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Entspricht unser christlicher Gottesdienst der Absicht Jesu?

- oder wurde er durch die fr¨¹he Kirche wegen der Zerstörung Jerusalems so verändert,
dass die Absicht Jesu nicht mehr zu erkennen ist?

 

Es ist erstaunlich, dass diese ungeheure Katastrophe der Zerstörung Jerusalems und des j¨¹dischen Tempels 70 n. Chr. durch die Römer in ihren Auswirkungen auf das christliche Gottesbild und auf den christlichen Gottesdienst nicht reflektiert wird.

 

Die Antwort auf diese Fragen könnte verständlich machen, warum die Eucharistiefeier und die evangelische Abendmahlsfeier f¨¹r ¨¹ber 90% der Christen keine Rolle mehr spielen.

 

Mögliche Gr¨¹nde, warum in der katholischen Eucharistiefeier und in der evangelischen Abendmahlsfeier die Sicht des Menschen als S¨¹nder und die Riten und Gebete als Feier der S¨¹ndenbefreiung eine so zentrale und damit eine einseitige Rolle spielen:

 

1.  Weil die F¨¹hrer der fr¨¹hen Kirche „Erlösung¡° vorrangig als Erlösung von S¨¹nde und Schuld erlebt haben.

 

2.  Weil die Christen die Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. als Rache- und Strafaktion Gottes interpretierten, was dazu f¨¹hrte, dass der liebende und barmherzige „Vater-Gott¡° Jesu plötzlich wieder als strenger, grausamer und Furcht erregender Rache-Gott gesehen wurde.

 

Zu 1.:
Die Kirche hat fast zweitausend Jahre lang das Problem menschlicher S¨¹nde und Schuld in den Mittelpunkt ihres Wirkens, ihrer sakramentalen Feiern und ihrer Verk¨¹ndigung gestellt.

Wenn wir im Neuen Testament die Evangelien lesen und bedenken, wie Jesus mit so genannten „S¨¹ndern¡° und „S¨¹nderinnen¡° umging und dass er das Problem von Schuld und S¨¹nde zwar sehr ernst nahm, aber nicht in den Mittelpunkt seiner Bem¨¹hungen stellte, um Menschen in ihren Ängsten, Nöten und Leiden zu helfen, dann ist dies zuerst einmal nicht mitvollziehbar.

 

Die Gr¨¹nde daf¨¹r sind in der fr¨¹hesten Phase der Entstehung der Kirche zu suchen. Denn im Zusammenhang mit dem Tod Jesu f¨¹hlten sich seine besten Freunde, die Apostel, im Nachhinein feige, ängstlich und vor allem schuldig. Besonders das schuldhafte Verhalten des Petrus, des F¨¹hrers der fr¨¹hen Kirche, wird ausf¨¹hrlich in den Texten der Bibel behandelt. Er, der zuvor vor den Augen aller Apostel versprochen hatte, mit Jesus zu gehen und wenn es bis in den Tod hinein gefordert wäre, hatte später abgeleugnet, Jesus zu kennen, als er nach der Verhaftung Jesu von einer Magd beim Gerichtsgebäude darauf angesprochen wurde.

 

Die tiefe Erfahrung von Schuld einerseits und von göttlicher Barmherzigkeit andererseits, die die Apostel in ihrer Beziehung zu Jesus ¨¹ber seinen Tod und seine Auferstehung hinaus erlebt haben, r¨¹ckte die Problematik von Schuld und Vergebung in den Mittelpunkt ihres Glaubens.

 

Noch dramatischer war dieselbe Erfahrung von Schuld einerseits und von Gottes Barmherzigkeit andererseits bei der anderen großen F¨¹hrergestalt in der fr¨¹hen Kirche, nämlich bei Paulus. Er hatte in seiner radikalen j¨¹dischen Frömmigkeit die Christen verfolgt und wollte sie ¨¹ber Israel hinaus vernichten und damit den j¨¹dischen Glauben vor der „neuen Lehre¡° der Christen sch¨¹tzen. Die totale Änderung seiner Glaubenshaltung von einem Christenverfolger zu einem unerm¨¹dlichen Missionar der christlichen Botschaft, die er selbst auf eine visionäre Begegnung mit dem auferstandenen Christus zur¨¹ckf¨¹hrte (Apg 9), war auch bei ihm verbunden mit der Wahrnehmung eigener Schuld und mit der Erfahrung, von Gott zutiefst geliebt zu sein. Dies f¨¹hrte dazu, dass auch er das Thema „Schuld¡° und „Erlösung von Schuld¡° in den Mittelpunkt seiner christlichen Verk¨¹ndigung stellte.

 

Zu 2.:

Ein schreckliches geschichtliches Ereignis in Israel d¨¹rfte diese Konzentration des Christentums auf die Schuldproblematik noch verschärft haben: Die nationale, gesellschaftspolitische und religiöse Katastrophe des j¨¹dischen Volkes, die Zerstörung Jerusalems und insbesondere des j¨¹dischen Heiligtums, des Tempels, im Jahre 70 n.Chr. durch die Römer.

