Ein zeitgemäßes Bibel-Verständnis Link zum Teilen: https://hanglberger-manfred.de/bibel-zeitgemaesses-verstaendnis.htm
Die Bibel der Christen war in vielen Epochen der Kirchengeschichte Ursache für schreckliche Gewalttaten und Kriege. Ob Kreuzzüge, Hexenverbrennungen oder Zwangsmissionierung der Indios: alles wurde mit Aussagen der Bibel begründet. Auch wenn in der Kath. Kirche die kritische Bibelforschung vor mehr als 50 Jahren Einzug gehalten hat, haben viele gläubige Christen weiterhin erhebliche Schwierigkeiten mit den biblischen Texten. Zitat eines Vaters von 4 Kindern: „Ich spüre mehr Liebe und Barmherzigkeit zu meinen Kindern, als es offensichtlich Gott zu uns Menschen hat, von dem man uns im Gottesdienst aus der Bibel vorliest.“ Aussage eines anderen Vaters von mehreren Kindern in Bezug auf manche Sonntagslesungen: „Ich kann mir diese sonntäglichen Gotteslästerungen nicht mehr anhören.“ Aussage eines Schülers, der wissen wollte, wie die Welt
und die Menschen entstanden sind und deshalb in der Schülerbibel nachlas: „ Bischof Oster von Passau hat am 10.07.2017 in „domradio.de“ von einer Umfrage unter 15- bis 35- Jährigen, die von der Kirche in den USA wegbleiben, berichtet, dass über 60 Prozent als Grund angaben, „weil sie ein wissenschaftlich-modernes Weltbild nicht mehr für vereinbar halten mit dem Glauben.“ Es ist klar, dass dabei mit dem „Glauben“ die Schöpfungstexte der Bibel gemeint sind.
Die Glaubenskrise unserer Zeit ist deshalb vor allem auch eine Krise des Verständnisses der Heiligen Schrift, der Bibel. Aber auch die beängstigenden Auswirkungen der „Heiligen Schriften“ anderer Religionen in unserer Zeit sind eine drängende Herausforderung, über die Entstehung und über ein grundsätzliches Verständnis von „Heiligen Schriften“ nachzudenken.
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Staunen als Ursprung der Religion: Seit der Mensch existiert, versucht er, sich und die Welt
zu verstehen: Durch die Jahrhunderttausende hat der Mensch gelernt, viele Zusammenhänge in der Natur durch Beobachtung und Erfahrung zu verstehen und sich zunutze zu machen. Das vor vielen Tausend Jahren aufkeimende Bewusstsein weckte ein Staunen über die Wunder der Natur und über das eigene Dasein. Dieses Staunen kann man als den Ursprung aller Religionen sehen. Durch dieses Staunen haben Menschen begonnen, nicht nur ums tägliche Überleben zu kämpfen, sondern über den Sinn ihres Daseins sich Gedanken zu machen. Die Erfahrungen von Tod und Vergänglichkeit, von Krankheit, Leid und Konflikten verstärkten die Suche nach einer großen Ordnung hinter der sichtbaren Welt und die Suche nach Regeln und Riten, die dem Leben Halt und Sicherheit gewähren sollten.
Die Menschen fragen nicht nur nach dem „Wie“ der Welt, sondern auch nach dem „Warum“. Da die Menschen in der Frühzeit ihrer Geschichte nicht in der Lage waren, die Gesetze der Naturgewalten, der Gestirne und der mikroskopisch kleinen Welt zu erkennen, entwickelten sie Mythen, die den Ursprung der Welt und des menschlichen Daseins erklären sollten. Aber in diesen mythischen Erzählungen ging es keineswegs nur um eine Vorstellung vom äußeren Ablauf der Entstehung der Welt und des Menschen, sondern darum, den Wert und den Sinn der Welt und des menschlichen Daseins zu vermitteln.
