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Neu-Evangelisierung in Europa beginnt mit der Aufarbeitung der Säkularisierungsproblematik!

 

„Säkularisierung“:

Eine vergessene kirchliche Gestaltungsaufgabe oder das Feindbild der Kirche?

Thesen zur Diskussion von Manfred Hanglberger

 

Wenn ich von Säkularisierung in kirchlichen Verlautbarungen lese, wird es nach meiner Wahrnehmung immer mit „Auflösung des Glaubens“ in der modernen Welt verstanden.
Und diese Auflösung des Glaubens scheint in der „alten christlichen Welt“, in Europa, am weitesten fortgeschritten zu sein und sich am schnellsten zu entwickeln.

Dieser Prozess zunehmender Säkularisierung ist von Europa ausgegangen und breitet sich inzwischen über die technische, wirtschaftliche und mediale Vernetzung der Welt in die meisten Kulturen unserer Erde aus.

 

Die Kirchen in Europa, dem Ursprungskontinent dieser Entwicklung, wären vordringlich gefordert, diesen Prozess umfassend zu analysieren und aufzuarbeiten – als sehr wichtigen Dienst am Glauben der Menschen auf diesem Kontinent, aber auch als geistig-seelischen Dienst an der Menschheit und für die anderen Religionen.

Denn die anderen Völker sind nicht nur Nutznießer unserer technischen Errungenschaften, sondern auch Leidtragende eines von moralischen Werten oft abgekoppelten Wirtschaftssystems und einer konsumistischen religionslosen Lebenskultur, die die grundlegenden Sinnfragen des Menschen nicht mehr thematisiert und nicht mehr zu beantworten vermag.

 

Übliche Erklärungen für den Säkularisierungsprozess:

 

     Rationalisierung liefert bessere Welt-Erklärungen:
Die „Säkularisierung ist vor allem ein Rationalisierungsprozess: Die Wissenschaft erklärt nach Ansicht vieler Menschen die Welt besser als Dogmen und Bibel.
Alle Lebensbereiche werden nur aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet und scheinen weitgehend erklärbar zu sein. Die Welt und jeder Lebensbereich erscheint als ein wissenschaftlich erforschbarer und technisch beeinflussbarer Mechanismus.

     Rationalisierung ermöglicht ein Gefühl von Sicherheit und mindert Gefährdungen:
Die wissenschaftliche Erforschung aller Arten von Gefährdungen des Menschen ermöglichten die Entwicklung moderner Sicherungssysteme (Medizin, Hygiene, Rettungswesen, Versicherungen, …), die die Lebensqualität, das Gefühl von Sicherheit und die Lebenserwartung des Einzelnen in nie zuvor gedachter Weise verbesserten bzw. erhöhten.

     Rationalisierung ermöglicht über die Technik eine breite Wohlstandsentwicklung:
Die Naturwissenschaften ermöglichten die vielfältigen Errungenschaften der Technik (Dampfmaschine, Eisenbahn, Telegraphie, Printmedien, Motoren, Mobilität, Transportwesen, Massenproduktion, Flugzeuge, Computer, Internet, …), die eine Wohlstandsentwicklung für breite Bevölkerungsschichten vorantrieben.
Diese Wohlstandsentwicklung ermöglichte eine Diesseitsbejahung und Diesseitsfreude nicht mehr nur für die Elite bzw. für die Adeligen, sondern für das breite Volk.
Man kann das Leben genießen. Die Welt erscheint nicht mehr als „Tränental“. Das Interesse für eine Vertröstung aufs Jenseits wird unbedeutend.

     Rationalisierung ermöglicht über Sicherheit und Wohlstand Individualismus:
Das Gefühl von Sicherheit und die Wohlstandsentwicklung ermöglichen einen ausgeprägten Individualismus: Die einzelnen Menschen können ihre persönlichen Interessen besser wahrnehmen und vertreten. Dies lässt personale Bedürfnisse wie Freiheit und Selbstbestimmung in den Vordergrund treten. Gerade junge Menschen wollen ihre Originalität entdecken und zeigen.
Jeder gestaltet sein Leben nach eigenem Gutdünken; man ist weniger aufeinander angewiesen; man will sich nicht den Gebote- und Verbote-Systemen einer Institution unterwerfen.

