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„Unheilige Gebete“ in der Heiligen Messe? – Die „Gebetskrise“ in der Kirche
Die Glaubenskrise ist eine Gotteskrise, die auch in der Liturgie der Kirche ihren Ausdruck findet und in der Bewältigung der Säkularisierungsproblematik eine Lösung erfordert
Das problematische Gottesbild unserer Liturgie und unserer Gebete:
1. „Schaue nicht auf unsere Sünden, sondern auf den Glauben deiner Kirche“??
Dieses Gebet des Priesters vor dem Friedensgruß drückt Angst aus vor einem Gott, vor dem wir uns mit unseren Sünden verstecken wollen. Das klingt nach einer Angst, dass sich Gott von uns abwenden könnte oder uns verstoßen könnte wegen unserer Sünden. Die Verkündigung früherer Generationen führte dazu, dass die Gläubigen den Eindruck bekamen, Gott achte ständig vor allem auf unsere Sünden und deshalb war Sündenvermeidung das wichtigste Anliegen jedes Christen. Ein seelisch gesunder Umgang mit Schuld und Sünden wäre aber einerseits ein sehr genaues Hinschauen des Menschen auf seine problematischen Verhaltensweisen, um ehrlich und heilsam damit umzugehen und andererseits ein ehrliches Sich-Gott-anvertrauen auch mit diesen Schattenseiten. Es gilt, nicht wegzuschauen - das würde ja Verdrängung der Schuld bedeuten - und es gilt, Gott nicht zu bitten wegzuschauen - das würde Drückebergerei des Menschen, was seine Schuld betrifft, bedeuten. Dieses Gebet ist
seelisch ungesund, verrät ein angstbesetztes Gottesbild und widerspricht der
Botschaft Jesu, dem Seelen-Arzt, der uns nur helfen kann, wenn wir nicht eine
Kultur des Wegschauens, sondern des Hinschauens praktizieren.
Vorschläge für alternative Formulierungen >>>
2. „Betet Schwestern und Brüder, dass mein und euer Opfer Gott, dem allmächtigen Vater, gefalle.“ – „Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen, …“??
Dieses Wechselgebet und
viele Gabengebete bitten Gott um Annahme des Opfers: Das erinnert an die
alttestamentliche Geschichte von Kain und Abel (Wortwörtlich im Ersten Kanon:
„Blicke
versöhnt und gütig darauf (Brot und Wein) nieder und nimm sie an wie einst
die Gaben deines gerechten Dieners Abel, …“). Das ist frommer Blabla und Ausdruck eines negativen, angstbesetzten Gottesbildes, aber leider keine seelische Nahrung, wie man sie von einem christlichen Gottesdienst erwarten würde – und es ist keineswegs Ausdruck des Gottesbildes Jesu. So dürfen wir Christen nicht beten!
Vorschlag für eine alternative Formulierung: A: Lass uns in diesen Zeichen deine Gegenwart erkennen und lehre uns zu teilen, was du uns anvertraut hast.
3. Herr, erbarme dich (Kyrie eleison) Ist es nicht völlig unangemessen, Gott, die Quelle der Barmherzigkeit, um Erbarmen anzurufen? Müssten wir nicht vielmehr darum beten, dass Gott uns fähig macht, einander mit Barmherzigkeit zu begegnen? Denn nicht ein unbarmherziger Gott ist das Problem, sondern unsere menschlichen Schwierigkeiten, einander Vergebung und Barmherzigkeit zu schenken! Bei solchem Beten wird ein wichtiges zwischenmenschliches Problem auf Gott übertragen. Ausführlicher zu diesem Problem: >>>
Ein Vorschlag für eine alternative
Formulierung: 4. Das offizielle Schuldbekenntnis In diesem Gebet treten wir füreinander vor Gott ein und rufen auch die Heiligen an, um Gottes Erbarmen zu erbitten. Das klingt so, als wären wir Menschen füreinander solidarischer, verständnisvoller und mitfühlender als Gott für uns. In diesem Schuldbekenntnis der Kirche flehen wir die „selige Jungfrau Maria, alle Engel und Heiligen“ und unsere „Schwestern und Brüder“ an, bei Gott zu bitten, dass er uns unsere Sünden erlasse. Müssen wir alle möglichen „guten Beziehungen“ spielen lassen, um Gott zu bestürmen, um sein Herz zu erweichen? Im Gleichnis Jesu vom „Barmherzigen Vater“ hören wir eine völlig andere Botschaft: >>>
