„Amoris Laetitia“ – eine Überforderung der Seelsorger?
Im Artikel bei „katholisch.de“ „Die Diskussion hat sich festgebissen – Der Streit um „Amoris Laetitia“ geht weiter“ und im selben Artikel bei „domradio“ mit dem Titel: „Streit um `die Freude der Liebe´ hält an“ wird Kardinal Caffarra wie folgt zitiert:
„Individuell zu findende Einzelwege überforderten zudem den einzelnen Geistlichen, so Caffarra.“ Meine Antwort dazu:
Da wird das Vorhandensein eines problematischen Defizits (nämlich der mangelnde Dialog der Kirche und der Theologie mit den Erkenntnissen der Psychologie und der Psychotherapie und in Folge davon die unzeitgemäße Glaubenslehre über die seelischen Reifungsprozesse des Menschen und deren Blockaden) verteidigt mit der Aufrechterhaltung eines anderen problematischen Defizits (nämlich eine unbarmherzige legalistische Pastoral, die den einzelnen Menschen mit seinem Weg nicht wahrnimmt und ernstnimmt und unfähig und unwillig ist, ihn wirklich „seel-sorglich“ zu begleiten).
Es gibt heute nicht wenige Ehepartner, die ehrlich, einfühlsam und engagiert mit ihren Partnerproblemen sich auseinandersetzen und ein weit kompetenteres Wissen sich angeeignet haben über seelische Reifungsprozesse und über die biographischen Hintergründe der Schwierigkeiten in einer Ehe als manche Priester und Bischöfe. Dies führt umso mehr zu einem Autoritätsverlust der Kirchenleitungen und damit leider auch des Glaubens und des Christentums allgemein, je mehr dann Bischöfe und Priester mit dogmatischen und legalistischen Aussagen bevormundend das Leben der Gläubigen zu kontrollieren versuchen.
Es geht kein Weg daran vorbei, sich mit den Erkenntnissen der modernen Psychologie und Psychotherapie kritisch und ehrlich auseinanderzusetzen, um eine zeitgemäße Glaubenslehre über Heil und Unheil in den menschlichen Reifungsprozessen und über das Wirken Gottes in der Psyche des Menschen und in der „Gemeinschaftsseele“ eines Ehepaares zu formulieren, um dann auch eine zeitgemäße und Evangelium-gemäße „Seel-Sorge“ zu entwickeln, die diesen Namen auch verdient. „Amoris Laetitia“ ist nach meinem Wissen das erste Vatikanische Glaubensdokument, das in den Kapiteln 239 und 240 psychologische Erkenntnisse über mögliche Ursachen von Eheproblemen zur Sprache bringt und therapeutische und spirituelle Wege aufzeigt, damit umzugehen.
Natürlich kann „Amoris Laetitia“ keine umfassende Ehetherapie anbieten. Aber es ist eine wichtige Tür geöffnet und die Richtung vorgegeben, in die zu gehen notwendig ist. Ein Seelsorger, der Ehekonflikte aus der Nähe kennt, weiß, dass die Aufgaben, die sich für die Kirche und ihre Seelsorge stellen, gewaltig sind. Nun gilt es, die Impulse des Papstes aufzugreifen und die anstehenden Aufgaben anzupacken, statt davor stehen zu bleiben und die Zeit für eine nach rückwärts gewandte Diskussion zu verschwenden.
Es ist übrigens für mich sehr merkwürdig, dass in den Kommentaren über „Amoris Laetitia“ diese wichtigen Kapitel 239 und 240 nach meinem Wissen noch nie gewürdigt wurden.
Die Kirchenleitungen, die Pastoraltheologie an den kath. Hochschulen-Fakultäten, die kath. Akademien, die kirchlichen Fortbildungsinstitute und die kath. Erwachsenenbildungsstellen sind jetzt gefordert, den Dialog zwischen Familientherapie und Familienpastoral und zwischen Psychologie und Glaubenslehre voranzutreiben und in der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit umzusetzen. Es geht um eine entsprechende Fortbildung für die Haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter in der kirchlichen Seelsorge und um ein Aufgreifen des Themas in der Programmgestaltung der kirchlichen Verbände.
Manfred Hanglberger, Pfarrer und Familientherapeut (www.hanglberger-manfred.de )
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Siehe auch: >>> Pastoral-theologische Entgegnung auf die Kritik der 4
Kardinäle an „Amoris Laetitia“ >>> Antwort auf die Dubia der vier Kardinäle >>> Eine zeitgemäße Ehe- und Familien-Pastoral >>> Ein zeitgemäßes Verständnis der Gebote Jesu >>> Problem „Geschiedene-Wiederverheiratete“ aus der Sicht der Bergpredigt >>> „Verletzungen durch falsche Ratschläge von Seelsorgern“
>>>
Unbewusste Ursachen
von Partnerkonflikten und ihre Heilungsmöglichkeiten >>>Selbstkritik der Kirche in „Amoris
Laetitia“
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