     Rationalisierung entgöttlicht die Autoritäten und ermöglicht Demokratisierung:
Informierte und selbstbestimmte Menschen wollen sich nicht mehr unterordnen:
Gehorsamsdenken in allen Lebensbereichen (Familie, Schule, Kirche, Gesellschaft, Politik, …) wird durch eigenständige Werte-Orientierung ersetzt. In der Politik führt dies zur Beseitigung autoritärer Regierungsformen und zur Etablierung von Demokratie: Keine sakralisierten Herrscher mehr von „Gottes Gnaden“. Politische Entscheidungen werden öffentlich diskutiert und kritisiert. Argumente zählen - nicht die Ehrwürdigkeit des Amtes. Autoritäre Organisationsformen der Religion werden vom Großteil der Menschen abgelehnt - ebenso autoritäre Gottesbilder, wenn sie den Menschen zu entmündigen und klein zu halten scheinen.
Wenn die Kirche Ungehorsam als Ursünde, und damit als Hauptproblem des Menschen verkündet, kann sie in einer demokratischen Wissenskultur wenig Zuspruch finden.

     Rationalisierung führt durch Traditionsbrüche zu mehr Selbstbestimmung
Das moderne Wirtschaftssystem, kulturelle Ansprüche und die Möglichkeiten der Mobilität führten zu einer fortschreitenden Urbanisierung. Große Teile der Bevölkerung verließen das soziale Netz und damit die soziale Kontrolle dörflicher Gemeinschaften und ihrer Herkunftsfamilien. Individualismus und der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung führen zu Traditionsbrüchen, von denen besonders die Religion betroffen ist. Wenn Individualismus und Selbstbestimmung sich stark von kapitalistischen Werten beeinflussen lassen, kann dies zu Orientierungslosigkeit und rücksichtslosem Egoismus führen.

 

Die Kirche war Motor der Wissenschaften

 

Nun war es aber keineswegs so, dass die Kirche immer schon gegen Rationalisierung und wissenschaftlichen Fortschritt gewesen wäre. Ganz im Gegenteil! Die Kirche hat in Europa im Mittelalter bis in die frühe Neuzeit die Wissenschaften gefördert wie keine andere Organisation. Noch im 16. Jahrhundert waren die Astronomen der Kirche die besten der Welt. Deshalb waren bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Direktoren der kaiserlichen Sternwarte in China immer Jesuiten aus Europa. 1582 berechneten die kirchlichen Astronomen die Umlaufbahn der Erde um die Sonne für eine Kalenderreform so exakt, dass der damals eingeführte „Gregorianische Kalender“ heute noch seine Gültigkeit besitzt.

 

Das polare Weltbild des Christentums

 

Die Bibel und das Christentum enthalten wesentliche Impulse zu einer Rationalisierung, also zu einer rationalen Erforschung und Betrachtung der Welt. (Ausführlicher dazu: >>> )
Aber die Bibel und das Christentum stoßen ein polares Weltbild an:
(Grafiken: >>> )

 

-     Einerseits eine wissenschaftliche, objektive Sicht der Welt. Die Welt wird entgöttlicht und dem Mensch zur verantwortlichen Gestaltung anvertraut.

 

-     Aber gleichzeitig wird die Welt als Medium der Selbstmitteilung Gottes verstanden, also eine seelische und symbolische Weltsicht, bei der es darum geht, ein tiefes Dazugehörigkeitsgefühl für das Ganze der Lebensgemeinschaft der Natur zu entwickeln und mit einer gesunden Weltliebe mit den irdischen Dingen umzugehen und dabei in Beziehung mit Gott, dem Schöpfer der Welt, zu leben.

 

-     Beide Welt-Wirklichkeiten sind (ähnlich wie im christologischen Dogma) nach christlicher Überzeugung „ungetrennt und unvermischt“.
Beide Welt-Sichtweisen sollen einander voranbringen, sich aber auch gegenseitig korrigieren und die Liebe und die Verantwortungsfähigkeit des Menschen stärken.
Eine „Säkularisierung“, die also keinen Absolutheitsanspruch als alleinige Weltsicht vertritt, sondern in Kontakt mit einer gläubigen, spirituellen Weltsicht bleibt, gehört deshalb durchaus zum Auftrag der Kirche und der Christen.