Vorschläge für alternative Formulierungen: >>>
5. Die „Einsetzungsworte“ Jesu??
Das Blut Jesu – „vergossen zur Vergebung unserer Sünden“: Ein alter jüdischer Blutritus zur Sündenvergebung hat durch eine spätere Veränderung der Worte Jesu Eingang gefunden in den christlichen Gottesdienst. Die Überlieferung der ältesten Texte der Einsetzungsworte Jesu beim Letzten Abendmahl enthalten keinen Hinweis auf einen Sühnegedanken! (>>> Vergleich der Texte) Stattdessen steht der Bundesgedanke im Vordergrund: Verbundenheitsfeier zwischen Mensch und Gott und Blutsgeschwisterschaft zwischen den Menschen (vergleichbar der Blutsbrüderschaft bei manchen indianischen Völkern). Die Verbundenheit mit Gott (mit Christus) beseelt die Beziehung der Menschen untereinander – und dies weltweit! Es ändert sich die Problemstruktur: von Mensch – Gott => zu Mensch – Mensch. (Vgl. Gleichnis vom „Barmherzigen Vater“: Nicht der „Vater“ ist um Barmherzigkeit zu bitten, sondern der „Bruder“!) Gott braucht für seine Barmherzigkeit keine Blutopfer (Ein erschreckendes Gottesbild – entstanden durch die Interpretation der Zerstörung Jerusalems -70 n.Chr.- und der Naturkatastrophen aller Art als Strafaktionen Gottes). Es handelt sich wohl um einen „Theologischen Import“ von jüdischen Priestern, die nach der Zerstörung Jerusalems Christen wurden. Deshalb beherrscht leider bis heute der Sühnegedanke die Hl. Messe von Anfang bis Ende und damit ein negatives Gottesbild, aber nicht der Bundesgedanke im Geiste von Jer 31,33f, wo es um die Mündigkeit und Verantwortungsfähigkeit des Menschen geht. Zitat eines Vaters von vier Kindern: „Ich habe den Eindruck, ich habe mehr Liebe und Gefühle der Barmherzigkeit und der Güte zu meinen Kindern als dieser Gott, von dem in der Kirche vorgelesen und gebetet wird.“
6. Der „allmächtige“ Gott, der „herrscht“??
Die Formulierung „allmächtiger Gott“ ist kein Wort des Neuen Testaments! Die veränderte Sichtweise Jesu vom Wirken Gottes in der Welt ist von der Kirche nicht wahrgenommen, nicht verkündet und nicht in entsprechende liturgische Texte umgesetzt worden. Ein “herrschender Gott” ist im Bewusstsein vieler Christen bei Schicksalsschlägen und bei Naturkatastrophen der Gott, der mittels der Naturkräfte straft oder grausam prüft. Aber eine Liebesbeziehung ist keine Herrschaftsbeziehung und kein Besitzverhältnis. Ausführlicher: >>>
7. „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt“??
Die Bitte um die „Wegnahme“ der Sünde steht in Zusammenhang mit der alten Vorstellung, dass die Sünde uns von Gott trennt (Vgl. „Präfation für Sonntage VIII.“ im Messbuch der Kath. Kirche S. 412: „Die Sünde hatte die Menschen von dir (Gott) getrennt“). Aber therapeutisch wie auch spirituell geht es nicht um die „Wegnahme“ von Sünden und Schuld, sondern um die Annahme und Verwandlung der Schuld, indem wir uns unserer Schuld bewusst werden, sie bekennen, die Verantwortung für ihre Folgen tragen und für unseren weiteren Lebensweg aus ihr lernen. Und nach der Botschaft Jesu steht Gott auf der Seite des Sünders gegenüber dessen Schuldproblem und will ihm helfen, sein Schuldproblem zu lösen. Bei einem umkehrwilligen Sünder steht die Sünde nicht trennend zwischen Gott und dem Menschen!
