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Das Heil, das von Gott kommt, kommt nicht in der Form eines Menschenopfers!

Aus: G.Baudler, Erlösung vom Stiergott, S. 128-131

 

Mühsam versucht der Brief an die Hebräer der judenchristlichen Gemeinde klarzumachen, dass und warum es jetzt keiner Opfer mehr bedarf: „Das Blut von Stieren und Böcken kann unmöglich Sünden wegnehmen“ (Hebr 10,4). Christus hebt die Schlacht‑ und Speiseopfer, Brand und Sühnopfer auf, an denen Jahwe ja eigentlich noch nie Gefallen gefunden hat. Entsprechend der prophetischen Opferkritik ersetzt Jesus diese Opfer dadurch, dass er sich der Zuwendung Jahwes öffnet und seinen Willen tut (vgl. Hebr 10,8f.).

 

Aber es geht doch wieder nicht ohne Opfer: Der Tod Jesu wird interpretiert als das eine große Opfer, durch das er die Menschen, die zu ihm gehören, auf eine Weise heiligt und vollendet, dass sie künftighin keines anderen Opfers mehr bedürfen (vgl. Hebr 10, 14 f.).

Ja selbst in den innersten Raum des Evangeliums, in jenen Corpus von Erzählungen, die direkt auf Jesus zurückgehen, in die Welt der Gleichnisse, dem Urgestein der Botschaft Jesu, wo wir stärker als anderswo seine authentische Stimme hören, seiner inneren Vorstellungswelt, seinem Denken und Fühlen, begegnen, ist das am Schreckensgott orientierte Denken und Fühlen im Vorgang der Überlieferung eingedrungen:

 

Schon einer der frühen christlichen Erzähler auf den Markus zurückgreift, konnte das Gleichnis vom »Mord im Weinberg« (Mk 12,1 b‑8) nicht so enden lassen, wie es Jesus erzählt hatte. Er konnte die Spannung nicht ertragen, aus der heraus das Gleichnis lebt:

den ungeheuren Gegensatz zwischen der mörderischen Brutalität der Weinbergpächter, die den gepachteten Weinberg sich aneignen, die Boten des Weinbergbesitzers misshandeln und töten und zuletzt noch dessen geliebten Sohn ermorden und zum Weinberg hinauswerfen – und der unendlichen Güte dieses Besitzers, der anstelle einer Strafexpedition zuletzt seinen Sohn zu den Pächtern schickt.

Der urchristliche Nacherzähler dichtete noch hinzu, dass am Ende der Weinbergbesitzer doch noch zum Mittel der Gewalt greift und in einer Strafexpedition die bösen Pächter vernichtet. Dadurch aber zerstörte er die Struktur der jesuanischen Erzählung und machte sie im Grunde sinnlos:

Warum hat der Besitzer erst noch seinen Sohn in die Brutalität der Pächter ausgeliefert, wenn es für ihn auch schon vorher dir Möglichkeit der Gewalt gab?

 

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Überlieferung des Gleichnisses vom unfairen Knecht (Mt 18,23-30). Hier wird der unendlichen Güte des Königs, der seinem Diener dir unvorstellbare Summe von 10 000 Talenten erlässt, die Brutalität dieses Dieners gegenübergestellt, der einen Mitknecht, welcher ihm 100 Denare schuldig ist, packt, würgt und in das Gefängnis werfen lässt.

Im Spiegel dieser Geschichte sollen die Thorafrommen die Unmöglichkeit ihres Verhaltens erkennen, wenn sie angesichts des anbrechenden Gottesreiches in dem Jahwe sich als Abba-Vater den Seinen zuwendet, auf einer vorschriftsmäßigen Wiedergutmachung seitens der Sünder und Zöllner bestehen.

Auch hier wird das Gleichnis zerstört, wenn am Ende die unendliche Güte des Königs zurückgenommen und der unfaire Knecht zur Strafe für sein Verhalten »den Folterknechten übergeben« wird (vgl. Mt 18,34 f.).

Auch sonst ist bei Matthäus wiederholt in einer stereotypen Weise von der Bestrafung der Bösen durch die Engel Gottes die Rede: »Der Menschensohn wird seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen« (Mt 13,41 f.).

Diese furchtbare Drohung findet sich auch sekundär angefügt an das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24- 30; hier 34 f.), an das Gleichnis vom guten (bzw. brutalen) Knecht (Mt 24,45‑ 47; hier 51) und an das Gleichnis von den anvertrauten Geldern (Mt 25,14 28; hier 30).