 

Wie konnte es nun dazu kommen, dass sich die wissenschaftliche Sicht der Welt von der Polarität mit der spirituellen Sicht abgekoppelt und verselbständigt hat?

 

Die Kirche ist der Versuchung der Macht erlegen:

 

Um diesen geistesgeschichtlichen Prozess zu verstehen, ist die Entwicklung der Kirche und der Gesellschaft in den führenden europäischen Ländern des 15. Jahrhunderts und der Folgezeit zu bedenken:

Die Kirche war politisch, wirtschaftlich und kulturell ungeheuer mächtig geworden. Aber Vetternwirtschaft, Geldgier und Machtmissbrauch lösten in manchen Kreisen heftige Kritik und zahlreiche Reformvorschläge aus.

Die frühen Reformer (Joh. Hus, Savonarola, Hans Böhm) konnten von den damaligen Kirchenführern vernichtet werden, bei Luther und Zwingli z.B. ist das nicht mehr gelungen. Aber der Kampf um Autorität und Machterhalt zog sich Jahrhunderte hin. Da Autorität und Macht in der Kirche sich in geistiger Hinsicht wesentlich auf die Bibel und auf kirchliche Lehrtradition stützten, waren wichtige Kreise im Vatikan nicht bereit, auf neue Erkenntnisse der Astronomie (Galileo Galilei) mit einer geistigen Auseinandersetzung zu reagieren, um das Verständnis der Bibel und die kirchliche Lehre weiterzuentwickeln. Vielmehr erlag man der Versuchung der Macht und hat dem Wissenschaftler die Folterwerkzeuge der Inquisition gezeigt und ihn damit eingeschüchtert und zum Widerruf seiner Forschungsergebnisse gezwungen.
In dieser geschichtlichen Epoche hat die Kirche also begonnen, die Rationalisierung nicht mehr zu fördern, sondern zu bekämpfen.

 

Machtmissbrauch der Kirchenleitung zerstörte die Autorität von Kirche und Glauben

Das rücksichtslose Vorgehen der Kirchenleitung gegen jeden Kritiker, auch die in der Verkündigung vorherrschenden Inhalte der Einschüchterung, Bevormundung und Angstmacherei und die endlosen grausamen Konfessionskriege führten dazu, dass die Kirchenführung stark an Autorität einbüßte und viele Gläubige begannen, eigenständig über Gott und die Welt sich Gedanken zu machen.

 

Machtmissbrauch der Kirche verstärkte das eigenständige Denken der Gläubigen
Je autoritärer die Kirchenleitung versuchte ihren Machtanspruch aufrecht zu erhalten, desto deutlicher hat sie ihre geistige Autorität verloren und desto stärken haben viele Gläubige begonnen, eigenständig und vernunftorientiert zu denken.

Je weniger die Kirchenführer sich vernünftiger Argumentation und wissenschaftlicher Beweisführung zugänglich zeigte, desto stärker wuchs die Autorität des rationalen Arguments, wuchs die Anerkennung von Wissen, Bildung und beweisbarer Forschung.

Während in den ersten Jahrhunderten dieser Entwicklung die Wissenschaftler fast durchwegs noch gläubige Menschen waren, haben später Wissenschaftler gezielt ihre Forschungsergebnisse als Mittel der Emanzipation gegen die Machtansprüche der Kirche eingesetzt, z.B. indem man die Wahrheit der Bibel und die Existenz Gottes mit wissenschaftlichen Argumenten versuchte, infrage zu stellen.

 

Übersicht über wichtige geschichtliche Ereignisse, die ein eigenständiges, rationales Denken der Menschen herausforderten und dadurch förderten:

 

1.       Renaissance“ (Die „Wiedergeburt“ des altgriechischen rationalen Denkens, das sich in den damaligen Stadtstaaten entwickelt hatte): Die Stadtstaaten in Norditalien hatten eine ähnliche soziologische Struktur und förderten durch ihre Bürgerkommunikation die rationale Argumentation und die Entsakralisierung der Autorität.

 

2.       Die Unterdrückung und Bekämpfung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse (Kosmologie, Evolution) durch die Kirche.

 

3.       Die Unterdrückung der berechtigten Kritik von Seiten der Reformatoren durch die Kirchenleitung.

 

4.       Die Inszenierung grausamer und langwährender Glaubenskriege durch die Verantwortlichen der christlichen Konfessionen und deren Weigerung, Wege zum Frieden durch Kompromisse zu beschreiten.