Vorschlag für eine alternative Formulierung: 1. Lass uns erkennen, was dem Frieden dient. 2. Lass uns erkennen, was dem Frieden dient. 3. Sende uns als Boten deines Friedens.
8. „Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach“??
Wir brauchen beides: Demut als geschöpfliche, begrenzte und bedürftige Wesen und ein gesundes Selbstbewusstsein als von Gott geliebte und geachtete „Kinder Gottes“, mit göttlicher Würde beseelt und beauftragt, sorgsame Verwalter seiner uns anvertrauten Schöpfung zu sein. Aber die Formulierungen in der Heiligen Messe, die den Menschen vorrangig als Sünder, als schuldbeladen und unwürdig darstellen, sind völlig unverhältnismäßig im Vordergrund. Da wird der Mensch eher klein gemacht und seelisch schwach, statt befähigt zu werden, seine Gewissenssensibilität gegenüber den Problemen der Zeit zu entwickeln, seelisch wach und verantwortungsbereit zu werden und seine spezifische Berufung zu erkennen.
Vorschlag für eine alternative Formulierung (Evtl.
auf Liedblättern abgedruckt): „Sehr das Lamm Gottes …“ „Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst …“
Priester: Seht, der menschgewordene Gott in der Gestalt des Brotes - eins geworden mit dem Leib der Schöpfung. Alle: Gott, öffne mir die Augen für deine verborgene Gegenwart in dieser Welt, damit ich mutig und voll Vertrauen mein Leben gestalte.
9. Orationen Viele Gebete in der Hl. Messe haben das Beziehungsmuster Gott-Mensch-Welt aus der vorkonziliaren Zeit seit dem 13. Jahrhundert bzw. seit dem Tridentinum (16. Jhh.): Also ohne Schöpfungstheologie, mit einem negativen Geschichtsverständnis, ohne Kath. Soziallehre. Wenn wir die Gebete der Kirche betrachten, sollten wir das Wort Jesu bedenken: „Wenn Kinder um Brot bitten, werden wir ihnen einen Skorpion oder einen Stein (Giftiges, Angst-machendes oder unverdauliches Zeug) geben?
Wenn in unserer Zeit Verantwortliche in Wirtschaft und Verwaltung in kostspieligen Spezialkursen sehr sorgfältig und subtil ihr Kommunikationsverhalten und ihre Sprache auf unbewusste entmündigende und abwertende Aussagen überprüfen müssen, dann sollte uns unser Sprechen über Gott und zu Gott wichtig genug sein, mindestens dieselbe Sorgfalt und Hellhörigkeit walten zu lassen, wie sie die "Kinder dieser Welt" für weltliche Interessen aufwenden!
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Diese Kritikpunkte ließen sich noch vielfältig fortsetzen, wenn man die Texte der Eucharistiefeier auf dem Hintergrund des heutigen bibeltheologischen, psychologischen und naturwissenschaftlichen Wissens aufmerksam durchleuchtet.
Wenn wir die Theologie und die seelische Wirkung der traditionellen Gebete der Liturgie bedenken, wundert es nicht, dass oft seelisch sehr wache und sensible Menschen die Kirche verlassen und wegbleiben – nicht nur die bequemen und gleichgültigen.
Wie soll die Kirche als wichtigste Organisation für Wertefragen und wertorientierte Lebensgestaltung gesellschaftliche Bedeutung haben und Vorbild sein, wenn sie täglich in ihrer wichtigsten rituellen Handlung, nämlich in der Eucharistiefeier, ein völlig überholtes Gottesbild verkündet??
Es geht um nicht weniger, als den Säkularisierungsprozess in Europa endlich von Seiten der Kirche konsequent als die theologische und pastorale Herausforderung unserer Zeit wahrzunehmen und anzugehen – und auch die liturgischen und spirituellen Konsequenzen zu ziehen! Es gilt, den Prozess der Säkularisierung heilsgeschichtlich verständlich zu machen und positiv mitzugestalten!
Ökumenische Perspektive: Wer die Theologie der evangelischen Abendmahlsfeier bedenkt, wird dort ähnliche Probleme entdecken, wie in der katholischen Eucharistiefeier. Deshalb müsste das Problem ökumenisch bearbeitet werden. Eine zeitgemäße und der Intention Jesu angemessenere Gestaltung von Eucharistie- und Abendmahlsfeier könnte ein wichtiger Schritt zur Einheit der Kirche werden.