Wert- und Sinn-Erfahrungen werden in mythologischen Geschichten mitgeteilt. In mythologischen Erzählungen versuchten geistig-seelisch besonders sensible Menschen ihre Wert- und Sinn-Erfahrungen der Gemeinschaft und deren Nachfahren zu vermitteln. Mythologische Erzählungen verwenden aber die zu ihrer Entstehungszeit üblichen Vorstellungen der Welt. Sie enthalten also immer die beiden Elemente: Zeitbedingte äußere Vorstellungen über die Welt und über den Menschen einerseits und andererseits Wert- und Sinnaussagen, die aber in einer symbolischen Bildersprache, die der Traumsprache ähnlich ist, ausgedrückt werden. Letzteres wohl auch deshalb, weil es für Sinn- und Wert-Erfahrungen noch keine sprachlichen Begriffe gab - und Bilder, Gleichnisse und Geschichten eine ganzheitlichere Wirkung haben als abstrakte Begriffe.
Wert- und Sinn-Erfahrungen werden als Geschenk erlebt. Wert- und Sinn-Erfahrungen sind nicht das Ergebnis von rationaler Such- und Gedankenleistung, sondern werden einem wie spontan auftauchende Gedanken und Erfahrungen zuteil. Ob es die Betroffenheit über die Schönheit einer Naturerfahrung bei einem herrlichen Sonnenaufgang oder beim Betrachten des nächtlichen Sternenhimmels ist, ob es ein tiefes Dazugehörigkeitsgefühl zum Ganzen der großen Lebensgemeinschaft der Natur ist oder die Freude und das Staunen, das beim Betrachten eines neugeborenen eigenen Kindes aufsteigt, - es sind Erfahrungen, die der Mensch als Geschenk erlebt, als etwas, was ihm zufließt. Deshalb wurden und werden solche Wert- und Sinn-Erfahrungen von vielen Menschen als Offenbarung der Gottheit betrachtet, einer Offenbarung, die dem Menschen die Tür zur „Wahrheit“ des Lebens öffnet.
Wert-Erfahrungen als Wert-Offenbarungen und
Willensoffenbarungen Gottes: Es war für die Menschen immer wichtig, die praktischen Folgen von Wert- und Sinn-Erfahrungen für ihre Lebensgestaltung zu bedenken. So wurden später nicht nur die schriftlich fest gehaltenen mythologischen Geschichten, die die Wert- und Sinn-Erfahrungen vermitteln sollten, als „Heilige Schriften“ betrachtet, sondern auch die Gebote und Verbote, die als Konsequenz dieser Welt- und Lebenssicht die alltägliche Lebensgestaltung regeln sollten. Sie wurden als „Willensoffenbarung“ der Gottheit und als Teil der „Heiligen Schriften“ verstanden. Manche dieser Schriften versuchten das Leben bis in alle Details zu regeln – wie z.B. das „Alte Testament“ das Leben des Volkes Israel. Durch die Qualifizierung als „göttliche Gebote“ erhielten diese Lebensvorschriften göttliche Autorität und ihre Übertretung galt als Ungehorsam gegen Gott selbst: als Sünde. Da ein Übertreten dieser Lebensregeln das eigene Leben oder die Gemeinschaft schädigen, ist es verständlich, dass dies als Handeln gegen Gott gesehen wurde und von vielen Gläubigen auch heute noch so gesehen wird, da Gott ja für den gläubigen Menschen als Schöpfer und Erhalter des Lebens gilt.
Die Grundfrage ist heute noch die gleiche: Wie erkennen wir den Sinn des Lebens? Nun stehen unsere heutigen Naturwissenschaften, die ein unvorstellbares Wissen über die Welt im Großen und Kleinen erarbeitet haben, immer noch vor dem gleichen Problem wie die Menschen der Urzeit: Der Wert und der Sinn der Welt und des menschlichen Daseins lassen sich mit noch so viel Wissen und rationaler Forschung nicht erkennen. Wert- und Sinn-Erfahrungen sind von völlig anderer Art als rationale Erkenntnis allein. Aber unser Verstand ist in der Lage und versucht
selbstverständlich, Wert- und Sinnerfahrungen dem aktuellen rationalen Wissen
über die Welt und über das menschliche Dasein zuzuordnen, so dass sie
zusammen eine einheitliche Lebenssicht ergeben.