 

5.       Das starre Festhalten an einem wörtlichen Verständnis von manchen Bibeltexten durch die Kirchenleitung, obwohl die Bibelforschung deren Zeitbedingtheit erkannt hatte.

 

6.       Die Weigerung der Kirche, neue gesellschaftliche Wert-Erfahrungen wie Menschenwürde und Menschenrechte anzuerkennen und die Bekämpfung der davon abgeleiteten Errungenschaften wie Presse- und Meinungsfreiheit und Demokratie.

 

7.       Der Versuch der Kirchenleitung ihre Sexualmoral (Z.B. Empfängnisverhütung) mit allen Mitteln durchzusetzen.

 

8.       Der Versuch der von zölibatären Männern beherrschten Kirche ihre Machtstrukturen durch Sakralisierung des Priesterstandes und Ablehnung von Frauen als Priesterinnen aufrecht zu erhalten.

 

Die Aufspaltung der Welt:

 

Je mehr die Kirche neue geschichtliche Entwicklungen und wissenschaftliche Erkenntnisse unterdrückte und später - als sie die Macht zur Unterdrückung nicht mehr hatte - diese negierte, umso mehr verlor sie an Autorität und umso stärker wurden rationale Argumente und wissenschaftliche Erkenntnisse vor allem von den Medien und von gewissen gesellschaftlichen Gruppen eingesetzt, um die Autorität der Kirche zu beschädigen und sich von ihrem Einfluss zu emanzipieren.

Umgekehrt hat dann die Kirche die Verabsolutierung der rationalen Weltsicht zum Feindbild erklärt.

Um der Kritik der Wissenschaft, die die Welt immer besser zu erklären vermochte, zu entgehen, hat die Kirche sich für „die Welt“ nicht mehr für zuständig erklärt. Deshalb wurde alles „Weltliche“, alles „Irdische“ und alles „Materielle“ von ihr abgewertet. Das „Religiöse“, das „Himmlische“ und „Jenseitige“ galten als die wahren, ewigen und wesentlichen Werte, um die der Gläubige sich bemühen sollte.

Die Gläubigen wurden zu Weltflucht und Weltverachtung aufgefordert: Dies verursachte eine Spaltung in eine zu meidende „irdische Welt“ und eine zu suchende „jenseitige Welt“. Dafür wurden dann Bibeltexte falsch interpretiert: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18;36): Die machtorientierte Welt des damaligen römischen Reiches wurde mit der Welt als Schöpfung gleichgesetzt!

 

Immer mehr gebildete Menschen bekamen Schwierigkeiten, die Trennung der Wirklichkeit in eine wissenschaftlich erforschbare Welt und eine religiöse-geistige Glaubenswelt zu akzeptieren.

Der immer stärker von Weltverachtung geprägten christlichen Weltsicht mangelte es dann auch an einer positiven Schöpfungs- und Geschichtstheologie. Dies wurde vor allem durch entsprechende Gebete und Lieder den Gläubigen vermittelt.

Gesellschaftliche Fortschritte wurden von der Kirchenleitung immer negativ gedeutet. Eine positive heilsgeschichtliche Deutung kam nicht mehr vor. Dies wurde erst mit Papst Johannes XXIII. 1963 wieder anders, der die Arbeiterbewegung, die Frauenrechts-Bewegung und das Ende der Kolonialzeit positiv deutete (In der Enzyklika „Pacem in Terris“).

Die zunehmende Inkompetenz der Kirche in Fragen der Welt und der Gesellschaft wurde zur Aufforderung an die Gläubigen, sich nicht zu sehr mit Fragen des irdischen Lebens zu beschäftigen.