Ähnlich wie die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier im Jahre 587 v.Chr. und die anschließende Verschleppung des Volkes ins Exil ins ferne babylonische Reich als Strafe Gottes verstanden wurde, wurde auch diese neue Katastrophe als Strafe Gottes interpretiert. Und die Christen, die ja am Anfang der Kirche zum großen Teil aus dem Judentum stammten, waren ebenfalls ¨¹berzeugt, dass hier Gott mittels der römischen Soldaten eingegriffen habe, um Rache zu nehmen f¨¹r den Tod Jesu, den sie als Sohn Gottes verk¨¹ndeten. Gott habe also am j¨¹dischen Volk grausame Vergeltung ge¨¹bt f¨¹r die Kreuzigung seines Sohnes. Der j¨¹disch-christliche Verfasser des Matthäus-Evangeliums bringt diese Vorstellung in seinen Zusätzen zu den Gleichnis-Erzählungen, die er Jesus in den Mund legt, deutlich zum Ausdruck:

 

Mt 22, 2-7: Im Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl:

(Die zur Hochzeit Geladenen) k¨¹mmerten sich nicht darum, sondern der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden, wieder andere fielen ¨¹ber (die) Diener des Königs) her, misshandelten sie und brachten sie um. Da wurde der König zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen.

 

Ähnlich in Mt 21, 41-45: Im Gleichnis von den bösen Winzern:

Sie (die j¨¹dischen Schriftgelehrten) sagten zu ihm (Jesus): Er (Gott) wird diesen bösen Menschen ein böses Ende bereiten und den Weinberg an andere Winzer verpachten, die ihm die Fr¨¹chte abliefern, wenn es Zeit daf¨¹r ist. Und Jesus sagte zu ihnen: Habt ihr nie in der Schrift gelesen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, / er ist zum Eckstein geworden; / das hat der Herr vollbracht, / vor unseren Augen geschah dieses Wunder?

Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird euch weggenommen und einem Volk gegeben werden, das die erwarteten Fr¨¹chte bringt. Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen der Stein aber fällt, den wird er zermalmen.

 

Ähnlich auch der Verfasser des Lukas-Evangeliums:
Lk 21,20-24:

Wenn ihr aber seht, dass Jerusalem von einem Heer eingeschlossen wird, dann könnt ihr daran erkennen, dass die Stadt bald verw¨¹stet wird. Dann sollen die Bewohner von Judäa in die Berge fliehen; wer in der Stadt ist, soll sie verlassen, und wer auf dem Land ist, soll nicht in die Stadt gehen.

Denn das sind die Tage der Vergeltung, an denen alles in Erf¨¹llung gehen soll, was in der Schrift steht.

Wehe den Frauen, die in jenen Tagen schwanger sind oder ein Kind stillen. Denn eine große Not wird ¨¹ber das Land hereinbrechen: Der Zorn (Gottes) wird ¨¹ber dieses Volk kommen.

Mit scharfem Schwert wird man sie erschlagen, als Gefangene wird man sie in alle Länder verschleppen, und Jerusalem wird von den Heiden zertreten werden, bis die Zeiten der Heiden sich erf¨¹llen.

 

 

Dieselbe Erinnerung an die Zerstörung Jerusalems und die Interpretation als Strafgericht Gottes klingt im Brief an die Hebräer an:

 

Hebr 10,28-31:

Wer das Gesetz des Mose verwirft, muss ohne Erbarmen auf die Aussage von zwei oder drei Zeugen hin sterben. Meint ihr nicht, dass eine noch viel härtere Strafe der verdient, der den Sohn Gottes mit F¨¹ßen getreten, das Blut des Bundes, durch das er geheiligt wurde, verachtet und den Geist der Gnade geschmäht hat? Wir kennen doch den, der gesagt hat: Mein ist die Rache, ich werde vergelten, und ferner: Der Herr wird sein Volk richten.

Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.

 

Diese Interpretation der Zerstörung Jerusalems verwandelt den barmherzigen Vater-Gott, den Jesus verk¨¹ndet hatte, wieder in einen rächenden, strafenden und unerbittlich z¨¹rnenden Herrscher-Gott. In dieser Zeit ließen sich wohl viele Juden und auch j¨¹dische Priester gerade von dieser Verk¨¹ndigung der Christen ¨¹berzeugen und suchten Vergebung von ihrer „Schuld¡° in der Bekehrung zum Christentum:

 

Vgl. Apg 6,7b: ¡­ auch eine große Anzahl von den Priestern nahm gehorsam den Glauben an.

 

Aber diese Priester brachten ihr j¨¹disches Verständnis von Schuld und Schuldvergebung mit in das Christentum hinein. Und es schien ja auch wieder so notwendig und passend zu sein aufgrund der Ereignisse, die inzwischen in Jerusalem geschehen waren: der z¨¹rnende Gott muss versöhnt werden.