Für die Überwindung der Gotteskrise in Europa ist vorrangig zuerst das Gottesbild zu klären und damit die Möglichkeit zu schaffen, ein zeitgemäßes Gottesbild zu verkündigen und unsere Gebetskultur und Spiritualität mit einem heilsamen Gottesbild zu erfüllen.
Das Gottesbild zu klären, bedeutet vor allem, das Heilswirken Gottes in der Natur, in der Gesellschaft und in der Gefühls- und Beziehungswelt des Menschen für unsere heutige Zeit verständlich zu machen.
Dafür ist es notwendig, endlich das Säkularisierungs-Problem konsequent anzugehen; das heißt:
Den Dialog zwischen Vernunft und Glaube zeitgemäß zu führen:
·
Den Dialog zwischen
Glaubenslehre und Sozial- und Geschichtswissenschaften
· Den Dialog zwischen Glaubenslehre und den Erkenntnissen der Naturwissenschaften
· Den Dialog zwischen Glaubenslehre und Psychologie und Psychotherapie
· Den Dialog zwischen bibelwissenschaftlichen Erkenntnissen und den Gebeten der kirchlichen Liturgie
(Ich stelle mir vor, die Glaubenslehre der Kirche hätte in Fragen der Natur-Erfahrung und der Naturdeutung und in den Fragen der Psychodynamik des Menschen ein ähnliches Ansehen und eine Autorität wie die Katholische Soziallehre in Fragen der Wirtschafts- und Sozialethik.)
Notwendige Themen dazu:
· Die theologische Deutung der Zerstörung Jerusalems und des jüdischen Tempels 70 n.Chr. durch die frühe Kirche und die Auswirkungen auf das Gottesbild des Neuen Testaments. (Rückfall von einem barmherzigen Gott in einen rächenden, strafenden und gewalttätigen Gott?)
· Die theologische Deutung der Zerstörung Jerusalems und des jüdischen Tempels 70 n.Chr. durch die frühe Kirche und die Reduzierung der Erlösungsbotschaft in der Heiligen Messe und der Einsetzungsworte auf die Probleme von Schuld und Sünde.
· Das katholische Verständnis des Wirkens Gottes in der Natur im Horizont des modernen naturwissenschaftlichen Weltbildes.
· Das Verständnis des Wirkens Gottes in der Natur in den Gebeten der Liturgie der Kath. Kirche.
· Das katholische Verständnis des Wirkens Gottes in der Gefühlswelt und in den seelischen Reifungsprozessen des Menschen im Horizont der modernen Psychologie und Psychotherapie.
· Das Verständnis des Wirkens Gottes in der Gefühlswelt und in den Reifungsprozessen des Menschen in den Gebeten der Liturgie der Kath. Kirche.
· Das katholische Verständnis des Wirkens Gottes in Gesellschaft und Menschheitsgeschichte.
· Das Verständnis des Wirkens Gottes in Gesellschaft und Menschheitsgeschichte in der Heiligen Messe.
· Die „Subsidiarität“ in der Beziehung Gottes zu den Menschen.
· Zeitgemäße Glaubenssätze und Glaubensbekenntnisse formulieren - auf dem Hintergrund eines zeitgemäßen Verständnisses vom Wirken Gottes in der Natur, in der Gesellschaft und in der Psyche und Beziehungswelt des Menschen.
Langfristig wäre wohl eine Kontinentalsynode in Europa einzuberufen, denn von Europa aus hat sich der geistige Prozess der Säkularisierung entwickelt und es wäre deshalb die Aufgabe der Christen Europas, diesen Prozess geistig zu erfassen und zu lernen, wie er aus dem Geist des christlichen Glaubens positiv zu gestaltet ist.
Zu einem solchen Dialogprozess sollten auch alle anderen christlichen Konfessionen in Europa eingeladen werden, denn sie alle sind grundlegend vom Säkularisierungsproblem betroffen
Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de )
Siehe auch: Ist das „Salve Regina“ ein unchristliches Gebet? >>> |
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Neu-Evangelisierung: Die „Gebetskrise“ der Kirche überwinden: für eine
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