Die lapidare aber vernichtende Feststellung eines glaubenstreuen Kirchenhistorikers lautet: „Die Päpste des 19. Jahrhunderts haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt“. (Georg Schwaiger in: „Geschichte der Päpste“)

 

Die Defizite der kirchlichen Weltanschauung werden von Ideologien aufgefüllt, die sich wissenschaftlich gebärdeten – mit verheerenden Wirkungen:

 

Menschen brauchen seelisch ein sinnvolles Dazugehörigkeitsgefühl zur Welt und sie brauchen eine Sinndeutung von Zeit und Geschichte. Wenn das die offizielle Sinndeutungsorganisation, die Religion, nicht leistet, entwickeln die Menschen alternative Sinndeutungen:

 

Nationalismus:
Als Ersatz weckte der Nationalismus ein Dazugehörigkeitsgefühl über die gemeinsame Sprache und Kultur. Als der Darwinismus als „Sozialdarwinismus“ für die Rivalität der Völker und Kulturen der Gegenwart verstanden wurde, verschärfte diese sich wissenschaftlich verstehende Ideologie die Verachtung anderer Völker und heizte ein Konkurrenzdenken an, das schließlich in der Katastrophe des Ersten Weltkrieges endete. Auch wenn in unserer Zeit wieder weltweit nationalistische Tendenzen stärker werden, wie der Erfolg der entsprechenden politischen Parteien und manche überraschend an die Macht gekommene Regierungen zeigen, verstehen diese heute sich weniger als wissenschaftliche Geschichtsdeutung als der „Sozialdarwinismus“.

 

Faschismus

Auch der Faschismus mit seinem ins Extreme entwickelten Rassenwahn verstand sich in der Tradition des Sozialdarwinismus als wissenschaftlich begründete Geschichts- und Gesellschaftstheorie. Die Vorstellung von der „Herrenrasse“ auf der einen Seite und von den minderwertigen Rassen und dem lebensunwerten Leben auf der anderen Seite entfachte nicht nur den Zweiten Weltkrieg, sondern rechtfertigte auch Völkermord und systematisch durchgeführte Euthanasie-Programme. Unvorstellbare mitmenschliche Grausamkeiten und Mitleidslosigkeit sollten durch den Sieg der Lebenstüchtigsten gegen die Schwächeren den Fortschritt für eine bessere Menschheit schaffen.

 

Kommunismus:

Ähnlich wie der Faschismus verstand sich der Kommunismus als eine wissenschaftliche Gesellschaftsanalyse und Geschichtsdeutung. Sein Anspruch, eine rationale zeitgemäße Sinndeutung und Sinngebung der Menschheitsgeschichte zu sein, mobilisierte in vielen Ländern der Welt Menschen, die für die von ihm propagierten Ziele einer weltweiten gerechten und klassenlosen Gesellschaft sich einsetzten.

Aber der Kommunismus hat die Menschenwürde und viele Menschenrechte seinen sozialen Zielen geopfert. So wurde die Attraktivität des Kommunismus durch die immer sichtbarer werdende Grausamkeit, Menschenverachtung und die zunehmende Rückständigkeit jener Länder aufgelöst, die sich als Verwirklichung des Kommunismus verstanden.

 

Kapitalismus:

Den Siegeszug unter den Ideologien trat der Kapitalismus an. In den westlichen Industrieländern, wo er vor allem entstanden ist, hat er breiten Bevölkerungsschichten nie zuvor dagewesenen Wohlstand, Sicherheit und Freizügigkeit beschert. Seine Akzeptanz wurde wohl auch deshalb in einigen Ländern sehr gesteigert, weil diese durch eine umfangreiche Sozialgesetzgebung die negativen Auswirkungen des Kapitalismus für ihre Bevölkerung abschwächen konnten.

Aber für viele ärmere Länder und vor allem für die Ökologie der Erde wurde der Kapitalismus zu einer Form der Ausbeutung und Gefährdung, die inzwischen die gesamten Lebensgrundlagen auf unserer Erde für Mensch und Tier bedrohen.

Der Kapitalismus bietet zwar ein angenehmes Leben bis hin zu Luxus, aber keinen umfassenden Lebenssinn. Lebenssinn wird zwar angepriesen als ein Genießen von Lust, Ästhetik, Abwechslung und Prestige, aber die Fragen nach Vergänglichkeit, Leid, Tod und nach einem umfassenden Sinn werden ausgeklammert und verdrängt. So wurde der Kapitalismus zu einer ungeheuren Verführung, die kurzfristig für eine Minderheit der Weltbevölkerung grenzenlosen Wohlstand verheißt, aber schon in absehbarer Zeit die Lebensgrundlagen auf dem Planeten Erde zu zerstören droht.