 

Ähnlich formuliert es ca. 1900 Jahre später der 1942 zum Erzbischof von Köln geweihte und 1946 zum Kardinal ernannte Josef Frings im Hirtenbrief, den er anlässlich seiner Bischofsweihe veröffentlichte. Da damals gerade der 2. Weltkrieg tobte, interpretierte er die Schrecken dieser Zeit in folgender Weise:

 

"Gottes Hand liegt schwer auf uns: er reißt das Erdreich unseres Volkes, unserer Seelen auf mit einer furchtbar schneidenden Pflugschar.

Es muss wohl schon so sein, dass die Völker den allheiligen Gott schwer erz¨¹rnt haben. Da ist wahrhaft notwendig, dass Priester und Bischöfe reine Hände erheben zum Himmel, um Gottes Zorn zu versöhnen und Abk¨¹rzung der Leidenszeit zu erflehen, dass sie das Opfer des Bundes immerfort darbringen, um Gottes Majestät zu versöhnen."

 

Man muss zur Ehrenrettung von Kardinal Frings dazu sagen, dass er 20 Jahre später zu einem der großen Reformer im Zweiten Vatikanischen Konzil wurde.

 

Solche Glaubensvorstellungen, die in jeder dunklen Epoche in der Geschichte der Völker und in jeder Naturkatastrophe eine Strafe Gottes f¨¹r menschliche Schuld sehen, gibt es auch noch im aktuell verwendeten Messbuch der Katholischen Kirche:
Es heißt dort in den Gebeten f¨¹r einen Gottesdienst „In jeder Not¡° (Messbuch S. 1077f.; Kleinausgabe S. 1107f.): „Du hast uns mit verdienter Strafe heimgesucht;¡° und „Um des Leidens Christi willen wende die Geißel deines Zornes ab, die wir f¨¹r unsere S¨¹nden verdienen.¡°

 

Das Folgenreichste aber war die Veränderung der Worte Jesu beim Abendmahl, die Matthäus mit dem Zusatz bei den Kelchworten mit ¡°vergossen zur Vergebung der S¨¹nden¡° ergänzte. Damit wurde der Abendmahlsritus, der in den ältesten Text¨¹ber­lieferungen ein „Bundesritus¡° war, zu einem „S¨¹hne-Ritus¡° verändert. Dies geschah offensichtlich als Reaktion auf die Veränderung des Gottesbildes nach der Zerstörung Jerusalems: Vor einem so grausam rächenden Gott muss man wieder Angst haben und ihn am besten schon im Voraus um Erbarmen und Versöhnung wegen unserer Vergehen bitten. So wurde der Kreuzestod Jesu umgedeutet in ein S¨¹hneopfer.
(>>> Vergleich der Abendmahlsworte)

 

Diese nachträglich eingef¨¹gte Textvariante in die Abendmahlsworte Jesu wurde zum grundlegenden zentralen Text der Eucharistiefeier wie auch der evangelischen Abend­mahlsfeier und von diesem Text ausgehend wurde der wichtigste christliche Gottes­dienst zu einer Art „Bußgottesdienst¡° bzw. zu einer Erlösungsfeier, in der aber die christliche Erlösungsbotschaft auf die Erlösung von S¨¹nde und Schuld reduziert wurde. Damit war nicht nur das christliche Gottesbild verändert, sondern auch das Menschenbild: Der Mensch wurde vorrangig von seinem Problem der S¨¹ndhaftigkeit her gesehen und hat dies Jahrhunderte lang dann auch verinnerlicht. ¡°Christ-sein¡± bedeutete deshalb in erster Linie ¡°S¨¹ndenvermeidung¡± und „Gottesdienst feiern¡° bedeutete einen S¨¹hneritus vollziehen.

>>> Die Eucharistie als „Feier des Neuen Bundes¡°
>>> Die Rolle und Aufgabe des Priesters in der Pastoral und in der Verk¨¹ndigung
>>> Praktische Anwendung des „Neuen Bundes¡°

 

Eine gemeinsame exegetische, kirchengeschichtliche und liturgische Klärung des Gottesbildes könnte ein wertvoller Weg zu einer größeren Einheit im Glauben werden.

 

Manfred Hanglberger (www.hanglberger-manfred.de )

 

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>>> Die Eucharistie als „Feier des Neuen Bundes¡° und des „Noah-Bundes¡°

 

>>> Überlegungen f¨¹r Inhalte eines erneuerten Ritus der Eucharistiefeier

 

>>> Eucharistie ¨C „Wandlung¡° von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi?

>>> Eucharistie ¨C Gebete f¨¹r die Verstorbenen?

>>> „Unheilige Gebete¡° in der Heiligen Messe?

>>> Ist der Mensch barmherziger als Gott?

>>> Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit

>>> Zum Verzeichnis „Eucharistie¡°

>>> Die Sakramente

>>> Lorenz Zellner: Grundlegende Kritik an der Opfer-Theologie der Kirche

>>> Zur Auseinandersetzung ¨¹ber eine Reform der Eucharistiefeier (aus Österreich)

>>> „Subsidiarität¡° von Gott her bedenken: F¨¹r eine Neugestaltung unserer christl. Gebete

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