Im Weltgerichtsgleichnis bei Matthäus (25,31-46), das in seiner jetzigen Form von allen Exegeten als sekundär betrachtet wird, taucht schließlich unverhüllt wieder der Schrecken des »hohen« Richters auf, der Menschen ausgrenzt, sie verflucht und zu einer ewigen Folterung (Mt 25,41) verurteilt, während sich die »Guten« auf diesem schrecklichen Hintergrund einer himmlischen Gemeinschaft erfreuen. Hier sind die echt jesuanischen Motive vom unerkannten König, der als Bettler zu den Menschen kommt, und vom guten Hirten, der an der Wasserstelle fürsorglich die Schafe von den Böcken scheidet, damit diese in ihrem Ungestüm nicht sofort die Wasserstelle verunreinigen (vgl. Ez 34,17f.), wieder in das alte Gemälde vom Schreckensgott hineingestellt, das Jesus in seiner Jordanerfahrung, für deren Wahrheit er den Tod auf sich nahm überwunden hatte.

 

Gewiss hat Jesus an der Gegnerschaft, ja zuletzt tödlichen Feindschaft, die er gegenüber seiner Botschaft vom Abba-Gott fand, das für ihn anfangs wohl Unverständliche erkannt: dass Menschen die eigentlich unbegreifliche, aber in ihrer Freiheit begründete Möglichkeit haben, sich der rückhaltlosen in keine Bedingung geknüpften Zuwendung Gottes als Abba zu verschließen und lieber an der Faszination des Schreckensgottes festzuhalten. Ob Menschen diese Möglichkeit auch über ihren Tod hinaus und durch ihn hindurch, also in eschatologischer, unwiderruflicher Weise, tatsächlich realisieren, ob es also wirklich Menschen gibt oder geben wird, die »in der Hölle sind«, darüber hat Jesus keine Aussage gemacht, und auch wir können nur hoffen, dass es nicht so sein wird. Niemals aber wird der Abba-Vater-Gott oder sein wesensgleicher Sohn Jesus aktiv, von sich aus irgendeinen Menschen der »ewigen Folterung« übergeben, vielmehr bäumt sich in diesem Bild der uralte Wildnisgott zu einem absolut transzendenten Schrecken auf und führt sich dadurch selbst ad absurdum.

 

Einen schweren wirkungsgeschichtlichen Rückschlag erfuhr die Offenbarung Gottes als Abba-Vater durch Jesus, als zu Beginn des 4. Jahrhunderts Kaiser Konstantin das Kreuz das Zeichen der gewaltlos erlösenden Liebe, auf die Helme und Schilder seiner Soldaten malen ließ und sie so zum Töten in die Schlacht schickte. Dies war der Versuch, die staatliche Tötungsmacht Roms, deren göttliches Ansehen durch innere Zwietracht gelitten hatte, durch die junge und vitale Religion des Christentums zu sakralisieren.

So konnte in den Folgejahrhunderten das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation« entstehen, das zwar politisch eine große, noch heute vorbildliche Bedeutung gewann, sofern es ‑ wenigstens teilweise ‑ Europa zu einigen vermochte und so die Grundlage legte für ein Aufblühen von Wirtschaft und Handel, Kunst und Wissenschaft. Doch in den schrecklichen Kriegen, in den Kreuzzügen, in den Judenpogromen, in den Ketzer- und Hexenverbrennungen (in denen nach Art des levitischen Heiligkeitsgesetzes angebliche Glaubensfeinde »ausgemerzt« und öffentlich dem Feuertod übergeben wurden) wurde dem Schreckensgott, der dieses Reich zusammenhielt, ein fürchterlicher Tribut gezahlt. Schließlich ging es ja dann auch im Inferno des dreißigjährigen Glaubenskriegs unter und hinterließ ein zerrissenes und geschundenes Land.

 

Die Interpretation des Jesusgeschehens durch Anselm voll Canterbury, die Erlösung als »Genugtuung« versteht und die bis heute das Bewusstsein vieler Gläubiger bestimmt, ist zwar in ihrer Zeit, tatsächlich befreiend und emanzipatorisch gewesen, aber sie war ein genuines Kind ihrer Zeit und ist von der Kirche niemals zum Dogma erhoben worden. Nach dieser Theorie ist Gott in Jesus Mensch geworden, weil der Mensch von sich aus nicht fähig ist, dem unendlichen Gott »Genugtuung« zu leisten. Erst indem sein wesensgleicher Sohn das Schicksal des Menschen auf sich nimmt und sich als Mensch opfert, können die Menschen von ihren Sünden frei werden und sich in die Gemeinschaft des Reiches Gottes einfügen.

Wie das Reich Roms auf die Ermordung des Remus durch seinen Zwillingsbruder Romulus gründet, so das Reich Gottes in dieser Sicht auf dem Tode Jesu. Zwar ist es richtig, dass im christlichen Glauben das Heil von Gott ausgeht, aber es kommt zum Menschen nicht in Form eines Menschen - oder Gottesopfers, sondern in der rückhaltlosen und unbedingten Zuwendung des Abba-Vater-Gottes zu allen Menschen.

 

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