Das Geschichtsverständnis des Kapitalismus ist die Vision eines unbegrenzten Wachstums an Wohlstand und Lebenskomfort. Seine Wissenschaftlichkeit bezieht sich auf die Teilbereiche des Lebens, die erforscht und verbessert werden, wenn dies für die Forscher und die Wirtschaft gewinnbringend ist. Was nicht wirtschaftlich gewinnbringend ist, gerät aus dem Blickfeld.

Deshalb wird der Mensch im Kapitalismus weitgehend auf jene Bedürfnisse reduziert, deren Befriedigung wirtschaftlichen Gewinn versprechen.

 

 

Die Kirche als Nutznießerin der gescheiteren „wissenschaftlich“ sich gebärdenden Geschichtsideologien

 

Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des Faschismus wandten sich wieder viele Menschen den Kirchen als Hort einer moralischen Ordnung zu. Der Kommunismus war aufgrund seiner Verwirklichung im Sowjetimperium und in China längst zu einem beängstigenden Feindbild geworden.

Die Katholische Kirche in Deutschland, die nach dem ersten Weltkrieg noch für die Wiederherstellung der Monarchie eingetreten war, hatte sich inzwischen zur Demokratie bekehrt. „Menschenwürde“ und „Menschenrechte“ waren früher in der Kirche keine angesehenen Begriffe, wurden nun aber zu ihren zentralen Wert-Begriffen.

Im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) gelang es der Katholischen Kirche die Wege aus den Sackgassen der vorangegangenen Jahrhunderte aufzuzeigen. (Ausführlicher dazu: >>> )

Viele dieser aufgezeigten Wege wurden dann aber nicht beschritten.
Vielleicht war der Jahrhunderte alte Reformstau so groß, dass die tatsächlich durchgeführten Reformen in manchen Kirchenkreisen Verwirrung und Ängste auslösten, so dass die konservativeren Kräfte eine Stagnation verursachten, die zu einer geistigen Lähmung führte.
(Ausführlicher dazu: >>> )

 

Das Hauptproblem Europas, „die Säkularisierung ohne spirituellen Bezug“, wurde nicht gelöst

 

Das Hauptproblem Europas, das sich inzwischen in viele Länder der Welt ausweitet, nämlich die „Säkularisierung“ wurde nicht konsequent analysiert und aufgearbeitet.

So hat die Kirchenleitung immer noch nicht ihre dringenden Hausaufgaben gemacht, die mit dem Säkularisierungsproblem zusammenhängen:
Nämlich die Wiederherstellung der Polarität zwischen Glauben und Wissen im Bereich des Weltbildes (Naturwissenschaftliches Weltbild und der christliche Glaube) und im Bereich der psychischen Innenwelt des Menschen (Die Erkenntnisse der Psychologie über seelische Reifungs- und Heilungsprozesse und ihre Blockaden und das christliche Menschenbild). (Ausführlicher dazu: >>> )

Entsprechend unzeitgemäß sind viele unserer Gebete. (Gebetskrise: >>> )

Auch für die Frage des Autoritätsverständnisses und der Autoritätspraxis gibt es keine zeitgemäße Glaubenslehre. Entsprechend problematisch sind die kirchlichen Machtstrukturen.
(Ausführlicher dazu: >>> )

 

Das kirchliche Heilsangebot in einer von Kapitalismus geprägten Welt

 

Da viele Menschen im Kapitalismus die Reduzierung des Menschseins auf jene Bedürfnisse, deren Befriedigung wirtschaftlichen Gewinn versprechen, verinnerlicht haben, sind sie oft uninteressiert am Heilsangebot des christlichen Glaubens.

(1) Zugangsmöglichkeiten zur spirituellen Dimension des Lebens gibt es bei einem Teil der Jugendlichen, die in ihrer seelisch-geistigen Umbruchsphase oft noch wesentliche Fragen stellen und bei denen eine Bedürftigkeit nach einem umfassenden Lebenssinn und nach umfassenden Werten festzustellen sind.