Was ist das heutige Problem mit den „Heiligen Schriften“? Warum werden heute die Religionen und ihre „Heiligen Schriften“ als Antwort auf die Wert- und Sinn-Fragen immer weniger ernst genommen oder aber haben beängstigende Auswirkungen? Wie sind nun diese „Heiligen Schriften“ grundsätzlich zu bewerten? In den folgenden Überlegungen geht es vornehmlich darum, die Sicht und Bedeutung der „Heiligen Schrift“ der Christen, nämlich der Bibel zu bedenken.
1. Die
„Heiligen Schriften“ sind keine naturwissenschaftlichen „Offenbarungen“:
2.
Die unkritische Vermischung von zeitbedingten und bleibend gültigen
Werten: 3. Sekundäre Werte
überdecken die primären Werte: 4. Wert-Erfahrungen,
die in Mythen zum Ausdruck gebracht werden, haben manchmal gefährliche
„Nebenwirkungen“: 5. Die Bibel als
„Geschichte der Evolution der Wahrheit“
Notwendige Aufgaben der Kirchenleitung: Was wären nun die wichtigsten Aufgaben, die die Verantwortlichen der Kirche in Bezug auf den Umgang mit der Bibel für unsere Zeit zu leisten hätten? 1. Die Wert- und Sinn-Erfahrungen der Menschen unserer Zeit und der letzten Jahrhunderte sowie auch deren Gefährdung sind als die „Zeichen der Zeit“ darzustellen, um die sich Christen vorrangig kümmern sollten: Menschenwürde, Menschenrechte, Frauenrechte, Kinderrechte, Gewaltenteilung, Einheit der Menschheit, Naturverbundenheit und Schöpfungsverantwortung, Selbsterkenntnis und Eigenverantwortung und Verantwortung für das „Ganze“, Tierrechte, … . 2. Mit Hilfe der modernen Wissenschaften (Naturwissenschaften, Psychologie, Anthropologie, Sozialwissenschaften, … ) ist im Dialog mit den biblischen und neuzeitlichen Wert-Erfahrungen ein zeitgemäßes Menschenbild, Weltbild und Gottesverständnis zu erarbeiten und zu verkünden. Vor allem müssten die Gebete und liturgischen Riten und Texte diesen Erkenntnissen angepasst werden. 3. Unser
heutiges Wissen über die Entstehung und über die grundsätzliche Rolle und
Bedeutung von „Heiliger Schriften“ bei ihrer Entstehung sollte beschreiben
werden. 4. Bei
Schöpfungstexten, in denen es um die Entstehung der Welt und des Menschen
geht, sollte vor einer Interpretation der jeweiligen Texte der Bibel der
heutige Wissenstand der Naturwissenschaften den Kindern im
Religionsunterricht bzw. den Gläubigen in der Glaubensverkündigung
präsentiert werden. 5.
