird: Beherrscht Gott die Welt oder beseelt er sie? In solchen Gebetsformulierungen ist nicht erkennbar, wie wir uns das Wirken Gottes in der Natur und in der menschlichen Psyche zeitgemäß vorstellen können. Das Konzil müsste auch diesbezüglich endlich auch in der Gebetskultur umgesetzt werden.
Besonders problematisch sind viele unserer Gebete, wenn wir die
Subsidiarität Gottes gegenüber den Menschen bedenken:
Viele unserer Gebete, die im Bußakt des Gottesdienstes, bei Trauerfeiern und manchen anderen liturgischen Handlungen Gottes Erbarmen erflehen, erwecken den Eindruck als wären wir Menschen füreinander solidarischer, verständnisvoller und mitfühlender als Gott mit uns.
Im Schuldbekenntnis der Kirche, flehen wir die „selige Jungfrau Maria, alle Engel und Heiligen“ und unsere „Schwestern und Brüder“ an, bei Gott zu bitten, dass er uns unsere Sünden erlasse. Müssen wir alle möglichen „guten Beziehungen“ spielen lassen, um Gott zu bestürmen, um sein Herz zu erweichen? Auf ein Gleichnis Jesu übertragen würde das heißen, dass der „verlorene Sohn“ heimkommt, der Vater sich aber nicht blicken lässt. Die Mutter läuft ihm über den Weg und dann auch noch sein Bruder und Knechte und Mägde. Und alle bittet er, zum Vater hineinzugehen und für ihn ein gutes Wort einzulegen, damit dieser sich seiner erbarme. So lautet das Gleichnis aber nicht. Durch solches Beten stellen wir Menschen uns als die Barmherzigeren dar, barmherziger als Gott. Auch bei Beerdigungen ist zu bedenken, ob es angemessen ist, Gottes Erbarmen für den Verstorbenen zu erflehen. Sollten wir nicht vielmehr Gottes Hilfe erbitten, dass es uns gelingt, den Verstorbenen in rechter Weise zu verabschieden und ihm zu verzeihen und dass wir vom Verstorbenen Verzeihung erlangen, dass eine Versöhnung zwischen Lebenden und Verstorbenen über die Schwelle des Todes hinweg möglich wird? Wenn wir aber das Problem auf Gott verschieben, dann besteht die Gefahr, die tatsächlichen seelischen Probleme zwischen den Menschen zu verdrängen, statt sie zu lösen.
Ist es angemessen zu glauben, dass Gott die Sünder in der Ewigkeit bestraft, statt zu glauben, dass er die Sünder zu den Leidtragenden dieser Sünden führt, damit diese sich gegenseitig versöhnen - indem die Täter den Schmerz der Opfer in ihr Herz aufnehmen? Subsidiarität besonders in dieser Frage macht deutlich, dass Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in Gottes „Gericht“ nicht im Gegensatz zueinander stehen und die Barmherzigkeit Gottes keine billige Angelegenheit darstellt, sondern seine grenzenlose Barmherzigkeit nur zur Wirkung kommen kann, wenn der Täter in subsidiärer Eigenverantwortung die Begegnung mit dem Opfer seiner Taten bis ins Innerste seines Herzens zulässt und damit seinen Beitrag für eine Versöhnung auf sich nimmt.
Ist es angemessen vorrangig zum Beichten zu einem Pfarrer zu gehen, statt zu den Menschen, denen gegenüber man Unrecht getan hat – und dann erst ist weiter zu bedenken, wann es sinnvoll oder notwendig ist, zu einem Priester zur Beichte zu gehen?
Wäre es nicht angemessen bei Heiligen-Litaneien statt „Bitte für uns“ besser „Dein Geist stärke uns“ zu antworten? Ähnliches gilt für den zweiten Teil des Ave Maria.
Es geht immer um seelisch-moralische Selbstbestimmung und Eigenverantwortung und um das entsprechende Gebet um Orientierung und Kraft für diese Eigenverantwortung, statt Gott zu bitten, dass er die Probleme lösen soll, bzw. dass er zur Barmherzigkeit bekehrt werden soll. Es ist der Zusammenhang zwischen dem Handeln Gottes und menschlicher Verantwortung gerade beim christlichen Beten gründlicher zu bedenken und in einer zeitgemäßen und Evangeliums-gemäßen Weise neu zu formulieren!
Wir stellen fest, dass das „Gebetläuten“ der Kirchenglocken für wohl mehr als 99 Prozent der Gläubigen keine religiöse Bedeutung mehr hat. Auch wenn ich den Wert des „Engel-des Herrn“ als sehr theologisch geprägtes Gebet der Glaubenstradition nicht in Frage stellen will, ist dieses Gebet für die seelischen Bedürfnisse des heutigen Menschen im Alltag wenig hilfreich. Wir brauchen Gebete, die die Gegenwart Gottes auf dem Hintergrund des heutigen Wissens über die Welt und den Menschen bewusst machen und die Frohbotschaft als seelische Nahrung für die fundamentalen seelischen Grundbedürfnisse des heutigen Menschen formulieren.
Ein weiteres wichtiges Anliegen: Wann formuliert die Kirchenleitung ein Glaubensbekenntnis für den liturgischen Gebrauch, in dem auch die Botschaft Jesu selbst unmittelbar und für unsere Zeit verständlich zum Ausdruck kommt? Ein zeitgemäß formuliertes christliches Glaubensbekenntnis müsste wesentliche christliche Grundwerte zum Ausdruck bringen, die für jeden Gläubigen - ohne großes theologisches Nachdenken – einen seelischen oder moralischen Impuls auslösen. Ein solches Glaubensbekenntnis könnte die Verbundenheit der Gläubigen im Bewusstsein von gemeinsamen Werten stärken.
Die ganze Gebetskultur und Liturgie der Kirche braucht eine Erneuerung auf der Grundlage eines Menschenbildes und eines Gottesbildes, das der Botschaft unseres Glaubens besser entspricht – dafür könnte das Bedenken der Subsidiarität Gottes in seiner Beziehung zu uns Menschen und damit das Bedenken der Größe unserer Verantwortung eine wichtige Hilfe sein.
Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de ) |