Zudem bietet die Suche von jungen Menschen nach ihrer eigenen Originalität und bei ihrer Gratwanderung zwischen der Ablösung von den Eltern und einer bleibenden Verbundenheit mit den Eltern eine wichtige Möglichkeit, Hilfestellungen, die im christlichen Menschenbild und in manchen Aspekten christlicher Spiritualität enthalten sind, anzubieten. (Beispiel: >>> )

 

Leider gibt es in der Kirche keine Glaubenslehre in Polarität zu einem wissenschaftlichen Verständnis des Gefühlskarussells, das oft besonders junge Menschen erleben, und für einen verantwortungsvollen Umgang damit; denn die psychologischen Erkenntnisse von psychischen Verdrängungen und Projektionen, die wesentlich unsere mitmenschlichen Konflikte verursachen, kommen im christlichen Denken nicht vor.

Ähnlich negativ ist es für die Kirche, wenn sie im Bereich des naturwissenschaftlichen Weltbildes keine zeitgemäße Glaubenslehre über die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen auf dem Hintergrund der Erkenntnisse der Evolution alles Lebendigen anbietet. (Ausführlicher >>> )

Deshalb ist das z.T. völlig veraltete Angebot der Kirche für die meisten jungen Menschen eher abstoßend als attraktiv!

 

 

(2) Ansonsten gilt es, die Leidenssituationen der Menschen wahrzunehmen und dafür sowohl praktische (wissenschaftlich fundierte) wie auch spirituelle Hilfen anzubieten – wie es einem polaren christlichen Weltbild entspricht.
Deshalb gehört es zu den wichtigsten Aufgaben der Kirchenleitung eines Landes bzw. eines Kulturkreises, die wesentlichen Leiden der Menschen dort wahrzunehmen und das Heilsangebot des Glaubens dafür entsprechend zu konkretisieren. Diese Analyse der Leiden der Menschen muss natürlich in einem ständigen Dialog mit den Betroffenen erarbeitet werden. Da diese Leiden in den verschiedenen Kulturen eine unterschiedliche Intensität, Rangordnung und Verbreitung haben können, ist es notwendig, die Organisationsformen der Kirche, die Gestaltung von Liturgie und Spiritualität und die Verkündigung der Werte so anzupassen, dass sie möglichst wirkungsvoll die zentralen Werte des christlichen Glaubens, d.h. des Menschseins, der sozialen Verantwortung und der nachhaltigen Weltgestaltung in christlichem Geist zur Entfaltung bringen. Diese Unterschiedlichkeit der Leidensstruktur der Kulturkreise erfordert also u.U. eine Unterschiedlichkeit der kirchlichen Strukturen, der Gebetskultur und der Gestaltung der Liturgien, um jeweils die gleichen zentralen Glaubenswahrheiten zu verwirklichen.

 

Wenn nun z.B. in Europa viele Menschen im familiären und im sonstigen mitmenschlichen Beziehungsbereich die stärksten seelischen Schmerzen und Ohnmachtserfahrungen erleben, ist es für das Ansehen der Kirche und des christlichen Glaubens sehr negativ, wenn die Kirche für diesen Leidensbereich keine zeitgemäße Glaubenslehre und keine zeitgemäße Gebetskultur anzubieten hat.


(3) Gerade in entwickelten demokratischen Gesellschaften, in denen offener Dialog, Mitbestimmung und die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu den alltäglich praktizierten Werten geworden sind, lähmen autoritäre Kirchenstrukturen und die Ausgrenzung der Frauen von Ämtern und wesentlichen Entscheidungen die Verkündigung und Glaubwürdigkeit der Frohbotschaft.

Natürlich werden Reformen in diesem Bereich, die ja nur eine Anpassung an gesellschaftlich schon praktizierte Wertvorstellungen wären, die Kirche nicht zum „Salz der Erde“ und zum „Licht auf dem Berg“ machen, sondern es werden dadurch nur Ärgernisse und Blockaden beseitigt. Eine positive Ausstrahlung kann die Kirche eher durch die Aufarbeitung der Säkularisierung in der Verkündigung und praktischen Verwirklichung einer polaren Welt- und Lebenssicht zurückgewinnen.

 

Vorschläge zur Aufarbeitung des Säkularisierungsproblems:

 

1.   Die Kirche müsste die geschichtliche Entwicklung der einseitigen Rationalisierung der Säkularisierung erforschen und beschreiben – und dabei ihre Schuld des Machtmissbrauchs bekennen.