Vor allem ist es wichtig, den evolutiven Charakter der Bibel insgesamt
wie auch vieler Einzelaussagen zu beschreiben, damit sichtbar wird, wie
manche Wertvorstellungen sich schon im Zeitraum der Entstehung der biblischen
Texte weiterentwickelt haben. - Die Rolle der Frau als „Hilfe“ für den Mann zu einer gleichwertigen Person. - Die Sicht der Kinder: vom Besitz des Vaters zur Anerkennung ihrer eigenen Würde. - Die Sicht Gottes: Vom Stammesgott zum universalen Schöpfer-Gott. - Die Sicht des Menschen: Vom Befehlsempfänger zum mündigen Mitarbeiter am Aufbau des Reiches Gottes. - Jesu Selbstverständnis: Von „gesandt nur zu den verlorenen Kindern Israels“ zu einem Sendungsauftrag für die Menschen aller Völker. 6. Es ist notwendig, die Wert- und Sinn-Erfahrungen der biblischen Autoren als Hintergrund für die zentralen Aussagen der Bibel deutlich zu machen. Denn die zentralen Aussagen der Bibel sollen nicht in einer theologisch-dogmatischen Sprache präsentiert werden, sondern in einer Sprache, die mit den Erfahrungen und der Lebenswirklichkeit der Menschen damals zu tun hat. 7. Es ist – nach den Möglichkeiten heutiger Erkenntnis - die „Mitte des Evangeliums“ und eine „Hierarchie der Wahrheiten“ der Bibel klarer herauszuarbeiten, die als Kriterien gelten für die Bewertung und Interpretation der übrigen Texte. Neuere Erkenntnisse z.B. der Anthropologie, der Psychologie, der Naturwissenschaften und der Soziologie können eine Aktualisierung dieser „Hierarchie der Wahrheiten“ immer wieder notwendig machen. 8. Die
Kirche müsste von sich aus eine Zusammenstellung der
schlimmsten Bibeltexte vornehmen und bekannt machen. Die Beschreibung der
Hintergründe ihrer Entstehung und ihrer damaligen Bedeutung und Auswirkungen
darf nicht zu ihrer Verteidigung herhalten. Es ist für die Gläubigen
schädlich, wenn entsprechende Bibelkritik nur von außen, von Kirchenfeinden,
vorgetragen wird. 9. Es sind in ehrlicher Weise die schlimmen Auswirkungen mancher biblischer Texte zu beschreiben wie sie sich im Laufe der 2000-jährigen Kirchengschichte gezeigt haben. Manche diese negativen Auswirkungen müssten durch kirchliche Schuldbekenntnisse bzw. in >>> Kirchentrauertagen“ detailliert aufgearbeitet werden. 10. Die Formulierungen
im Gottesdienst „Wort des lebendigen Gottes“ und „Evangelium unseres Herrn
Jesus Christus“ klingen nach manchen vorgelesenen Bibeltexten für kritische
Gläubige wie eine Gotteslästerung! 11. Es wäre zu bedenken, als „zweite Lesung“ in der Hl. Messe einen Text mit einer Glaubens- und Werte-Erfahrung aus unserer Zeit, der den Evangeliumtext aktualisiert, einzuführen. Dadurch würde deutlich, dass das Evangelium Jesu Christi, das die Kirche als den Höhepunkt und Abschluss der Offenbarung ansieht, doch seine Verwirklichung und „Inkarnation“ im Laufe der Menschheitsgeschichte in konkreten Menschen späterer Zeitepochen entfaltet. 12. Ein
besonderes Problem stellen viele heute angebotenen Kinderbibeln dar. - Die Verantwortlichen der Kirche müssten öffentlich kritisch gegen diese Art von Kinderbibeln und Bibelfilmen Stellung nehmen und an einzelnen Beispielen eine Richtigstellung von veralteten Glaubensvorstellungen, die in diesen Medien präsentiert werden, formulieren. - Sie sollten die Eltern vor Kinderbibeln warnen, die nicht die Richtigstellung von missverständlichen und problematischen Texten der Bibel enthalten. - Die Kirchenleitungen müssten die Produktion von Medien anregen, in denen biblische Geschichten sowohl kritisch-wissenschaftlich wie auch von ihrem zeitübergreifenden Glaubensinhalt dargestellt werden. - Kinderbibeln sollten von Bibelwissenschaftlern zusammen mit Religionspädagogen erstellt werden, in denen besonders bei alttestamentlichen Texten die geschichtlichen Hintergründe und die Entstehungsgeschichte der Texte in kindgemäßer Weise mit aufgezeigt werden. (Siehe ein Versuch: Der Turmbau von Babel“)
Papst Franziskus in seiner Ansprache zum 25. Jahrestag der Veröffentlichung des
Katechismus über die Bibel: „Die Bibel selbst ist ein Dialog verschiedener Autoren verschiedener Zeiten – und dieser Dialog, der zu neuen Erkenntnissen führen kann, setzt sich bis heute im Lesen und der Auslegung der Bibel fort.“
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