2.   Die Kirche müsste den recht verstandenen Säkularisierungsauftrag, der in der Bibel und in der kirchlichen Lehrtradition grundgelegt ist, allgemeinverständlich formulieren, für die verschiedenen Lebensbereiche konkretisieren, verkünden und verwirklichen.

3.   Die Kirche müsste zeigen, in welchen Bereichen es ihr bereits gelungen ist, den Säkularisierungsauftrag positiv zu verwirklichen:
- Formulierung und ständige Aktualisierung der „Katholischen Soziallehre“.
- Die neue Weltzugewandtheit („Aggiornamento“, „Gaudium et Spes“ ) in den Texten des
  II. Vatikanischen Konzils.
- Die Verkündigung der Umweltenzyklika „Laudato si“, die vor allem wieder eine spirituelle
  Sicht der Welt formuliert hat und sehr praktische Impulse der Weltverantwortung enthält.
- Eintreten der Kirche für Menschenwürde, Menschenrechte und Demokratie.

4.   Die Kirche müsste die Defizite ihres Säkularisierungsauftrags beheben:


- Wissenschaftliche und spirituelle Weltdeutung:
Das heutige naturwissenschaftliche Weltbild ist so zu formulieren, dass seine Offenheit für eine zusätzliche spirituelle Sicht erkennbar wird: Dazu ist eine ganzheitliche polare Sicht des modernen Weltbildes darzustellen und konkrete spirituelle Zugänge aufzuzeigen. Dies wäre besonders in der Firmkatechese für Jugendliche bedeutungsvoll.

Aber auch solche grundsätzlichen Fragen müssten geklärt werden, wie wir uns z.B. die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen auf dem Hintergrund der Erkenntnis der Evolution alles Lebendigen vorstellen können. (Ausführlicher dazu: >>> )


- Wissenschaftliche und spirituelle Lebensdeutung
Die psychischen Reifungs- und Heilungsprozesse und deren Blockaden müssten beschrieben werden und dazu deren spirituelle Dimensionen. Dazu wäre eine ausführliche Glaubenslehre im ständigen Dialog mit der Psychologie zu entwickeln und entsprechende Riten für Lebenswenden und Lebenskrisen zu erarbeiten. (Ausführlicher dazu: >>> )

 

5.   Spirituelle Texte anpassen:
- Die liturgischen Texte und die kirchliche Gebetskultur müssen hinsichtlich Weltabwertung
  (Tränental“??) und hinsichtlich einem falschen Autoritätsverständnis („Gott herrscht“??)
  analysiert und geändert werden.
- Eine aktualisierte Glaubenslehre – vor allem in den Bereichen Weltdeutung und Lebensdeutung – müsste in die liturgischen Riten und Gebete integriert werden.
(Ausführlicher dazu: >>> )

 

6.   Autoritätsverständnis und kirchliche Strukturen:
Die einseitig rationalisierende Säkularisierung war eine Reaktion auf einen kirchlichen Machtmissbrauch.
Deshalb müsste die Kirchenleitung eine Glaubenslehre formulieren zum Thema „Autoritätsverständnis und Autoritätspraxis – orientiert an den Worten und Taten Jesu“. (>>> )
Entsprechend müssten die Kirchenstrukturen, die Machtmissbrauch auch heute noch ermöglichen und fördern, analysiert und entsprechend geändert werden.

7.   Spirituelle Aufarbeitung durch „Kirchentrauertage“
Die Kirche müsste einen jährlichen Kirchentrauertag einführen, um ihre geschichtlichen Altlasten detailliert aufzuarbeiten. (Ausführlicher dazu: >>> )

Da das „Säkularisierungsproblem“ in Europa entstanden ist und ganz Europa in sehr dramatischer Weise davon belastet ist, sollte dieses Problem von einer europäischen Synode bearbeitet werden. Es wäre unverantwortlich und ein Verrat am christlichen Glauben und am christlichen Weltgestaltungsauftrag, dieses Problem nicht endlich – und zwar grundlegend - anzupacken.

Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de )

LINK: https://hanglberger-manfred.de/saekularisierung-ursachen-und-loesung.htm

Säkularisierungsimpulse in AT und NT und in Konzilstexten: >>>

Zehn notwendige Schritte für eine zeitgemäße Glaubens- und Kirchenreform: >>>

Die Säkularisierungsproblematik graphisch dargestellt: >>>

 

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